Prinz Eduard, Gesandter in Wien, berichtet der Regierung, dass er der österreichischen Regierung die Aufkündigung des Zollvertrags mitgeteilt hat


Maschinenschriftliches Schreiben von Prinz Eduard, Gesandter in Wien, an Landesverweser Prinz Karl [1]

12.8.1919, Wien (mit Nachtrag vom 14.8.1919)

Nach Erhalt der obigen Samstag den 9. d.M. abends mir zugekommenen Note [2] versuchte ich noch vor meiner Berichterstattung an Seine Durchlaucht [Johann II.] Montag Vormittag eine Besprechung mit dem Staatssekretär für Finanzen [Joseph Schumpeter] und dem Referenten Ministerialrat [Friedrich] Schauberger zu erlangen, was mir jedoch nicht gelang. Mittags fuhr ich zum mündlichen Vortrage nach Feldsberg zum regierendem Herrn, woselbst Seine Durchlaucht gestern den Beschluss des Landtages betreffend Aufhebung des Zollvertrages mit Deutschösterreich [3] unter der Voraussetzung zu sanktionieren geruht haben, dass der bisherige Zustand in solange aufrecht bleibt und loyal eingehalten wird, bis meine Verhandlungen mit der Deutschösterreichischen Regierung den wechselseitigen Austausch- und Grenzverkehr sicher gestellt und einvernehmlich den Zeitpunkt festgesetzt haben, und welchem es der Deutschösterreichischen Regierung technisch möglich sein wird, die Verlegung der Zollgrenze durchzuführen. Hievon wollen Eure Durchlaucht die Mitglieder der fürstlichen Regierung sowie die Bevölkerung durch entsprechende Zeitungsverlautbarung ungesäumt in Kenntnis setzen. [4] Die Abschrift einer für österreichische Verhältnisse zugeschnittenen Zeitungsnotiz folgt mit. [5]

Ich bin noch Nachts aus Feldsberg zurück gekommen und werde heute um 12 Uhr Mittag mit dem Leiter des Staatsamtes für Äusseres Gesandten [Theodor von] Ippen die Aufkündigung des Vertrages mitteilen und wurde mir für Morgen ein Empfang beim Staatssekretär für Finanzen Dr. Schumpeter bereits in Aussicht gestellt. Dienstag den 19. reise ich von hier nach Vaduz ab und hoffe, bei meiner Ankunft am 20. die fürstliche Regierung sowie die Finanzkommission eingehender über die Lage informieren zu können.

Ich füge noch bei, dass ich im Gegenstande mit grosser Vorsicht vorgehen muss, um die bisher ausschliesslich von der Deutschösterreichischen Regierung stets bewiesene Geneigtheit zur Zahlung der aus dem Zollvertrag sich ergebenden Verpflichtungen pro präterito nicht zu erschüttern und auch die Situation für die präferentielle Behandlung der Liechtensteinischen Vermögenswerte in Deutschösterreich bei der Vermögensabgabe sowie der im Besitze von liechtensteinischen Staatsbürgern befindlichen ungestempelten Banknoten nicht ungünstig zu beeinflussen.

Nachtrag:

Gesandter von Ippen hat die Aufkündigung entschieden sehr ernst aufgenommen und ich habe den Eindruck, dass sie Deutschösterreich sehr unangenehm berührt. Man arbeitet eben daran, dem Fürstentume einen neuen Vertrag vorzuschlagen. Ippen meint, dass die effektive Verlegung der Zollgrenzen nicht vor dem ersten Januar möglich sein werde, während ich den 1. Oktober vorgeschlagen hatte. Ich habe mich bemüht, eine Besprechung von Vertretern des Staatsamtes für Äusseres und für Finanzen für den 18. August zu erzielen, um hiebei Grundzüge für den Austauschverkehr und für die Verlegung der Grenzen vor meiner Abreise festzulegen oder wenigstens mitzubekommen. [6] Ippen glaubt, dass es kaum möglich sein wird, dass Deutschösterreich sich bis dahin irgendwie meritorisch äussert. Die gewünschten Ausfuhrobjekte mit Ausnahme von Salz sind in Deutschösterreich – zunächst wenigstens – kaum erhältlich. [7]

