Der ehemalige Landesverweser Leopold von Imhof informiert Fürst Johann II., dass Martin Ritter gedroht habe, den fürstlichen Domänenbesitz in Liechtenstein zum Landesvermögen zu erklären


Maschinenschriftliche Abschrift eines Schreibens von Alt-Landesverweser Leopold von Imhof, gez. ders., an Fürst Johann II. [1]

18.11.1918 (12.2.1920), Wien

Euere Durchlaucht!

Ich gestatte mir untertänigst zur höchsten Kenntnis zu bringen, dass ich Dr. [Martin] Ritter heute auf der Strasse getroffen und über seine Pläne ausgeholt habe. – Er will in seiner morgigen Audienz darauf dringen, dass Euere Durchlaucht die provisorische Führung der Regierungsgeschäfte sogleich genehmigen. [2] – Weiters erklärte er unbedingt darauf zu bestehen, dass ihm auch die Geschäfte der Forst- und Domänenverwaltung sofort übertragen werden, da er einen Staat im Staate nicht dulden könne. – Dabei liess er durchblicken, dass der fürstliche Besitz in Liechtenstein gleich den Krongütern des Kaisers [Karl I.] als Landesvermögen erklärt werden könnte. – [3] Ich bemerkte ihm, dass Euer Durchlaucht die verlangte Genehmigung kaum sogleich und uneingeschränkt erteilen würden, da erst auch die Gegenseite gehört werden müsse, dass die Besorgung von Privatangelegenheiten Euer Durchlaucht seinem Systeme einer parlamentarischen, demokratischen Regierung sich nach meiner Ansicht nicht einordne, dass zwischen Krongut und Privatbesitz ein Unterschied bestehe und die Erklärung des Letzteren als Landeseigentum einem Raube gleichkäme, zu welchem sich die Liechtensteiner nie hergeben würden, und gegen den es auch in der neuen Weltordnung Mittel geben werde, endlich, dass von einer privaten Güterverwaltung – sei es nun eine fürstliche oder andere, nicht als von einem Staat im Staate gesprochen werden könne.

Für solche Präpotenzen wird Ritter selbst bei seinen Anhängern keine Unterstützung finden. Es sind keine ernst zu nehmenden Drohungen, sondern nur Einschüchterungsversuche, mit welchen ich Euer Durchlaucht vorzubereiten mich für verpflichtet halte.

Euer Durchlaucht treugehorsamst untertänigster

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[1] LI LA V 003/1198. Aktenzeichen der Gesandtschaft Wien: 92/1-20. Die Abschrift wurde angefertigt auf das Ersuchen des Landgerichts, die Gesandtschaft Wien solle Nachforschungen anstellen nach einigen Papieren, die im Rahmen der Untersuchungen zur Privatklage Martin Ritters gegen Eugen Nipp, Redakteur des "Liechtensteiner Volksblatts", wegen behaupteten ehrverletzenden Äusserungen im "Liechtensteiner Volksblatt" von Bedeutung waren (LI LA V 003/1198, Landgericht an Gesandtschaft Wien, 22.1.1920). Die Gesandtschaft Wien übermittelte die Abschrift vom 12.2.1920 am 13.2. nach Vaduz.
[2] Vgl. LI LA SF 01/1918/50, Entwurf Proklamation Johann II., 19.11.1918.
[3] Vgl. in diesem Zusammenhang das österreichische Gesetz vom 3.4.1919, betreffend die Landesverweisung und die Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen, öst. StGBl. 1919 Nr. 209.