Die Oberrheinischen Nachrichten berichten über den ersten liechtensteinischen Katholikentag am 8.9.1921 (Teil II: Rede von Bischof Georg Schmid von Grüneck)


Zeitungsbericht über die Rede von Bischof Georg Schmid von Grüneck, nicht gez. [1]

17.9.1921

Liechtensteinischer Katholikentag.

(Fortsetzung der Rede des Bischofs.)

Christus habe die Freiheit der Kirche mit seinem Blute erkauft, und über diese Freiheit möchte er sprechen. Er hoffe, dass seine Worte nicht auf den Weg der Gleichgültigkeit und unter die Dornen der Kritik fallen möchten, sondern Früchte der Starkmut im Glauben im privaten und öffentlichen Leben.

Doch zuerst wolle er den Rechtsanspruch der Kirche beweisen. Was ist Freiheit? Freiheit sei das geduldigste und vieldeutigste Wort der menschlichen Sprache, ein Traum bei allen Völkern, eine Phrase, ein Register in allen Orgeln. Aber sie sei u. a. eine taube Nuss, bis man nicht sage, wovon man frei sei. Um klare Begriffe zu schaffen, müsse man zuerst sittliche Freiheit unterscheiden, d. i. Freiheit von Wahnideen, Vorurteilen, Leidenschaften usw. Diese sittliche Freiheit könne niemand wegnehmen (Beispiel: die Märtyrer). Von dieser Freiheit habe der Dichter gesprochen.

Die bürgerliche Freiheit dagegen ist die äussere und bestehe darin, dass die Menschen, oder menschlichen Verbände im Umkreise ihrer rechtmässigen Wirksamkeit nicht durch ungerechte Eingriffe von Aussenstehenden geknechtet werden (z. B. deutscher Kulturkampf; neuestens in Frankreich gegen die Kirche). Beim Thema Freiheit der Kirche handle es sich um die bürgerliche Freiheit: Freiheit auf allen kirchlichen Gebieten (Predigen, Christenlehre, Verwaltung ihrer Güter, Freiheit auf kirchenpolitischem Gebiete). Die Kirche soll vor Übergriffen in ihre unveräusserlichen Rechte verschont bleiben.

Über schweizerische katholische Staatsmänner des letzten Jahrhunderts habe einer den Ausspruch getan: Im Katechismus sind sie noch ordentlich unterrichtet gewesen, den Begriff der Kirche haben sie nicht recht begreifen können! Vom Bischof wollten sie wenig wissen, weil sie selber Bischof sein wollten. Gewissen Gesetzgebungen könnte dies ins Stammbuch geschrieben werden, welche glauben, die kirchlichen Verhältnisse in ihrem Lande einseitig regeln zu können. Das sei ein Irrtum: ein Weg, der für treue Katholiken durchaus ungangbar sei. Die katholische Kirche als Stiftung Christi sei nicht ein Teil des Staates, noch diesem irgendwie unterstellt. Die katholische Kirche als solche Stiftung sei eine freie rechtsfähige Gesellschaft, die in Ausübung ihrer von Gott verliehenen Mission sich selbständig betätigen und nicht tyrannisiert werden könne. Dieser Rechtsanspruch der Kirche sei vorerst im Evangelium begründet: Christus der Stifter habe die Kirche als vollkommene Gesellschaft gegründet, die nicht bei andern für ihre notwendigen Mittel betteln gehen müsse, um zu bestehen und ihre Aufgabe zu erfüllen. Er habe die Kirche als unabhängige Gesellschaft gegründet. Beweis: Die geschichtliche Tatsache, dass Christus nicht [bei] irgend einer Instanz, weder beim Kaiser in Rom, noch beim römischen Prokonsul, noch beim Landpfleger, noch bei den jüdischen Behörden um irgend eine Erlaubnis nachgesucht hat. Redner zitiert Stellen aus dem Evangelium.

