Landesverweser Leopold von Imhof ersucht das österreichische Finanzministerium um die Bewilligung von Holzausfuhren aus Liechtenstein in die Schweiz, um im Gegenzug die Lebensmittelversorgung des Fürstentums zu gewährleisten


Handschriftliches Konzeptschreiben von Landesverweser Leopold von Imhof, gez. ders., an Josef Mühlvenzl, Sektionschef im k.k. Finanzministerium [1]

19.1.1916

Euer Hochw. [Euer Hochwohlgeboren]

Hochverehrter Herr Sektionschef!

Gestatten E. Hochw., dass ich im Nachstehenden Ihre Aufmerksamkeit auf einen Umstand lenke, welcher für das Fürstentum von grösster Wichtigkeit ist.

Wie ich von durchaus verlässlicher Seite erfahren habe, hat sich der gewiss auch dort bekannte und sehr einflussreiche schweizerische Nationalrat Schmidt Heini [Ernst Schmidheiny] dahin geäussert, dass die Schweiz die Neutralität des Fürstentums nicht mehr anerkennen könne, da dasselbe in einer Weise von Österreich abhängig sei, dass ihm nicht einmal die Ausfuhr seiner wenigen eigenen Produkte nach der Schweiz gestattet sei. [2]

Unter diesen Umständen sei auch die Schweiz mit Rücksicht auf ihr Verhältnis zu den Vierverbandstaaten [3] nicht mehr in der Lage, das Fürstentum mit Lebensmitteln und sonstigen Artikeln zu versorgen. [4]

Die Ursache dieser geänderten Stellungnahme, welche für das Land in bälde die schwersten Folgen herbeiführen müsste, liegt hauptsächlich in den lauten Beschwerden jener schweizerischen Firmen, welche hierlands teilweise schon vor langer Zeit Holz angekauft haben, dasselbe aber mangels der Erteilung der von der f. R. [fürstlichen Regierung] nachgesuchten Ausfuhrsbewilligungen bisher noch immer nicht beziehen konnten.

Missgünstige Darstellungen der vielen Spione, welche besonders im benachbarten Buchs tätig sind und in die hiesigen Verhältnissen ziemlich Einblick haben, tun das ihre dazu, Liechtenstein der Schweiz gegenüber noch mehr in ein ungünstiges Licht zu stellen.

Ich hatte bereits im verflossenen Herbst die Ehre, Herrn Sektionschef mündlich auf die Vorteile aufmerksam machen zu dürfen, die Österreich aus den guten Beziehungen zwischen Liechtenstein und der Schweiz mittelbar erwachsen.

Wenn ich daher im Nachstehenden an Euer Hochw. die dringende Bitte richte, mir die Aufrechterhaltung des bisherigen zwischen der Schweiz und Liechtenstein bestehenden Verhältnisses und den Warenbezug aus der Schweiz weiter zu ermöglichen, tue ich das nicht blos als Vertreter des Fürstentums, dessen künftige Approvisionierung [5] sonst gefährdet ist, sondern auch als Österreicher.

Am wirksamsten würde wohl den vorerwähnten schweizerischerseits noch währenden Bedenken dadurch entgegen getreten werden können, dass die f. R. generell ermächtig würde, bis auf weiteres gegen jederzeitigen Widerruf, für bestimmte hierländische Produkte, wie weiches Holz, Heu, Streue, Kartoffeln und Eier Ausfuhrsbewilligungen nach der Schweiz zu erteilen. Die Grenzzollämter könnten angewiesen werden, solche Ausfuhrsbewilligungen gelegentlich der Ausfuhr einzuziehen und dem Finanzministerium vorzulegen, wodurch dieses jederzeit in der Lage wäre, sich von der rigorosesten Handhabung der erteilten Ermächtigung zu vergewissern. Meines Erachtens könnte dagegen umso weniger ein Bedenken obwalten, als die geringe Menge dieser Landesprodukte für einen Staat wie Österreich unter keinen Umständen weder militärisch noch wirtschaftlich eine Rolle spielen kann. [6]

Sollte aber Euer Hochw. dies dennoch aus irgendwelchen Gründen nicht angängig erscheinen, so möchte ich Herrn Sectionschef wenigstens bitten, Ihren Einflusse dahin geltend zu machen, dass die von der f. R. befürwortend übermittelten Gesuche um Ausfuhrsbewilligungen sogleich im zustimmenden Sinne erledigt werden.

