Prinz Eduard informiert Landesverweser Prinz Karl über den aktuellen Stand der Frage der Errichtung einer Gesandtschaft in Bern sowie über den Entwurf des Friedensvertrags zwischen den Siegermächten und Österreich


Maschinenschriftliches Schreiben von Prinz Eduard, Gesandter in Wien, an Landesverweser Prinz Karl [1]

26.6.1919, Wien

Betrifft: Errichtung einer liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern

Euere Durchlaucht!

Anlässlich eines Besuches, den ich gestern früh dem schweizerischen Gesandten [Charles-Daniel Bourcart] machte, um verschiedentliche Angelegenheiten zu besprechen, erfuhr ich, dass er nachstehendes Telegramm erhalten und mich bereits davon verständigt habe, jedoch ein Irrtum in der Adressierung unterlaufen sei, so dass ich effektiv noch nichts in Händen hatte. Das Telegramm lautete: "Teilen Sie dem Minister von Liechtenstein unter Bezugnahme auf seinen Brief vom 8. Juni an [Charles] Paravicini [2] folgendes mit: Automobilverkehr mit Kanton St. Gallen zur Zufriedenheit des regierenden Prinzen geregelt. Bundesrat genehmigt die Ernennung [Emil] Beck unter gewissen Bedingungen, seine Schweizer Nationalität betreffend. [3] Trotz Ansuchen betreffend Pariserreise zwecks Vertretung Liechtensteins, erhielten wir keine Antwort."

Während ich dort war, traf unerwartet ein Schweizer Kurier ein und nachmittags erhielt ich eine Zuschrift des politischen Departements vom 18. Juni 1919, Zahl B 15/7/1 A.13. 107.R. [4] in französischer Sprache, welche im Wesen das vorstehende Telegramm näher ausführt. Den auf die Erteilung des Agrements an Dr. Beck bezüglichen Passus brauche ich wohl nicht übersetzungsweise mitzuteilen, da er sich wortwörtlich mit der zuliegenden an Euere Durchlaucht gerichteten, gestern am späten Abend eingelangten Zuschrift des schweizerischen politischen Departements vom 19. Juni Zahl B 14/24 P 4. – 109/ LB. deckt, [5] die keinerlei Unterschrift trägt und von der ich daher glaube, dass sie lediglich eine Abschrift von dem Euerer Durchlaucht zugekommenen Schreiben ist. Die vorzitierte an mich gerichtete französische Note trägt folgende Unterschrift: "Departement politique suisse Le remplacant: [Giuseppe] Motta"

Gesandter Bourcart stellte an mich die Frage ob Dr. Beck als Gesandter oder als diplomatischer Geschäftsträger ernannt werden würde. Ich habe diese Frage bereits in Bern mit Herrn Paravicini erörtert und bei beiden Herren den Eindruck gewonnen, dass es der Schweizer Regierung ziemlich gleichgiltig sei, welche Form gewählt wird. Bourcart machte jedoch darauf aufmerksam, dass der Gesandte viel weitergehende Repräsentationspflichten habe, geradezu verpflichtet sei, die Diners, zu denen er im diplomatischen Korps eingeladen wird, zurückzugeben, während dies bei dem Geschäftsträger nicht der Fall sei. Wir besprachen auch die Höhe des Gehaltes und meinte ich auf seine Frage, dass – so viel ich wisse – 25'000 Kronen in Aussicht genommen wären, worauf Bourcart erwiderte, es müssten dies wohl Franken sein. [6] Auf meine Frage, wie hoch er das Mindesteinkommen des Gesandten beziffere, meinte er, dass ein solcher in Bern absolut 30'000 Franken haben müsse. Ich erwähnte noch, dass ich die Schaffung eines Gesandten aus dem Grunde für zweckmässig halte, weil das Land an der Errichtung des Berner Postens ein besonderes Interesse nimmt und ich nicht möchte, dass man dort den Eindruck habe, dass der Berner Posten als weniger wichtig wie der Wiener Posten angesehen wird oder dass Dr. Beck und das Land den Eindruck haben, als ob lediglich meine Person dafür massgebend wäre, dass man hier einen "Gesandten" geschaffen habe. In diesem Punkte möchte ich übrigens noch erwähnen, dass ich seinerzeit im Staatsamte für Äusseres in Wien auch die Frage erörtert habe, ob ich nicht lediglich als Geschäftsträger ernannt werden sollte worauf man mir erwiderte, dass dies nach der hierarchischen Stellung, die ich als Leiter einer Sektion in einem Ministerium eingenommen hatte nach meinem persönlichen Rang, abgesehen von meinem Namen nicht recht tunlich sei, und ich wohl als Gesandter auftreten könne. Dieses Moment ist bei Dr. Beck nicht vorhanden und daher kann die Frage ob Gesandter oder Geschäftsträger aus anderen Erwägungen heraus beantwortet werden.