Nachtrag vom 14. August 1919

Ich habe gestern die schriftliche Aufkündigung laut Beilage, [8] die ich auch Dr. [Emil] Beck, Bern sende, dem Gesandten Ippen zugestellt und dem Staatssekretär für Finanzen, Dr. Schumpeter persönlich überreicht. Durch das Morgenblatt der "Neuen Freien Presse" [9] war auf Grund der mitfolgenden Notiz in diesem Staatsamte der Landtagbeschluss schon bekannt und stand der Staatssekretär und die Herren des Präsidiums unter dem Eindrucke der vollen Zuwendung Liechtenstein an die Schweiz. – Ich habe mich bemüht, die Gründe auseinanderzusetzen und zu betonen, dass kein Deutschösterreich feindlicher Akt geschaffen werden solle und dass die Orientierung des Landes in wirtschaftlicher Beziehung nach Deutschösterreich und der Schweiz in gleicher Weise intentiert sei.

Derartig gefärbte Berichterstattungen in der Schweiz müssten aber entschieden unterbleiben, bezw. durch die dortige Gesandtschaft richtig gestellt werden, wenn nicht hier arge Verstimmungen die Folge sein sollen. Ich habe am Abend die mitfolgende Mitteilung durch das Korrespondenzbüro herausgegeben und die "Neue Freie Presse" separat um Aufnahme ersucht. Soweit ich bisher konstatieren konnte, haben Presse und Reichspost das Kommunique unverändert gebracht.

Ich besprach auch in grossen Zügen mit Staatssekretär Dr. Schumpeter die notwendige Valutaregulierung, bei welcher er lebhafte Unterstützung in Aussicht stellt. Verlautbarungen wegen Überganges zur Francewährung wären aber durchaus zu vermeiden, bis auf Grund der Vorschläge, die ich mündlich bringe, die liechtensteinische Krone stabilisiert und gegenüber der deutschösterreichischen im Kurse gestiegen sein wird; erst dann ist an den Übergang zur Francewährung zu denken. Das etwas hitzige Vorgehen des hohen Landtages ist nur geeignet, den richtigen Endzweck zu gefährden und erlaube ich mir, etwas Vorsicht zu empfehlen.

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[1] LI LA RE 1919/3978 ad 4/3761. Aktenzeichen: 219/2, ad Zl. 3761/reg. Das Schreiben langte am 17.8.1919 bei der Regierung ein. Ein weiteres Exemplar in LI LA V 003/0227.
[2] LI LA V 003/0227, Landesverweser Prinz Karl an Gesandtschaft Wien, 4.8.1919.
[3] LI LA LTA 1919/S04, Protokoll der Landtagssitzung, 2.8.1919.
[4] LI LA RE 1919/3978 ad 4/3761, Kundmachung der Regierung, 18.8.1919; erschienen in L.Vo., Nr. 66, 20.8.1919, S. 4 und O.N., Nr. 62, 20.8.1919, S. 4.
[5] LI LA RE 1919/3978 ad 4/3761, Meldung "erschienen in Wiener Zeitungen", 14.8.1921.
[6] Zu dieser Konferenz vgl. LI LA V 003/0227, Protokoll der Konferenz im Staatsamte für Äusseres vom 18.8.1919 über die Lösung des Zollvertrages.
[7] Prinz Karl hatte am 4.8.1919 mitgeteilt, dass Liechtenstein v.a. an der Einfuhr von "Salz, Baumaterialien, Bekleidungsstoffen, Schuhe, Leder usw." interessiert sei (LI LA V 003/0227, Landesverweser Prinz Karl an Gesandtschaft Wien, 4.8.1919).
[8] LI LA RE 1919/3979 ad 4/3761, Prinz Eduard an Theodor von Ippen, 12.8.1919.
[9] Neue Freie Presse, Nr. 19745, 14.8.1919, S. 5 ("Die Auflösung des Zollvereins zwischen Liechtenstein und Deutschösterreich"). Ein Zeitungsausschnitt mit der entsprechenden Meldung unter LI LA RE 1919/0004.