Das „Liechtensteiner Volksblatt“ erklärt die sozialistische Ideologie, welche auf dem Atheismus beruhe, für unvereinbar mit dem christlichen Glauben (2)


Veröffentlichung einer Einsendung im „Liechtensteiner Volksblatt“ [1]

4.12.1920

Christentum und Sozialismus

(Eingesandt)

2. Moral und Sozialismus

Die Sozialdemokratie will nicht die christliche Religion vernichten, sie will auch die christliche Moral von Grund auf umstürzen.

Nach christlicher Anschauung ist die Sittenlehre ein wesentlicher Bestandteil der Religion. Gott hat das natürliche Sittengesetz ins Herz geschrieben, wie der hl. Apostel Paulus lehrt. Und dieses Gesetz kündigt sich im Gewissen aller Menschen an und nach diesem Gesetz werden sie einst alle am grossen Gerichtstag zur Rechenschaft gezogen. Das ist aber noch nicht die ganze Sittenlehre. Wir sollen auch an Christus, den gottgesandten Erlöser glauben, alles, was er gelehrt, für wahr halten und alle seine Gebote beobachten. „Willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote", sagte der Heiland. Die Beobachtung der christlichen Sittenlehre wird über unsere Ewigkeit entscheiden.

Nach der Lehre der Sozialdemokratie aber ist, wie die Religion, so auch die Moral nur Menschenwerk. Schon das von Karl Marx und [Friedrich] Engels1847 verfasste „Kommunistische Manifest" [2] erklärt die Moral zugleich mit der Religion für ein „bürgerliches Vorurteil". Und [Karl] Kautsky behauptet: „Ein tierischer Trieb, nichts anderes ist das Sittengesetz!"

Die Sozialdemokratie predigt eine Moral ohne Religion. „Sittlich ist, was Sitte ist" sagt [August] Bebel („Die Frau" [3] Seite 17). „Sittlich ist, was dem Bedürfnis einer bestimmten Zeitperiode entspricht." Nach solcher Lehre kann also später „sittlich" genannt werden, was heute allgemein als Laster oder Unsitte bezeichnet wird. Wenn z.B. Kindesmord bei den Chinesen und Menschenfresserei bei den Wilden „dem Bedürfnis solcher Perioden entspricht", so sind diese scheusslichen Unsitten nach Bebels Lehre „sittlich". Wahrhaftig eine sehr bequeme Moral! Nach dieser Moral kann man alle Leidenschaften zu Tugenden stempeln, alle Laster und Verbrechen als sittliche Taten verherrlichen. Nach dieser Moral kann man alle sittliche Ordnung im Namen der Moral umstürzen und ungestraft ein Engros-Geschäft in Verbrechen jeglicher Art einrichten. Das ist umso leichter möglich, als nach sozialistischer Lehre der Mensch keinen freien Willen hat und daher für seine Taten nicht verantwortlich gemacht werden kann. Verstehst du nun, wieso es möglich ist, dass die Sozialdemokraten einen Ferrer [Francesc Ferrer i Guardia] als Märtyrer verehren und Königsmörder als Helden feiern können und handkehrum die „freie Liebe" predigen.

Die sozialdemokratische Moral ist nichts anderes als die Vernichtung jeder Moral. Die Sozialdemokraten mögen nur den Versuch machen, ihre Jugend nach diesen ihren Lehren zu erziehen. Die Früchte dieser Sittenlehre werden nicht ausbleiben. Aber Gott möge unser braves Volk davor bewahren, dass es je in einen solchen Abgrund der Sittenlosigkeit versinke.

