Artikel über Streit um die "wahre Kirchenmusik" in der Allgemeinen Zeitung München.


München, 20.03.1887

Bei Gelegenheit der Berathung des Cultus-Budgets in der Bayerischen Abgeordnetenkammer wurde auch die kirchenmusikalische Frage aufgeworfen und lebhaft darüber debattiert. Die Gegner geriethen hart aneinander, und noch heute stehen sich die Parteien des Cäcilienvereins und die Anhänger einer freieren Richtung schroff gegenüber. Professor Dr. von Schafhäutl, der Verfasser unten genannter Schrift, damals vom Cultusminister Dr. von Lutz zur Abgabe eines Gutachtens aufgefordert, von den Cäcilienvereinen ziemlich unsanft befehdet, gibt in einer soeben erschienenen Abhandlung[1] seinem Standpunkt entschiedenen Ausdruck und basiert dabei auf die Daten der Geschichte und die reichen Erfahrungen seines langen Lebens und auf fleissige Studien. Prof. v. Schafhäutl will eine frei lebende und wirkende Kunst in der Kirche und fusst mit seiner Forderung auch auf dem Erlass der heil. Congregation der Riten über Kirchenmusik, lautend: "Die Kirchenkompositionen von Haydn, die Messen von Mozart, Cherubini u.a. sind ausgezeichnete ernste Kompositionen und stehen fern von jeder Kritik, als wären sie der Heiligkeit der Kirchen nicht angemessen. Um Widersprüche zu vermeiden, sollte man sich enthalten, die Componisten (der jetzigen Zeit) zu tadeln, und sie im Gegentheil höflich aufmuntern, den Stil der Meisterwerke, die wir besitzen, nachzuahmen." Jeder Leser, der musikfreundlich gesinnt und mit objektiver Ruhe dem Autor zu folgen vermag, wird in dem Buche angenehme Anregung und Belehrung finden, und dessen Lectüre ist namentlich jungen Klerikern und Laien anzuempfehlen; Laien, welche für den Gegenstand nur einiges Interesse haben, werden von dem Buch nicht ohne Nutzen Kenntnis nehmen.

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[1] Karl Franz Emil v. Schafhäutl: Ein Spaziergang durch die liturgische Musikgeschichte der katholischen Kirche. Trost und Stärkung für alle Katholiken, die keine Cäcilianer sind. Mit 4 Notentafeln und 1 Titelbild. Fortsetzung und Erweiterung seiner Schrift: Der echte Gregorianische Choral (1869). München 1887 (Lindauer).