Ich berichte dies so eingehend, um Euere Durchlaucht und die Regierung in die Lage zu versetzen sich über die finanzielle Tragweite der Sache klar zu werden und mit Dr. Beck – dessen private Vermögensverhältnisse ich nicht kenne und dessen Einkommen als Universitätsdozent, wie mir Bourcart versicherte, nicht sehr gross sein kann – eingehend zu erörtern. Jedenfalls muss die Regelung nunmehr rasch erfolgen und erwarte ich einen diesbezüglichen Antrag zur Vorlage an Seine Durchlaucht den Fürsten [Johann II.], der von dem vorstehenden Schreiben unterrichtet ist. [7] Es wird sich auch empfehlen die Frage der Pensionierung-Ansprüche Becks gleich aufzuwerfen und vielleicht nicht sofort aber bald nach einer Ernennung zu regeln, um eventuelle spätere Unannehmlichkeiten zu vermeiden.

Nachdem ich nicht mehr glaube, dass die Reise Becks nach Paris erfolgen wird, sondern annehme, dass auf das Memorandum über die Neutralität des Fürstentumes [8] erst nach Friedensschluss mit Deutschland und Deutschösterreich eine Antwort erfolgen wird und dann eine Einladung zur Besprechung der Neutralen, die in Genf stattfinden soll, zu erwarten steht, erscheint es mir nicht mehr bedenklich, wenn Dr. Beck ermächtigt wird, aus dem in Bern erliegenden Frankenkonto (h.ä. Zl. 80) die für die Errichtung des Büros notwendigen Spesen zu entnehmen. Ich wurde im Bedarfsfalle bei der Devisenzentrale sicher wieder Franken unter dem Titel: "Spesen der neuen Gesandtschaft" freibekommen und bitte um Weisungen, falls in dieser Richtung und auch bezüglich des Gehaltes Dr. Becks irgend welche Schritte bei der Devisenzentrale unternommen werden sollen.

Zum Schlusssatz des vorstehenden Telegrammes bemerke ich noch, dass laut an mich gerichteten Briefes Minister [Paul] Dinichert neuerlich auf die Angelegenheit der Entsendung eines Vertreters nach Paris in Paris zurückgekommen zu sein erklärt, ohne eine Antwort erhalten zu haben. Graf [Jean-René de] Chérisey hat mir jedoch unumwunden erklärt, dass durch den Friedensvertrags-Entwurf [9] die Frage gelöst erscheint, da Liechtenstein neben der Schweiz bei Fixierung der Westgrenzen Deutschösterreichs aufscheint. Er musste mir allerdings zugeben, dass hiemit lediglich die Frage der Souveränität und der weiteren Aufrechterhaltung derselben gelöst sei, eine Frage von welcher ich nie bezweifelt habe, dass das Rechtsgefühl der Entente es gestatten könnte an deren Bejahung auch nur zu zweifeln, dass ich aber nach wie vor auf eine Beantwortung bezüglich der Anerkennung der Neutralität oder wenigstens auf eine effektive Einladung des Fürstentumes, sich als neutraler Staat an der Friedenskonferenz zu beteiligen, bestehen müsse. Die Nachrichten aus Prag über dortige Strömungen gegenüber dem Fürsten, rechtfertigen dieses Verlangen auf das Allerstärkste.

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[1] LI LA SF 01/1919/046. Aktenzeichen: 23/3+4. Das Schreiben langte am 29.6.1919 bei der Regierung ein.
[2] Nicht aufgefunden.
[3] Die Schweiz machte ihre Zustimmung zur Ernennung von Emil Beck zum liechtensteinischen diplomatischen Vertreter in Bern davon abhängig, dass dieser, da er auch Schweizer Staatsbürger war, in der Schweiz keinen Anspruch auf die Vorrechte der Exterritorialität erhob (LI LA SF 01/1919/ad 46, Verbalnote des Schweizerischen Politischen Departements an Prinz Karl, 19.6.1919).
[4] Nicht aufgefunden.
[5] LI LA SF 01/1919/ad 46.
[6] Die österreichische Krone verlor nach Kriegsende rapide an Wert. Im Juni 1919 entsprachen 25'000 Kronen lediglich noch etwa 4000 Franken.
[7] Die Regierung sprach sich in der Regierungssitzung vom 24.7.1919, an der auch die stellvertretenden Landräte teilnahmen, mit allen Stimmen ausser der von Wilhelm Beck dafür aus, in Bern bloss einen Geschäftsträger zu bestellen (LI LA SF 01/1919/057, Prinz Karl an Gesandtschaft Wien, 25.7.1919).
[8] LI LA V 003/0045, Memorandum der Regierung an die Pariser Friedenskonferenz, 20.5.1919.
[9] Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye vom 10.9.1919, öst. StGBl. 1920 Nr. 303.