Josef G. Rheinberger schreibt seiner Schwester Elisabeth, nimmt Stellung zu Vaduzerneuigkeiten und schildert den Tagesablauf des Sonntags.


Brief Josef G. Rheinberger an seine Schwester Elisabeth
21. März 1858, München

Liebe Schwester!
Das 3te mal gilt! rneinst Du? Wenn dem so wäre, so dürfte ich erst in dem nächsten Sommer 1859 nach Hause kommen - das ware das dritte mal. Doch hoffe ich, da auch das 2te mal gelten darf. Deinen wichtigen Vaduzer=Neuigkeiten zufolge, wären alle Vaduzerinnen heirathslustig, also auch s' Rentmeisters Lisi. Das ist recht leicht möglich, nur glaube ich, dass Dir damit noch nicht gedient ist. -
Übrigens gebe ich Dir den guten Rath - das bisher geschriebene den Anderen nicht zum Lesen zu geben, so's duan 's di no ploga [1]. Gelt! Der Geist, der in unserem ehemaligen Haus seinen Hockus-pockus treibt, ist wahrscheinlich von mir dazu beauftragt, denn ich kann es nicht verdauen, dass andere Leute diese alten, gemüthlichen Räume bewohnen. Ferners habe ich auch nichts dagegen, wenn der Geist sich durch einen Capuziner bannen lässt; wenn er nur die jetzigen Bewohner zuerst hinauswirft, das ist die Hauptsache. Dass das Mali (gib am a Kösle för mi [2]!) fleissig Orgel spielt hör' ich gerne, sowie auch, (laut Peter's l[iebem] Briefe) dass mein Predigtgesang noch hie und da daran kommt. Wenn ich so ein halb Jahr zu Hause wäre, wollte ich unsere Kirchenmusikalien schon ausmisten. dass unser Hans noch heirathet, hat mich sehr amusirt; ich möchte doch auch etwas von seiner zärtlichen Liebe zu der schönen Bergerin (a la Messmeri [3]) sehen. Den abermaligen Trauerfall irn Müller'schen Hause zu Balzers bedaure ich sehr. Du kannst der Frau Müllerin bei Gelegenheit mein Beileid bezeugen. Ich habe in diesem Monat auch einen lieben Bekannten durch den Tod verloren. Das lasst sich eben nicht ändern.
(Keh'r um!!!)
Ist Herr Vetter in Schaan schon nach Chur übergesiedelt und wer ist jetzt Pfarrer dort? Gwöss weder an Romansch [4] ?! Heut ist Sonntag, prachtvolles Wetter und vie-----------le La---------------ngeweile. Um 7 Uhr bin ich aufgestanden, habe Noten geschrieben bis 1/2 9 Uhr, bin in die Theatinerkirche zum Hl. Geistspielen, hatte von .10 - 11 Amt, dann ging ich spatzieren, um 1Uhr ging ich zurn Essen: um 1/2 1 musste ich in eine einhalbe Stund entfernte Strasse, dort von 1 - 2 Stund geben, "hernach" ging ich in's Kaffeehaus um Zeitungen zu lesen, Kafee zu trinken und 1/2 Dutzend Schachpartien zu spielen. Das Schachspielen ist meine liebste Unterhaltung, auch wohl die billigste, weil es hier nie um Geld gespielt wird. um 4 Uhr ging ich in den englischen Garten spatzieren, dort war aber fast die ganze Münchner Noblesse, so dass man vor lauter Crinolinen kaum durchkam. Dann trugen mich meine lieben Füsse nach Hause, und nun 1/2 7 Uhr Abend sitze ich hier und schreibe Dir bei offenem Fenster - nun wird's aber dunkel, und ich schliesse meinen Brief für heute, vielleicht für diese Woche, denn an den Werktagen habe ich wenig Zeit zu schreiben.

München den 21.3.58.

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[1] ...so's duan's di no ploga... = sonst plagen sie dich nur...
[2] (gib am a Kösle för mi) = gib ihm ein Küsschen für mich (=in meinem Namen)
[3] …schönen Bergerin (a la Messmeri) = schöne Triesenbergerin (ähnlich der Mesmersfrau)
[4] Gwöss weder an Romansch? = Gewiss wieder ein romanisch-sprechender Graubündner. (Viele Geistliche in Liechtenstein stammten damals aus Graubünden.)