Jos. Rheinberger schreibt von einer überwundenen Krankheit, die ihn am Schreiben gehindert habe, und dass er wie immer in Geldnöten ist.


Brief Jos. Rheinberger an die Eltern


München, 1. Februar 1853
Theuerste Eltern!
Sie werden besorgt gewesen sein, dass ich Ihnen nicht eher schrieb. Sie sollen aber sogleich vernehmen, dass es mir früher unmöglich war. - Seit gestern acht Tage lag ich krank. Es zeigten sich alle Symptome einer Halsentzündung, welche mich hinderten, das Bett zu verlassen; dann ein ganz neues Übel, nämlich Drüsen, vollendeten noch mein Unwohlsein. Nun aber, da alle diese Übel gehoben sind, ist es meine erste Aufgabe, Ihnen, theuerste Eltern! zu schreiben. Da ich während dieser Zeit einige Unterrichtsstunden versäumen musste, so seien Sie versichert, dass ich es mir werde angelegen sein lassen, das wenige Versäumte eifrig nachzuholen. - Letzten Samstag, als am Namenstage des Hr. Directors, musste ich mein Unwohlsein überwinden und an dem Concerte teilnehmen, und spielte zwei Piecen. Sonntags musste ich wieder das Bett hüten, gestern und heute aber kann ich die Unterrichtsstunden besuchen. -
Sie fragten mich in Ihrem letzten Briefe, wie's um das Orgelspielen stehe, - aber ich schrieb ja schon früher, dass ich auf Empfehlung des Hr. Prof. Herzog in der Ludwigskirche den Orgeldienst versehe, aber natürlich ohne Gehalt und blos der Übung wegen. -
Im Hoftheater sah ich vor kurzem "Die Stumme von Portici"[1] und "Guido"[2].
Ich habe sehr viele Ausgaben zu bestreiten, bald dieses, bald jenes, welches sich gleich summirt.

Es freute mich sehr, erfahren zu haben, dass Anton schon so geschickt und fleissig ist; wie oft muss ich ihm aber sagen lassen, dass er mir schreibe. Weiss man noch nicht, ob David eine Anstellung bekommt?
Wie geht es Ihnen, theuerste Eltern, und meinen lieben Geschwister? Es ist schon lange Zeit, dass ich nichts von der lieben Mutter hörte; daraus schliesse ich, dass sie gesund ist. Spielt Mali fleissig Klavier oder vergisst sie alles? Führt Anton die Aufsicht noch mit der eisernen Strenge wie damals?-
Ich schliesse in der sichern Hoffnung, bald von lieb' Brüderchen ein ... zu erhalten.
Leben Sie wohl und entziehen Sie nie Ihre väterliche Liebe
Ihrem ewig dankschuldigen Sohn
Joseph Rheinberger.

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[1] "Die Stumme von Portici" = Oper von Daniel François Esprit Aubert
[2] "Guido" = "Guido und Ginevra", Oper von Jacques Elie Fromental Halévy