Ein Teilnehmer schildert die Reise von ca. 100 Liechtensteinern an den Eucharistischen Weltkongress in Wien, mit der eine Besichtigung diverser fürstlicher Besitzungen verbunden war (Teil I)


Zeitungsbericht, nicht gez. [1]

27.9.1912

Unsere Landsleute in Wien. „Wer einmal eine Reise tut, der kann auch was erzählen", lautet ein alter Spruch. Lasst uns also hören, was die Liechtensteiner, die über hundert an der Zahl zum eucharistischen Kongress nach Wien gereist sind, uns zu erzählen wissen. Es muss ihnen nicht schlecht ergangen sein, denn sie sind mit heiteren Gesichtern heimgekommen.

Am Mittwoch, den 11. Sept., zogen sie aus mit dem ersten Schnellzug, der um 2 Uhr morgens von Buchs abgeht. Die Oberländer stiegen in Buchs ein, die Unterländer in Feldkirch und einige, die eine Nachtfahrt scheuten, waren vorausgefahren und stiessen in Innsbruck morgens 6 Uhr mit ausgeschlafenen Augen zur Karawane. Da für 100 Liechtensteiner Plätze bestellt worden waren, blieben sie auf der ganzen Tour so ziemlich bei einander.

Die Fahrt ging von Westen nach Osten durchs „heilige Land Tirol", dann durch das salzburgische Gebiet, durch das wildromantische Selztal, dann durch das Hügelland von Ober- und Niederösterreich, an einfachen Bauerndörfchen mit einstöckigen, strohgedeckten, oft auch grasüberwachsenen Häusern, aber auch an schmucken Städtchen und grossen Städten, herrlichen Kirchen, hochragenden Klöstern in zaubervoller Lage, an rauschenden Bergströmen und der blauen Donau vorüber, was alles die Aufmerksamkeit in Spannung hielt und die lange Fahrt verkürzte. Die Gesellschaft blieb froh und munter; nur dass der Mangel gewohnter Nachtruhe und eines tüchtigen Morgenkaffees bei Einzelnen sich fühlbar machte.

Abends halb 7 Uhr fuhr der ellenlange Schnellzug mit einstündiger Verspätung in den Westbahnhof der Kaiserstadt ein. Aber wer beschreibt das Gewimmel und Gedränge, das am Bahnhof entstand, als die Wagen sich leerten und die Ausgestiegenen unter die vielen Hunderte sich mischten, die da standen, den ankommenden Zug zu sehen! Zum Empfange unserer Gruppe hatten sich Herr Kabinettsrat [Karl] von In der Maur, Herr fürstl. Sektionsrat [Zdenka] Husza und dessen Sohn, Herr Pfarrer Dr. [Georg] Marxer und die vom Wohnungskomitee bestimmten Führer eingefunden. Aber nun galt es, aus der Menschenmenge unsere Leute zu sammeln und in die für sie bestimmten Quartiere führen zu lassen. Es glückte in kurzer Zeit, wobei es uns zu statten kam, dass wir als Erkennungszeichen die gelben Festzeichen von unserem Jubiläum [2] trugen. Der Namensaufruf ergab, dass kein teures Haupt von unserer Gesellschaft fehlte. Auch die Einquartierung ergab keine Schwierigkeiten, da genügend Betten in Bereitschaft standen. Dass nach einer 16stündigen ununterbrochenen Schnellzugsfahrt nach eingenommener Erfrischung das Bedürfnis nach Ruhe und Schlaf sich geltend machte, ist leicht auszurechnen.

Am Donnerstag wurde vormittags der Stephansdom besucht, wo der Kardinal von Rossum, der Vertreter des Papstes, das Hochamt hielt, und dann die fürstliche Gemäldegalerie besichtigt, die herrliche Werke in grosser Zahl und von unschätzbarem Werte enthält. Am meisten wurden die Grossen und prachtvollen Nadelmalereien (Gobelins) bewundert. — Nachmittags wurden Ausflüge ausser die Stadt unternommen, um einen Überblick über die Stadt und Umgebung zu gewinnen. — Abends gings nach dem Prater, um einer Festversammlung des Kongresses beizuwohnen. Die Versammlung fand in einem ungeheuren Rundbau, Rotunde genannt, statt; die Zahl der Anwesenden, die den Riesensaal füllten, wird auf 15,000 angegeben. Es waren der Thronfolger [Franz Ferdinand] und seine Gemahlin, andere Mitglieder des Kaiserhauses, mehrere Kardinäle und viele Bischöfe und hochgestellte Männer aus dem Laienstande anwesend. Den Glanzpunkt bildete die Rede des Jesuitenpaters Grafen von Andlau, der über das Thema sprach: Die Eucharistie das Leben Österreichs. Als er am Schlusse seiner Rede der kaiserlichen Familie und speziell dem Kaiser [Franz Josef I.] dankte für die eifrige Teilnahme am eucharistischen Kongress, erhob sich die ganze ungeheure Versammlung und ging ein unbeschreiblicher Jubel los. Als die Festversammlung zu Ende war, zog eine wahre Völkerwanderung aus dem Prater nach der Stadt zurück.