Auf diese Weise könnte wenigstens den Anwürfen, dass aus Liechtenstein nicht die kleinste Gegenlieferung erhältlich sei, die Spitze gebrochen werden.

Das monatelange Hinausziehen der Bescheide über Holzausfuhren hat nicht bloss die angedeutete üble Folge gezeigigt, sondern in hiesigen Leuten, die dadurch schon namhafte Verluste erlitten haben, begründeten Missmut erregt, letzteres umso mehr als die über Vorarlberg kommenden grossen Holztransporte nach der Schweiz nicht unbeachtet geblieben sind.

Indem ich Herrn Sektionschef bitte, diese Angelegenheit in wohlwollende Erwägung zu ziehen, und mir hierüber eine Mitteilung zukommen zu lassen, benutze ich gerne diesen Anlass, Euer Hochw. meiner ausgezeichneten Hochachtung und besonderen Verehrung zu versichern. [7] 

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[1] LI LA RE 1916/0274. Eingangsstempel der liechtensteinischen Regierung vom 20.1.1916. Reingeschrieben von David Strub am 20.1.1916. Am 23.1.1916 ersuchte Landesverweser Imhof die fürstliche Hofkanzlei in Wien um die Intervention beim österreichischen Finanzministerium zwecks Erleichterung der Holzausfuhr aus Liechtenstein in die Schweiz (LI LA RE 1916/0341 ad 0274).
[2] Von österreichischer Seite war Liechtenstein der Export von Langholz und starken Hölzern in die Schweiz nicht zugestanden worden; bewilligt wurde zunächst lediglich die Ausfuhr von dünnen Brettern (Schreiben vom Leiter der fürstlichen Hofkanzlei Hermann von Hampe an Landesverweser Imhof vom 19.1.1916 (LI LA RE 1916/0341 ad 0274)).
[3] Grossbritannien, Frankreich, Russland und Italien.
[4] Vgl. in diesem Zusammenhang die von den Entente-Staaten im Oktober 1915 erzwungene Gründung der "Société suisse de surveillance économique (SSS)", die den Aussenhandel und den Kompensationsverkehr der Schweiz mit den Zentralmächten kontrollierte.
[5] Approvisionierung: Lebensmittelversorgung.
[6] Die von der liechtensteinischen Regierung beantragte generelle Ausfuhrermächtigung wurde vom österreichischen Finanzministerium nicht erteilt. Jedoch wurde mit Erlass des Finanzministeriums an die Finanzbezirksdirektion in Feldkirch vom 4.2.1916 die Grenzzollämter grundsätzlich ermächtigt, weiches Rundholz und weiche Bretter ohne Rücksicht auf die Stärke und ohne Beibringung einer besonderen Bewilligung in die Schweiz ausführen zu lassen (LI LA RE 1916/0271 ad 0274).
[7] Landesverweser Imhof berichtete Hofkanzleileiter Hampe am 7.2.1916, dass er von den Schweizer Bundesräten Camille Decoppet und Arthur Hoffmann in Bern mündliche Zusagen betreffend die Lieferung von Weizen und anderen Lebensmitteln nach Liechtenstein erhalten habe (LI LA SF 13/1916/0567 ad 0031). Doch bereits am 16.2.1916 erging eine Note der französischen Botschaft in Bern an Bundesrat Hoffmann, wonach die französische Regierung das Fürstentum Liechtenstein in ökonomischer Hinsicht als feindliches Territorium betrachte (LI LA SF 13/1916/0961 ad 0031). Massgeblich für diese geänderte französische Auffassung, die von Landesverweser Imhof heruntergespielt wurde, war der Umstand, dass sich Liechtenstein innerhalb der österreichisch-ungarischen Zollgrenze befand (vgl. das Schreiben Imhofs an Hampe vom 4.3.1916 (LI LA V003/0040/3)).