Gegen die Verquickung der bürgerlichen und geistlichen Macht (sogen. Zäsarenpapinismus) habe sich Christus ausgesprochen. Gottes Reich auf Erden sei die Kirche, ihre von Gott gesetzten Organe, Papst und Bischöfe, sind die Träger der öffentlichen Gewalten. Sie tragen diese göttlichen Gewalten durch die Jahrhunderte bis zum jüngsten Tage.

Wer könnte im Christentum sein, wenn er sich über diese durch das Schrifttum bezeugten Anordnungen Christi hinwegsetzen wollte? Entweder anerkenne man sie und dann sei man Christ oder aber man lehne sie ab und [dann] sei man nicht mehr Christ.

Dieser Rechtsanspruch der Kirche auf Freiheit ist verbrieft und versiegelt in den Lehren und Beispielen der Apostel (Galaterbrief, Apostelgeschichte). Nach diesen Grundsätzen haben die Apostel gehandelt, als der hohe Rat von Jerusalem das erste polizeiliche Predigerverbot ihnen zugestellt hatte. Die Apostel haben weder die Autorität des alten jüdischen Staates, noch jene des römischen Reiches anerkannt, wo es sich um die Rechte der Kirche handelte, und so haben es alle heiligen und berühmten kirchlichen Männer gehalten. So haben auch alle weltlichen und christlichen Mächte die Freiheit der Kirche verstanden (Kampf Gregors VII. ).

Hieraus könne das versammelte Volk ersehen, wie die grössten und besten Männer die Freiheit der Kirche und ihr Wirken anerkannt haben. Diese Wahrheit öffentlich und ehrlich anerkennen, heisse sich nicht erniedrigen, sondern sei Christenpflicht. Wohin Reiche mit ihrer bürgerlichen Freiheit kommen, wo die Kirche geknebelt worden, das beweisen Beispiele aus alter und neuer Zeit (z. B. jetziges Russland). Wo Willkür der Menschen herrsche, da Knechtschaft; wo der Geist des Herrn, da Freiheit.

Wenden wir das Gesagte auf die Geschichte unserer Tage an, sagt Redner. Er wolle nicht sprechen von der altehrwürdigen Habsburger Monarchie; er wage zu hoffen, dass trotz allem sich das schöne Wort des Dichters erfülle: Österreich zum Kreuz flüchtend wird wiederum Österreich. Die Frage dürfe man füglich stellen, ob dem armen Lande nicht ein besseres Los beschieden gewesen wäre, wenn in der neueren Gesetzgebung nicht so schwer an der Freiheit der Kirche gerüttelt worden wäre (Josefinismus, 1870 einseitige Aufhebung des Konkordates). Redner wolle nicht von dem am Rande des finanziellen Abgrundes stehenden Frankreich sprechen. Auch für dieses Land sei die Weltgeschichte das Weltgericht. Ein schweizerischer Missionsbischof, der lange in Norddeutschland gewirkt, habe gesagt, er möchte nicht die Rute sein, mit welcher man die Kirche schlage, regelmässig habe sie Gott ins Feuer geworfen.

Was uns heute versammelte Katholiken und mich als Landesbischof besonders angeht, ist, dass Ihr Volk und Ihre Behörden vor einem für das Wohl des Landes bedeutsamen Markstein steht, vor einer neuen Verfassung. Was den Inhalt der Verfassung betrifft, so sage er im gleichen Sinne wie sein Amtsvorgänger Bischof Betaglia [Johannes Fidelis Battaglia] an das katholische Volk von Schwyz geschrieben habe: Ich anerkenne und spreche es öffentlich aus, Kirche und Staat sind zwei selbständige Gebiete des Reiches Gottes auf Erden. Auch die staatliche Gewalt stammt von Gott. Sie ist von der Kirche unabhängig, deshalb könne sie den bürgerlichen Haushalt unter Wahrung der Rechte der gesetzmässigen Obrigkeit nach Gutdünken einrichten. Kein Bischof werde sie daran hindern.

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[1] O.N. 17.9.1921, S.1.