J. G. Rheinberger berichtet David Rheinberger von seiner Italienreise


Brief von Josef Rheinberger an David Rheinberger:

 

München, 13.10.1874  

Lieber Bruder David!

Deinen letzten Brief erhielt ich in Venedig, da ich die allenfalls noch nachträglich nach Florenz kommenden Briefe nach Venedig senden liess; als ich zum erstenmal per Gondel unter der Seufzerbrücke durch nach der Post fuhr, wartete Dein Brief schon auf mich.

Von Mailand fuhren wir nach Bologna, einer Stadt, die noch einen gewissen ehrbar-mittelalterlichen Eindruck macht. Das Sehenswürdigste dort ist die Gemäldegalerie, und in dieser wiederum die Sta. Cäcilica von Rafael, dieselbe, welche Fanny auf die Vaduzer Kirchenfahne [1] sticken liess. Ferner hochinteressant ist das alte Universitätsgebäude mit seinen Sammlungen, seinen wissenschaftlichen historischen Räumlichkeiten - z.B. das Zimmer, in welchem Galvani den Galvanismus entdeckte usw. - von Kirchen, geraden und schiefen Thürmen nicht zu reden. Sodann ist Bologna die Stadt der Barbiere und Friseure; jeder andere Laden dient diesen herrlichen Geschäften; da meine Mähne für das italienische Klima zu lang und dicht war, so liess ich mich dort auch scheren. Im Bahnhof kaufte ich mir die Allgemeine Zeitung, (da mir das politische "Trumm" ausgegangen war) für 1/2 Franc (was eine schwere Hand voll Kupfergeld ausmacht) und so dampften wir durch die 6 Tunnels der Apeninnen-Bahn, welche durch ihre Kühnheit die Brennerbahn übertrifft. In den Apeninnen sieht es stellenweis doch recht "fradiavolisch" aus, da in ziemlich derselben Gegend im August eine Socialdemokratenbande den Eisenbahnzug überfiel und plünderte, so waren alle Stationen militärisch besetzt. Auf der Höhe des Gebirges hat man, aus einem halbstündigen Tunell kommend, einen unbeschreiblich herrlichen Blick über Pistoja, das ganze Arnothal, Florenz in der Ferne, - gerade so, wie man's manchmal träumt. In Florenz blieben wir 5 Tage. Die Gemäldegalerien in den Uffizien und im Palazzo Pitti sind die schönsten, die ich bis dahin gesehen, trotz Dresden und Wien - sowas lässt sich gar nicht beschreiben; hingegen enttäuschte uns der Dom gründlich: In der Kirche Santa Croce wird einem wunderlich zu Muth, wenn man so die Grabmäler von Michelangelo, Dante, Machiavelli, Galilei, Cherubini usw. nebeneinander sieht - sowas haben wir in Deutschland gar nicht. Am meisten Eindruck machte mir aber die Zelle Savonarolas im (aufgehobenen) Kloster San Marco - dort sind seine Reliquien, auch noch ein Stück von dem halbverbrannten Kreuz, das er bei seiner Verbrennung in der Hand hielt! Von dieser engen Zelle aus beherrschte dieser seltsame arme Mönch das reiche, mächtige und aufgeklärte Florenz fast 4 Jahre lang! Die Zellen (22 an der Zahl) sind von Fra Angelico Fiesole, der auch dort Mönch war, ausgemalt - wunderbar! Ebenso herrlich ist ein Blick von den Höhen von San Miniato, (3/4 Stunde von Florenz), wo Michelangelo Befestigungswerke anlegte, die noch vorhanden sind; man sieht von da, wenn man an einem so herrlichen Abend, wie wir ihn hatten, oben ist, die Apeninnen sich gegen Rom hin verlieren und hat dabei ganz Florenz mit dem Arnothal zu Füssen!

Wir fuhren dann nach Bologna zurück und ohne Aufenthalt nach Venedig, wo wir noch eine Woche blieben. Wenn man das adriatische Meer sehen will, so fährt man mit dem Dampfschiff noch eine halbe Stunde auf dem Lido - wir hatten immer prachtvolles Wetter – und so war auch dieser Anblick wunderschön. Die Fischer zogen eben ein viertelstund-langes Netz zusammen, in dem tausende von Sardellen, grössere Fische und andere Meerungeheuer waren - während man von unabsehbarer Ferne die Orientdampfer daherkommen sah. Der Dom San Marco, der Dogenpalast, die Academie - Alles ist herrlich, aber Armuth und Gebettel ganz entsetzlich. Auf der Rückfahrt hielten wir einen Tag in Botzen und einen in Innsbruck - das Wetter war anhaltend prachtvoll - und so hatten wir in 23 Tagen des Schönen und Herrlichen fast zu viel gesehen!

Nun bin ich wieder im Geschirr. Sage Maly, die ich herzlichst grüsse, dass die junge Frau Monten, die ich heute condoliren besuchte, sich sehr nach ihr erkundigte und sie grüssen lässt. Wir sind wohl und gesund, was wir auch von Euch und Peter's hoffen und grüssen Euch aufs Beste. Gott befohlen!

Dein Dich liebender Bruder

Kurt.

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[1] Josef und Fanny Rheinberger hatten 1873 für die neue Pfarrkirche in Vaduz eine Kirchenfahne gestiftet.