Brief von Henriette Huber an Jos. Rheinberger (nach ihrer letzten Begegnung war einige Zeit vergangen), auf welchen sie nie eine Antwort erhielt (Rheinberger war verstorben)


L. in Thüringen, 22. IV. 1901

Mein hoher Herr!

(Anmerkung der Briefschreiberin für Professor Kroyer: Das war meine vertrauliche Anrede an ihn, u. daher nennt er mich in seinen Briefen so oft "seine hohe Gebieterin" ).

Es will mir heut gehen, wie mit den ersten Briefen, die ich Ihnen schrieb. Ich weiss wohl, was ich sagen will, aber nicht, wie mich ausdrücken. Ich sitze vor dem Papier und denke an die Augen, die diesen Brief lesen werden und an das, was der Freund von dem Freunde denken wird, wenn er zu Ende gelesen.

Ich komme heut', um - im gewissen Sinn - Abschied zu nehmen. Und ich will nicht viel Worte darüber verlieren, weil ich weiss, dass ich das Ihnen gegenüber nicht nötig hab'. Ich will nur den alten Bibelvers anführen: "Niemand kann zween Herren dienen" und Sie an das erinnern, was Sie mir seit langem prophezeit haben, wie es "einmal" kommen würde, wenn ich... - Und so ist es denn gekommen, ganz wie Sie sich's dachten. Nur, dass ich's nicht gleich glauben wollte und konnte. Aber nun weiss ich's. Ich kann nicht mehr den schriftlichen Gedankenaustausch mit dem fernen Freund fortsetzen. Ich kann's nicht mehr, weil ich das Gefühl hab', dass ich's nicht mehr darf. Und ich kann's auch nicht; sonst komme ich nicht zu der inneren Ruhe, die für mich und meinen Verlobten so wünschenswert ist; sonst müsst' ich jeden Abend verzweiflungsvoller beten und rufen: "Süsser Friede, komm, ach komm in meine Brust!"

Wie oft in letzter Zeit sind diese Worte über meine Lippen gekommen. Aber er kam nicht, der Friede; es wogte da zu viel auf und nieder in der zagenden Brust. Misstrauen rang mit Vertrauen, Glauben mit Hoffnungslosigkeit. Nun haben Glauben und Vertrauen den Sieg behalten; aber um fest und ruhig im Innern zu werden, dazu gehört noch viel mehr. Das spüre ich in Zeiten erneuter Bangigkeit. Ob Ihnen das alles fremd ist, was ich Ihnen da sage? Ich glaube nicht. Denn Sie kennen mich vielleicht besser, als ich selbst weiss. Ich hielt es im Anfang für möglich, unseren mir so lieb gewordenen Briefwechsel fortzusetzen; aber das war ein selbstischer Wunsch. Mein Verlobter hat mir so viele Proben seines tiefen herzlichen Vertrauens zu mir gegeben, und das eben fürchte ich zu verletzen, wenn ich einem Andern meine Innersten Gedanken mitteile. Ich könnte dann nicht feste Wurzel fassen in dem Herzen, das er mir schenkt, u. das mein sein will für's Leben. Und wir würden nur beide unglücklich werden. Wie ich meinen hohen Herrn kenne, ist das seine eigenste Überzeugung auch, u. er hat sich gewundert, dass die, die sich seine Freundin nennen darf, nicht eher zu diesem Entschluss sich durchgerungen hat.

Und so möchte ich Sie heut noch einmal aus tiefstem Herzensgrund meiner treuen Freundschaft für's Leben versichern, die nicht abnimmt durch den neuen Bund, den ich schliesse, die nur auf die äusseren Zeichen des Gedenkens verzichten muss. Ich bin der festen Überzeugung, dass Sie noch manchen Gruss von mir erhalten werden, und ebenso hoffe ich, dass sich mein ferner Freund, wenn je ihn das Herz dazu treibt, vertrauensvoll an mich wendet; denn im Herzen bleib' ich immer dieselbe für ihn, die ich von Anfang an gewesen bin. Im Gebet denke ich Ihrer und weiss, dass Sie dasselbe für mich tun. Es werden sich uns' re Gedanken noch oft unbewusst treffen; denn es ist ja auch nicht möglich, das die Zeit vom 11. August bis zum 27. Februar verlischt in der Erinnerung. "Es war ein Traum, den wir zusammen hatten."

Für Ihren letzten Brief danke ich Ihnen von Herzen. Mir wird alles das, was Sie mir in Ihren lieben Briefen gegeben haben, widertönen in Ihren Melodien, wenn ich am Montag in der Hochschule Ihrer Musik lausche, und sie wird mir wie ein persönlicher Abschiedsgruss des Freundes klingen.

Der Brief wird Sie morgen an dem Gedenktage Ihrer Hochzeit treffen; möchten Sie ihn mit liebevollem Herzen lesen und ihn dann weglegen, ohne dem Freunde zu zürnen. -

So komme ich zum Schluss in Gedanken so zu Ihnen, wie am 10. August auf die Terrasse, küsse Ihnen die liebe Hand und spreche zu Ihnen die Worte, die Sie mir damals sagten: "Ich werde sehr viel an Sie denken müssen."

Gott befohlen für alle Zeit.
In unwandelbarer Freundschaft

H.H.

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