3. Katholische Bibel-Auslegung und Moral in Bezug auf Eigentum

„Mein ist die Erde", spricht der Herr. Gott ist der Herr und Eigentümer der Erde und aller irdischen Güter. Gott hat aber die Erde den Menschen zur Bebauung und die Früchte zum Genusse, zur Erhaltung des Lebens übergeben. Und zwar sollen die Früchte der Erde allen Menschen zugut kommen. Die irdischen Güter, zum Beispiel Grundstücke, können Gemeingut einer Gesellschaft oder aber Privateigentum sein. In der ganzen hl. Schrift findet sich keine Bibelstelle, welche den Besitz von Privateigentum als unstatthaft erklärt. Gleichwohl behauptet Broudhon [Pierre-Joseph Proudhon] und tausend andere Sozialisten schreien mit: „Eigentum ist Diebstahl!“ [4] Die katholische Moral aber lehrt: „Nicht Eigentum ist Diebstahl, sondern ungerechte Aneignung und Verletzung des Eigentums ist Diebstahl". Die Berechtigung auf Privateigentum entspricht dem Naturrecht und dem Gesetze Gottes, ist zweckmässig und notwendig. Denn das Privateigentum stärkt die sittliche Selbständigkeit des Menschen. Es regt den Menschen am wirksamsten zur Tätigkeit und Strebsamkeit und zur allseitigen Entwicklung der Kräfte an. Privatbesitz ist mehr als Kommunismus geeignet, den Frieden unter den Menschen zu erhalten, wie die Erfahrung lehrt. Wo mehrere gemeinsamen Besitz haben, gibt es mehr Streitigkeiten, als wenn jeder seinen Anteil zu eigen hat.

Wer Privateigentum besitzt, der soll sich nicht als unbeschränkter Eigentümer, sondern als Verwalter nach Gottes Willen betrachten. Insbesondere wer mehr hat an irdischen Gütern, als er für sich und seine Familie nötig hat, soll sein Eigentum als Gemeingut betrachten in dem Sinne, dass er von dem Überflusse gerne mitteilt, um den Bedürfnissen anderer abzuhelfen. Diese Pflicht ist im allgemeinen eine Liebespflicht. Wenn aber der Mitbruder am notwendigsten Mangel leidet, hat der Reiche auch die Gerechtigkeitspflicht, ihm zu helfen.

Wer mit ungerechten Mitteln reich geworden ist: durch Diebstahl, Betrug, Wucher, Vorenthaltung des verdienten Arbeitslohnes, der hat sich Schätze des Zornes gesammelt auf den Tag des Gerichtes. Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein solcher in das Reich Gottes eingehe. Er kann einzig durch Wiedererstattung, durch Verwendung des Reichtums zu wohltätigen Zwecken sich den Eingang ins Reich Gottes wieder öffnen.

Es ist Tatsache, dass der lebendige Glaube an Christus und an die ewige Vergeltung im Urchristentum den Kapitalismus überwunden und eine bewunderungswürdige Nächstenliebe hervor gebracht hat. Und ebenso ist es sicher, dass in der Neuzeit die atheistische Welt- und Lebensanschauung und die Lostrennung der Wirtschaftsmoral von der Religion – der Selbstsucht, dem Wucher und allen Auswüchsen des Kapitalismus mächtig Vorschub geleistet haben. Nicht der gottesleugnerische Sozialismus, sondern einzig der Geist des Christentums kann die heutige kranke, schwerkranke Gesellschaft heilen.

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[1] L.Vo., Nr. 97, 4.12.1920, S. 1. Vgl. zuvor L.Vo., Nr. 96, 1.12.1920, S. 2 („Christentum und Sozialismus“) bzw. in weiterer Folge L.Vo., Nr. 98, 11.12.1920, S. 1-2 („Christentum und Sozialismus“) und Nr. 99, 14.12.1920, S. 1 („Christentum und Sozialismus“).
[2] Das Manifest der Kommunistischen Partei erschien am 21.2.1848 in London.
[3] Vgl. August Bebel: Die Frau und der Sozialismus (Zürich 1879).  
[4] Zitat aus dem Werk: Qu'est-ce que la propriété? Ou recherches sur le principe du droit et du gouvernement (Paris 1840).