Johann Franz Paur [Bauer] berichtet dem Fürsten Johann Adam Andreas von Liechtenstein über einen Kindsmord in Eschen.


Durchleuchtigister fürst, etc.

Gnädigister fürst und herr, herr, etc.[1]

Ewr hochfürstlich durchlaucht referiere[2] ich unnderthenigist, waß gestalten kurz verwichener tagen auff Schenenbüchl[3] der herrschafft Schellenberg[4] ein steingefrornes und den umbständen nach bey 29 täg under stro und laub verborgenes todtes kindl mit gequeschter gurgel und tieffen schnitt in den halß ermordet gefunden worden. Die thäterin ware ein frembde spinnerin[5], von menigelichen[6] ohne verdacht ante inventum corpus delicti[7], aber Gott waist wohin und glaublich die partum subsequente[8] entflohen.

In erwarthung der gnedigisten final-resolution[9] über die getroffene beede hofs-[10]kheiffe, zweifle ich nit, es werden meine gehorsambeste reflexiones super instructione[11] sambt dem canzley-tax-proiect[12] gebührendt eingeloffen sein. Warüber ewer hochfürstlich durchlaucht und darbey in specie,[13] wie des yberschwehren / bestandts-quartiers, item[14] des keller und fruchtlastens halber mich zue regulieren[15], verners gnedigist zue disponieren[16] haben, ich aber mit submisseter[17] meiner empfehlung verbleiben werde.

Eur hochfürstlich durchlaucht.

Veldtkhirch[18], den 18. Januarii anno[19] 1700.

Underthänigster, threw gehorsamster diener.

Paur[20], manu propria[21]. /

[Rubrum]

Præstentatum[22], den 4. Februarii 1700.

Schellenbergischer verwalter relationiret, daß daselbst ein ermordetes kind gefunden worden. Item ratione[23] der 2 hofskäuffen, canzeleytaxen, keller, quartiers, etc.

[Adresse]

Dem durchleichtigisten fürsten und herren, herren Johann Adam Andreas, des Heyligen Römischen Reichs[24] fürssten und regiereren des hauß Liechtenstien von Nickolspurg[25], in Schleßien[26] herzogen zue Troppaw[27] und Jägerndorff[28], ritteren des Guldenen Flüss[29], der römisch kayserlichen mayestät[30] würckhlichen gehaimen rath und cammeren, etc., ihro durchlaucht, etc., meinem gnedigisten herren.

Vienn[31] per[32] Feldtsperg[33].[a]

 


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[1] Johann Adam I. Fürst von Liechtenstein (30. November 1656–18. Juni 1712). Vgl. Constant von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich, Bd. 15, Leon – Lomeni, L. C. Zamarski, Wien 1866, S. 127.

[2]berichte.

[3]Schönabüel, Eschen. Vgl. Hans Stricker (Leitung), Toni Banzer Herbert Hilbe (Bearbeiter), Liechtensteiner Namenbuch (LNB). Die Orts- und Flurnamen des Fürstentums Liechtenstein, Bd. 3, Vaduz 1999, S. 285 

[4]Schellenberg (FL).

[5]Eine Person, die Seide, Wolle, Flachs, aber auch Gold. Silber und Tabak spinnt, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Vgl. Johannes Georg Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, oder allgemeines System der Staats-, Stadt-, Haus- u. Landwirthschaft, in alphabetischer Ordnung, Bd. 159, Leipzig 1833, S. 8.

[6]jedermann.

[7]ante inventum corpus delicti“: bis zum Fund des Verbrechens. 

[8]die partum subsequente“: am Tag nach der Geburt.

[9]letzten Befehls.

