Das „Liechtensteiner Volksblatt“ erklärt die sozialistische Ideologie, welche auf dem Atheismus beruhe, für unvereinbar mit dem christlichen Glauben (1)


Veröffentlichung einer Einsendung im „Liechtensteiner Volksblatt“ [1]

1.12.1920

Christentum und Sozialismus

(Eingesandt)

Im Hirtenschreiben auf den eidgenössischen Bettag 1920 [2] haben die hochwst. schweizerischen Bischöfe vor dem Sozialismus, dem vordersten Träger der Revolution, gewarnt und erklärt: Unvereinbar mit dem Christentum ist die Grundlage des Sozialismus: der vollendete Unglaube oder Atheismus.

Das bischöfliche Hirtenschreiben, das in der Schweiz und auch hier in Liechtenstein von allen Kanzeln verlesen wurde, sagt nur die Wahrheit und zwar in einem ruhigen Ton. Die sozialistischen Zeitungen aber haben hievon Anlass genommen zu Schmähartikeln. Auch ein Schmähschriftchen ist erschienen und wurde massenhaft verbreitet, das auch hier im Liechtensteinischen, besonders in Balzers, Eingang gefunden hat. Sie schimpfen, als hätten die Bischöfe den Sozialisten schwers Unrecht zugefügt. Wie steht die Sache?

1. Die Religion des Sozialismus

Wir reden im Folgenden nicht von der Religion dieser oder jener Mitglieder sozialistischer Vereine oder Gewerkschaften, sondern vom System des Sozialismus, wie es von den Gründern und ersten Wortführern aufgestellt und entwickelt worden ist: von Karl Marx und [Friedrich] Engels, von [Karl] Kautsky und [August] Bebel. Wir erkennen die Grundlagen des Sozialismus im Verhältnis zum Christentum aus den Schriften der Genossen, welche speziell über Religion und Weltanschauung geschrieben haben: neben Bebel ein [Josef] Dietzgen, [Adolf] Douai und andere, bis zum sozialistischen protest. Pfarrer Paul Pflüger in Zürich.

Die Gründer des Sozialismus lassen in ihren Schriften keinen Zweifel, dass sie mit ihrem System auf dem Boden der materialistischen Welt-, Lebens- und Geschichtsauffassung stehen. Als [Charles] Darwin und Häckel [Ernst Haeckel] die Entwicklungstheorie aufgestellt hatten, jene Theorie, deren konsequenter, für die modernen Menschen so schmeichelhafter Schlusssatz lautet: Die Menschen stammen vom Affen ab, haben die Sozialistenführer diese sogenannten Resultate moderner Wissenschaft begierig aufgenommen und vollends zur Grundlage ihres Systems gemacht. Nun um diese Ehre beneiden wir sie nicht, wenn sie vom Affen abstammen wollen. Dietzgen musste allerdings gestehen, Dubois Reymond habe mit Recht behauptet, dass dieses Naturerkennen nur das Ersatzmittel für eine Erklärung sei. Derselbe Dietzgen schreibt: „Unsere Sozialdemokratie ist die notwendige Konsequenz einer religionslosen nüchternen Denkungsweise!" Was Dietzgen schreibt über den Glauben an Gott, an die Unsterblichkeit der Seele, über ein Wiedersehen in der Ewigkeit, das ist Spott und Hohn. Er verspottet selbst das Gebot Christi betreffend Nächstenliebe und Feindesliebe, das den Hass ausschliesse. Ich will die Spottworte, die Dietzgen gebraucht hat, nicht niederschreiben.

Bebel, der langjährige, einflussreichste Sozialistenführer, hat im deutschen Reichstag erklärt: „Auf dem Gebiete der Religion erstreben wir den Atheismus (Unglaube).“ Bebel hat manches geschrieben über Religion. Er behauptet, nicht ein Gott habe die Menschen erschaffe, sondern die Menschen aus niederer Kulturstufe haben in ihrer Phantasie sich Götter gebildet. Bebel hatte gelesen, der Glaube an Gott, an die Unsterblichkeit der Seele, die Erwartung eines Weltgerichtes sei schon mehrere Jahrhunderte vor Christus vorhanden gewesen, nicht nur bei den Juden, sondern auch bei den Heiden. Auch von den Hoffnungen der alten Völker auf einen kommenden Erlöser hatte Bebel gelesen. Und nun kommt Bebel und behauptet, das Christentum sei nichts als der Abklatsch der Religion der Inder und Ägypter. Nur das billigt Bebel dem Christentum zu, dass es die Religion nach den anders gearteten Zuständen und Anschauungen der späteren Zeit modifiziert habe. Dann schreibt Bebel: „Die soziale Fäulnis des römischen Reiches war die Düngerstätte, aus der das Christentum emporwuchern musste."

