Der Landesausschuss bittet Johann II., einen Beamten als neuen Regierungschef zu berufen, der bereits in Vorarlberg oder Nordtirol tätig war


Schreiben des Landesausschusses, gez. Landtagspräsident Albert Schädler, Landtagsvizepräsident Friedrich Walser und Landtagsabgeordneter Emil Batliner, an Fürst Johann II. (handschriftliche Abschrift) [1]

22.12.1913

Eure Durchlaucht!

Der heute zusammengetretene Landesausschuss des Fürstenthums Liechtenstein gestattet sich Eurer Durchlaucht ehrerbietigst eine Bitte vorzubringen.

Unser Land, das im heurigen Jahr durch schwere Viehseuchen und Fehlernten sich in einer sehr bedrängten Notlage befindet, hat zudem in jüngster Zeit den unerwartet rasch gekommenen Verlust unseres vieljährigen und verdienstvollen Regierungschefs [Karl von In der Maur] zu beklagen. Die Landtagsabgeordneten und das Volk sind daher in Sorge um die Wiederbesetzung des für unser Land so wichtigen Amtes eines Landesverweser.

Wir wissen, dass nach § 27 der Verfassung [2] die Ernennung der verantwortlichen Staatsdiener zu den Praerogativen des Landesfürsten gehört und achten die Verfassung, diese Grundlage unserer erfreulichen Entwicklung innerhalb der verflossenen 50 Jahre viel zu hoch, als dass wir das in derselben enthaltene Ernennungsrecht auch nur im Geringsten antasten würden.

Aber in der Sorge um das weitere Wohlergehen des Landes möge uns als den derzeitigen Vertretern des Volkes erlaubt sein, einen Wunsch zum Ausdrucke zu bringen. Unser aller Wunsch und Hoffen ist, dass für die vakante verantwortungsvolle Stelle ein tüchtiger und erfahrener Mann, der schon bei einem unserer Bevölkerung gleichartigen Volksstamme, also in Vorarlberg oder Nordtirol tätig war, ernannt werde. [3] Ein solcher würde sich bei uns viel leichter hineinleben, als Jemand, der die etwas herbe aber treue und ehrliche Eigenart unseres Volkes nicht kennen gelernt hat.

Wir kennen die väterliche von so vielen Wohltätigkeitsakten begleitete Fürsorge Eurer Durchlaucht für unser Land und haben daher auch den Mut, Eure Durchlaucht ehrerbietigst zu bitten, bei der Ernennung eines Nachfolgers des allzufrüh hingeschiedenen Kabinettsrates und Landesverwesers von In der Maur den oben ausgesprochenen allgemeinen Wunsch des Landes im Interesse unseres ferneren Gedeihens zu berücksichtigen. [4]

Wir erneuern Eurer Durchlaucht den Ausdruck unser unwandelbaren Treue und unseres ehrerbietigsten Dankes.

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[1] LI LA RE 1913/4003 ad 3904. Die vorliegende Abschrift übermittelte Friedrich Walser mit Schreiben vom 22.12.1913 an die Regierung. Ein Entwurf des Schreibens unter LI LA LTA 1913/S01/2.
[2] Konstitutionelle Verfassung vom 26.9.1862 (LI LA SgRV).
[3] Einen ähnlichen Wunsch hatte Landtagspräsident Schädler bereits in der Landtagssitzung vom 20.12.1913 geäussert: "[...] wir hoffen, dass Seine Durchlaucht einen tüchtigen Mann an die verwaiste, verantwortungsvolle Stelle setzen wird; wir wünschen, dass bei der Wahl ein Verwaltungsbeamter, der bisher in ähnlichen Verhältnissen, wie die unsrigen es sind, tätig war, berufen wird, dann wird unsere Sorge verschwinden." (LI LA LTA 1013/S04/2).
[4] Die Hofkanzlei teilte mit Schreiben vom 2.4.1914 mit, dass man sich bemüht habe, diesem Wunsch zu entsprechen, die Wahl aber auf Leopold von Imhof gefallen sei (LI LA LTA 1914/S20, Hofkanzlei an Landessausschuss, 2.4.1.1914).