[10]Rennhof und Weinzierlhof in Mauren. Vgl. LNB, Ortsnamen, Bd. 3, S. 474; der Weinzierl(er)hof (†) in Mauren war bis ca. 1700 im Besitz von Balthasar Weinzierl, Stadtdiener in Feldkirch, und bis Ende des 18. Jahrhunderts in herrschaftlichem Besitz. Vgl. Johann Franz Paur [Bauer] berichtet Fürst Johann Adam von Liechtenstein über die Güter von Bürgern aus Feldkirch in der Herrschaft Schellenberg. Ausf. Feldkirch 1699 Juli 6, SL-HA, H 2609, unfol.; Joseph Ospelt, Zur liechtensteinischen Verfassungsgeschichte, in: Jahrbuch des Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (JBL) 37, Vaduz 1937, S. 5–50; hier: S. 32; Josef Schuppler, Die Landesbeschreibung des Landvogts Josef Schuppler aus dem Jahre 1815, in: JBL 75, Vaduz 1975, S. 189–462; hier: S. 275, 318, 371; Fabian Frommelt, Mauren, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein, Projektleiter: Arthur Brunhart; Red.: Fabian Frommelt ...[ et al.], Zürich 2013, Bd. 2, S. 599.

[11]reflexiones super instructione“: Überlegungen über die Anweisungen.

[12]Kanzleisteuerprojekt.

[13]Einzelnen.

[14]auch.

[15]anzuweisen.

[16]verfügen.

[17]untertäniger.

[18]Feldkirch (A).

[19]im Jahr.

[20]Johann Franz Bauer [Paur] (gest. 1715/16) studierte ab 1670/71 Rechtswissenschaften in Freiburg im Breisgau. Als Dr. beider Rechte machte er Karriere als Oberamtmann des Reichsstifts Rottenmünster und ab 1688 in hohenemsischen Diensten. Von 1699 bis 1715 war er fürstlich liechtensteinischer Amtmann und Verwalter der Herrschaft Schellenberg. Ab 1700 veranlasste er den Kauf zweier Brandstätten in Feldkirch und ließ auf diesen das fürstlich liechtensteinische Haus errichten, in welchem er bis zu seinem Tod wohnte. Vgl. Brief an den fürst-liechtensteinischen Buchhalter Nowak betreffend den Nachlass von Johann Franz Paur und das Haus in Feldkirch, Konz., Schloss Judenau 1716 August 3, SL-HA, unfol.; sowie die gesamte Verwaltungskorrespondenz Paurs mit Fürst Johann Adam Andreas von Liechtenstein von 1699 bis 1712, SL-HA, H 2609, 2010, 2611; Karlheinz Burmeister, Johann Franz Bauer, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein, Projektleiter: Arthur Brunhart; Red.: Fabian Frommelt ...[ et al.], Zürich 2013, Bd. 1, S. 72.

[21]eigenhändig.

[22]Vorgelegt.

[23]wegen.

[24] Heiliges Römisches Reich war die offizielle Bezeichnung für den kaiserlichen Herrschaftsbereich vom Mittelalter bis zum Jahre 1806. Der Name des Reiches leitet sich vom Anspruch der mittelalterlichen Herrscher ab, die Tradition des antiken Römischen Reiches fortzusetzen und die Herrschaft als Gottes Heiligen Willen im christlichen Sinne zu legitimieren. Zur Unterscheidung vom 1871 gegründeten Deutschen Reich wird es auch als das Alte Reich bezeichnet. Vgl. Klaus Herbers, Helmut Neuhaus, Das Heilige Römische Reich – Schauplätze einer tausendjährigen Geschichte (843–1806). Böhlau-Verlag, Köln-Weimar 2005.

[25]Nikolsburg (Mikulov), Stadt (CZ).

[26]Schlesien ist eine Region in Mitteleuropa.

[27]Troppau (Opava) war die Residenzstadt des ehemaligen Herzogtums Troppau (CZ).

[28] Jägerndorf (Krnov) war die Residenzstadt des ehemaligen Herzogtums Jägerndorf (CZ).

[29] Der Orden vom Goldenen Vlies (Flüss) ist ein burgundischer Ritterorden.

[30]Leopold I. (9. Juni 16405. Mai 1705) aus dem Hause Habsburg, war von 1658 bis 1705 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches sowie König von Ungarn (ab 1655), Böhmen (ab 1656), Kroatien und Slawonien (ab 1657). Vgl. Kerry R. J. Tattersall, Leopold I., Wien 2003.

[31]Wien (A).

[32]nach.

[33] Feldsberg (Valtice), Stadt (CZ).

 


[a]Darüber ist ein rotes Lacksiegel aufgedrückt.