Liechtenstein besteht gegenüber Österreich auf dem Recht, eigene Briefmarken auszugeben


Maschinenschrifltiche Kopie eines Schreibens von Hermann von Hampe, Leiter der Hofkanzlei, und Landesverweser Karl von In der Maur, gez. dies., an die österreichische Regierung [1]

2.6.1911, Wien

Obgleich wir mit Dank anerkennen, dass die hohe Regierung uns durch die in der hochgeehrten Zuschrift vom 6.V. l.J., 10297/P, [2] und in dem mitgeteilten Vertragsentwurfe [3] gemachten Vorschläge in wichtigen Belangen ein wohlwollendes Entgegenkommen gezeigt hat, so müssen wir doch gegenüber dem Beschlusse des Landtages des Fürstentumes [4] auf der Einführung selbständiger Postwertzeichen beharren und zu unserem Leidwesen erklären, dass wir in den gemachten Vorschlägen die Grundlage für einen Vertragsabschluss noch nicht gewonnen haben.

Wir möchten deshalb bitten, nochmals einen ernstlichen Versuch zu machen, die Schwierigkeiten, welche sich unserem hauptsächlichen Wunsche und Begehren entgegenstellen, zu beseitigen.

Vor Allem müssen wir konstatieren, dass die Möglichkeit, unsere Wünsche zu erfüllen, tatsächlich vorhanden ist und nicht in Zweifel gezogen werden kann.

Dasjenige, was die französische Republik dem Fürstentume Monaco [5] und das Königreich Italien der Republik San Marino [6] zugestanden haben und vermitteln durften, könnte auch die hohe Regierung dem Fürstentume Liechtenstein zugestehen und vermitteln, ohne ihrem Ansehen etwas zu vergeben.

Für die hohe Regierung handelt es sich keineswegs um ein unbesiegbares Hindernis, wohl aber um lästige Weiterungen, Zeitaufwand und Kosten verursachende Verrechnungs-Schwierigkeiten und vielleicht in erster Linie um die Befürchtung, dass ein ärgerniserregender Abusus bei den Operationen mit den Wertzeichen stattfinden könnte.

Für das Fürstentum Liechtenstein handelt es sich dagegen darum, seine im Postverkehr zwar stets aktenmässig betonte, aber niemals betätigte Souverainität zum allgemein erkennbaren Ausdruck zu bringen.

Nachdem sich die Landesvertretung mit Einhelligkeit für dieses Postulat erhoben hat, lässt sich dieselbe mit einer gewohnheitsmässigen Verwahrungserklärung in den Akten nicht mehr abtun.

Es lässt sich auch nicht verkennen, dass die Wahrung dieses Standpunktes in dem vorliegenden Falle für das Fürstentum nicht ohne Wichtigkeit ist.

Der Hinweis in der hochgeehrten Zuschrift dieses hohen Ministeriums, dass auch Monaco und San Marino nicht selbständige Mitglieder des Weltpostverkehres [7] sind und dass das Grossherzogtum Luxemburg der kleinste Staat ist, welcher dem Weltpostverkehre als selbständiges Mitglied angehört, enthielt eine von uns nicht verschuldete Zurückweisung, denn wir haben uns um Vermittlung der selbständigen Mitgliedschaft im Weltpostverkehre nicht beworben.

Wohl aber besitzen sowohl Monaco als San Marino ihre selbständigen Postwertzeichen und sind damit im Weltpostverkehr als souveraine Staaten für jedermann erkennbar gemacht und es wäre eine bedauerliche Vernachlässigung unserer Pflichten, wenn wir in dem vorliegenden Falle nicht die gleiche Stellung im Weltpostverkehre, welche Monaco und San Marino besitzen, für das Fürstentum Liechtenstein in Anspruch nehmen würden.

Hieraus ergiebt sich, dass das Interesse des Fürstentumes Liechtenstein, an der Forderung der selbständigen Postwertzeichen festzuhalten, ein weit grösseres, intensiveres und kategorisch höher stehendes ist, als das Interesse der hohen Regierung, ihre Mitwirkung zum Abschlusse des Postvertrages von dem Verzichte auf die selbständigen Postwertzeichen abhängig zu machen.

Damit glauben wir unser Beharren auf dem diesfalls gestellten Anspruche gerechtfertigt und als ein legitimes gekennzeichnet zu haben.

Was die Schwierigkeiten betrifft, welche sich der Erfüllung unseres Ansuchens auf Seiten der hohen Regierung entgegenstellen, so hoffen wir, dass sich dieselben durch beiderseitiges Zutun beseitigen oder doch auf ein erträgliches Mass werden abschwächen lassen.

Wir sind bereit, zu diesem Behufe die Partizipation an dem Mehrertrage aus der Verwertung der Postwertzeichen, eine Festsetzung der Grundsätze für die Emittierung derselben, die Vereinfachung der Verrechnung durch Pauschalierung und Revision derselben im Sinne der von der hohen Regierung gemachten Vorschläge, endlich, falls dies gewünscht wird, für die nächsten Jahre die Ausführung der Wertzeichen durch die k.k. Staatsdruckerei in Vorschlag zu bringen.

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[1] LI LA SF 03/1911/17/1302 ad 65 (Aktenzeichen: Z. 7282). Eingangsstempel der liechtensteinischen Regierung vom 10.6.1911. Auf der Rückseite des Bogens handschriftlicher Vermerk von In der Maur vom 10.6.1911: "Das Originale dieses Schriftstückes ist bei der am 2. d.M. im Handelsministerium abgehaltenen Sitzung dem Generalpostdirektor Sektionschef v. Wagner [Friedrich Wagner von Jauregg] persönlich übergeben worden." Eine weitere Kopie des Schreibens als Beilage zum Protokoll der Verhandlungen vom 2.6.1911 im Handelsministerium (LI LA RE 1911/0065).
[2] Nicht aufgefunden.
[3] Nicht aufgefunden.
[4] LI LA LTA 1910/S04/2, Protokoll der Landtagssitzung vom 10.12.1910. Vgl. auch LI LA SF 03/17/1911/1140 ad 65, Landesausschuss an Regierung, 17.5.1911.
[5] Monaco gibt seit 1885 eigene Briefmarken heraus.
[6] San Marino gibt seit 1877 eigene Briefmarken heraus.
[7] Gemeint ist der Weltpostverein.