Auf diese Auslassungen Bebels muss ich doch sogleich einige Gegenbemerkungen machen: Ja, der Gottesglaube und der Glaube an die Unsterblichkeit der Menschenseele und an die Vergeltung von Gut und Bös nach dem Tode war in den Menschenherzen nicht nur einige Jahrhunderte, sondern Jahrtausende vor Christus. Die ältesten Urkunden über die Geschichte der Menschheit sind religiöse Urkunden. Sie geben Zeugnis von den Offenbarungen Gottes an die Menschen. Auch heidnische Völker kannten Uroffenbarungen und durch ihre Beziehungen zum israelitischen Volke hatten sie auch Kenntnis von den Verheissungen eines kommenden Erlösers. Gerade diese Tatsachen, besonders die in den Urkunden der Juden niedergeschriebenen Verheissungen von einem kommenden Erlöser nach der bestimmten Zahl, der Jahrwochen, die Bezeichnung des Ortes seiner Herkunft, die prophetische Beschreibung seiner Wundertaten durch Jsaias und die Erfüllung von allen diesen Verheissungen durch Jesus, sollte einen denkenden Menschen überzeugen, dass ein göttlicher Geist die Jahrhunderte umfasst und dass Jesus nicht bloss der „Proletarier" von Nazareth ist, sondern der Gott, der verheissen war und gekommen ist, um die Menschen zu erlösen. Wahrlich, nicht wegen einem Proletarier von Nazareth, sondern im Jesus der in der Fülle der Zeiten Mensch gewordene Sohn Gottes u. Erlöser war, sind die Kulturvölker übereingekommen, Jesus als den Mittelpunkt der Weltgeschichte anzuerkennen und mit seinem Geburtsjahr eine neue Zeitrechnung zu beginnen.

Die Urteile Bebels über das Urchristentum sind grobe Lüge und bodenlose Gemeinheit. Sie finden ihre Seitenstücke in andern sozialistischen Schriften und Zeitungen, so zum Beispiel im „Metallarbeiter", der vor einigen Jahren geschrieben hat: „das Christentum ist ein Reptil, dem man möglichst schnell den Kopf zertreten soll."

Aus dem Gesagten wird es jedem Leser klar, was von der Gepflogenheit sozialistischer Redner zu halten ist, die immer wieder behaupten: Wir sind nicht gegen das wahre Christentum, wie es Christus und die Apostel verkündet haben, wir sind nur gegen das Christentum der heutigen Kirchen. Derartige Behauptungen sind gut für die Agitation, zur Täuschung unkundiger Arbeiter.

Dass das, was die Sozialistenführer ihre „Religion" nennen, mit dem Christentum in schroffsten Gegensatz steht, ergibt sich auch aus dem Katechismus von alt Pfarrer Pflüger in Zürich. In diesem Katechismus steht nichts von einem persönlichen Gott, nichts von Geboten Gottes, nichts von einer unsterblichen Seele, nichts von der Gottheit Christi. Pflüger spricht zwar von Gott. Und er erklärt seinen Begriff von Gott also: „Gott und die Natur sind im Grunde eins. Natur nennen wir die Welt in ihrer äusseren Erscheinung und in ihrer Mannigfaltigkeit. Gott nennen wir die Welt in ihrem innersten Wesen und in ihrer Einheit." Das ist die Theologie Pflügers. Jesus ist nach Pflüger ein hohes sittliches Ideal, aber nur ein Mensch. Aus den Reden Jesu zitiert Pflüger einige Sentenzen, die ihm zu passen scheinen, gerade so, wie er Verse von [Friedrich] Schiller und [Johann Wolfgang von] Goethe zitiert. Die Lebensanschauung Pflügers, wie sie in seinen beiden Katechismus zum Ausdruck kommt, ist diejenige von Häckel mit der Affentheorie. Diese Religion und Lebensanschauung ist wahrlich nicht Christentum, sondern steht in schroffem Gegensatz zum Christentum. Christ sein und zugleich Sozialist sein wollen, reimt sich ganz und gar nicht zusammen.

Fortsetzung folgt.

______________

[1] L.Vo., Nr. 96, 1.12.1920, S. 2. Vgl. in weiterer Folge: L.Vo., Nr. 97, 4.12.1920, S. 1 („Christentum und Sozialismus“); Nr. 98, 11.12.1920, S. 1-2 („Christentum und Sozialismus“) und Nr. 99, 14.12.1920, S. 1 („Christentum und Sozialismus“). Verfasser der Einsendung war vermutlich Prälat Johann Baptist Büchel, Leiter der Landesschule Vaduz und Präsident des Historischen Vereins. Vgl. in diesem Zusammenhang: Johann Baptist Büchel: Die Naturwissenschaft als Quelle für die Geschichtsforschung. Vortrag gehalten bei der Jahresversammlung des Historischen Vereins in Eschen 1921. In: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Bd. 22 (1922), S. 32-42.
[2] Das Rundschreiben der schweizerischen Bischöfe vom 29.7.1920 zum Eidgenössischen Bettag vom 19.9.1920 wurde veröffentlicht in: L.Vo., Nr. 77, 25.9.1920, S. 1-2 („Ansprache der schweizerischen Bischöfe an die Gläubigen ihrer Diözesen auf den Eidgenössischen Bettag 1920“).