Maschinenschriftliches Schreiben der Kabinettskanzlei, gez. Kabinettsdirektor Josef Martin, an die Domänenverwaltung Vaduz [1]
20.8.1924, Bad Gastein
Gutenberg, käufliche Überlassung des fürstl. Besitzes dortselbst an Gemeinde Balzers
Auf Zl. 377 der Domänenverwaltung Vaduz vom 11./8. [2] und nach erfolgtem Einvernehmen mit der fürstlichen Regierung [3]
Die Domänenverwaltung hat anher berichtet:
„Der verstärkte Gemeinderat von Balzers hat am 15. Juli l.J. eine Sitzung abgehalten und von 12 Anwesenden mit 11 Stimmen / die 12. war leer / folgenden Antrag gefasst:
Die Gemeinde Balzers ist bereit, beim Kauf des Besitzes von Gutenberg 20‘000 Franken in bar zu bezahlen. Für den restlichen Betrag von 25‘000 Franken erbittet die Gemeinde eine unverzinsliche Stundung auf 10 Jahre. Dagegen verpflichtet sich die Gemeinde Balzers den ehrwürdigen Schwestern [vom Kostbaren Blut] gegen einen dem jeweiligen Zinsfuss von 20‘000 Franken gleichkommenden Betrag, welcher momentan bei 6 % 1200 Franken als jährlichen Mietzins ergibt, das ganze fürstliche Anwesen in Gutenberg auf 10 Jahre mietweise zu überlassen. Sollte die Gemeinde Balzers nach Ablauf dieser Mietperiode genanntes Anwesen zu Gemeindezwecken noch nicht dringend benötigen, so wäre selbe bereit, diesen Besitz auf eine weitere Anzahl von Jahren unter denselben Bedingungen an die ehrwürdigen Schwestern zu verpachten.
Die ehrwürdigen Schwestern müssten sich aber verpflichten, die Gebäulichkeiten auf eigene Kosten entsprechend instand zu halten wie auch alle hierauf sich ergebenden Lasten wie Steuern, Feuerversicherungsprämie, Wasserzins, Lichtzins etz. aus eigenen Mitteln zu bestreiten.“
Die Domänenverwaltung wird nunmehr beauftragt, nach ehendem mit der Gemeinde Balzers den Kaufvertrag abzuschliessen und die ew. Frau Oberin [Anna Berger] des Ordens vom kostbarsten Blute in Gutenberg in freundlichster Form aufzuklären, dass das Entgegenkommen der Gemeinde gegen den Orden unter den obwaltenden Umständen, speziell auch im Hinblicke auf den mit der fürstl. Verwaltung seitens des Ordens bestehenden Pachtvertrag, welcher beiderseits eine einjährige Kündigung vorsieht, als genügend befunden werden muss. [4]
Ergeht an Domänenverwaltung Vaduz und zur Kenntnis an die fürstl. Regierung, Zentralkanzlei und Zentralbuchhaltung.
Im h. Auftrag:
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[1] LI LA RE 1924/3971 ad 2434 (Aktenzeichen der Kabinettskanzlei: No. 54/7). Vermerk: „Höchste Signatur am Akte, Registratur Kabinettskanzlei“. Eingangsstempel der Regierung vom 22.8.1924.
[2] Vgl. das Schreiben der Forst- und Domänenverwaltung Vaduz (Julius Hartmann) an die Kabinettskanzlei vom 11.8.1924 (LI LA RE 1924/2434 (Aktenzeichen der Domänenverwaltung: 377/1924)).
[3] Regierungschef Gustav Schädler hielt am 16.8.1924 fest: „Es will uns scheinen, dass die Frau Oberin in Gutenberg sich ziemlich frei benimmt. Wir können zu deren Vorgehen nur unser Erstaunen ausdrücken. Das Angebot der Gemeindevorstehung Balzers an den Orden ist übrigens sehr entgegenkommend und die Schwestern täten gut, wenn sie überhaupt Wert darauf legen, sich noch weiter hier aufzuhalten, das Angebot ungesäumt zu acceptieren. Die Qualität des gegenwärtig in Gutenberg domizilierenden Ordens ist, nebenbei bemerkt, gegen diejenige der früheren Schwestern vom Orden der christlichen Liebe abgrundtief verschieden. Unsererseits haben wir absolut keinen Anlass, von der fürstlichen Entschliessung, die der Gemeinde Balzers das Haus zum Kaufe überliess, abzugehen. Die Gemeinde Balzers hat die gestellten Bedingungen nach unserer Ansicht vollauf erfüllt und wir können nur lebhaft dagegen protestieren, dass von unverantwortlicher Seite hinter dem Rücken der Regierung immer wieder versucht wird, fürstliche Entschliessungen zu hintertreiben. Wir ersuchen dringend, die Domänenverwaltung Vaduz zu beauftragen, mit der Gemeinde Balzers endlich den Kaufvertrag abzuschliessen und das Entgegenkommen der Gemeinde gegen den Orden als genügend zu befinden. Gegen die Etablierung eines förmlichen Klosters in Gutenberg würden wir überhaupt entschieden Stellung nehmen.“ (LI LA RE 1924/3904 ad 2434).
[4] Vgl. in weiterer Folge das Schreiben der Regierung an die Kabinettskanzlei vom 6.9.1924 (LI LA RE 1924/3791 ad 2434).