Am Freitag regnete es. Trotzdem machte der grössere Teil unserer Landsleute einen Ausflug nach dem Kaiserschlosse Schönbrunn, wo die grossartigen Parkanlagen und die interessante Menagerie gesehen werden konnten. Andere besuchten die Versammlung der Deutschen in der Augustinerkirche, wo der Bischof von Speier über die Pflichten der Frauen unserer Zeit und ihre Mithilfe in der Seelsorge eine herrliche Predigt hielt.

Auf nachmittags war ein Ausflug nach Mödling, der Stammburg des Hauses Liechtenstein, angesagt. Auf dem Wege erfuhr man, dass im Laufe des vormittags Se. Durchlaucht, der regierende Fürst [Johann II.] ebenfalls nach Mödling gekommen sei. Das erweckte die Hoffnung, bei diesem Anlasse, den allverehrten Landesherrn sehen zu können. Und diese Hoffnung sollte nicht getäuscht werden! Bei strömendem Regen wurde abgefahren. Es war aber schon ein gutes Zeichen, als es hiess, die Fahrkarten seien bereits durch den fürstlichen Sektionsrat gelöst worden. Von der Stadt Mödling aus musste eine Strecke zu Fuss zurückgelegt werden. Es ging durch eine prachtvolle Waldanlage, die das Schloss Liechtenstein umgibt. Am Ziele angelangt konnten wir das alte, durch den regierenden Fürsten restaurierte Stammschloss, das von felsiger Höhe mit seinen hochragenden Zinnen die ganze Gegend beherrscht, besichtigen, während Herr Kabinettsrat im neuen Schlosse bei dem dort anwesenden Fürsten Audienz hatte. Dann wurden auch fünf andere Herren (Kanonikus [Johann Baptist] Büchel, Pfarrer [Gustav Alfons] Burgmaier, Abg. [Lorenz] Kind, Reallehrer [Fidel] Ospelt und Oberlehrer [Josef] Frommelt) zur Audienz berufen. Der Fürst sah sehr frisch aus, gab seiner Freude Ausdruck darüber, dass so viele Liechtensteiner zu diesem religiösen Feste gekommen waren und dass man seine Besitzungen besichtigen wollte. Der Herr Kanonikus dankte Se. Durchlaucht namens aller Teilnehmer für die gewährte Audienz und die Förderung ihrer Wienerreise. Der Fürst gab zum Abschied jedem freundlich die Hand. Dann trat der Fürst auf die Altane hinaus und grüsste freundlich alle vor dem Schlosse Versammelten, die auf ihn ein begeistertes Hoch ausbrachten. Dieser Moment, in dem sie ihrem allverehrten Landesvater so nahe gegenüber standen, wird allen Zeitlebens in Erinnerung bleiben. — Dann wurden wir in eine nahe Restauration geführt, wo wir als Gäste unseres Landesvaters aufs vortrefflichste bewirtet wurden. Es war eine helle Begeisterung, die sich Luft machte durch ein Abermaliges „Hoch" auf den fürstlichen Schlossherrn und Gastgeber. Der Herr Kanonikus wies in seinem Toaste hin auf die Vorfahren unseres Fürsten, die einst von dieser Burg zu Fehde und Turnier mit ihrem Tross auszogen und Reichtum und Ruhm sich erwarben. Der jetzige Besitzer dieser Burg, sagte er, Fürst Johann 2., ziehe nicht aus zu Kampfe und Fehde; sein Ruhm sei das Wohltun; arme Waisen und Witwen, Familien und Gemeinden reichen ihm den Lorbeer der Dankbarkeit für zahllose Wohltaten. Wie von selbst strömte die Volkshymne aus allen Kehlen, besonders kräftig die Worte: „Hoch leb der Fürst vom Land, hoch unser Vaterland!" — Herr Kabinettsrat brachte sein Hoch aus auf den Herrn Kanonikus, Oberlehrer Frommelt auf den Herrn Kabinettsrat und der fürstl. Hr. Oberverwalter v. Ruber auf die liechtensteinischen Gäste. Die Burg Liechtenstein, sagte er, habe schon manche Besuche erhalten, aber der heutige sei der ehrenvollste. — Nur zu schnell vergingen die schönen Stunden; es fing zu dunkeln an; wir mussten scheiden. „Nicht um 100 Kronen gäbe ich diesen Nachmittag", hiess es allgemein. — (Schluss folgt.)

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[1] L.Vo. 27.9.1912, S. 2 f.
[2] Zweihunderjahrfeier des Kaufs der Grafschaft Vaduz durch die Fürsten von Liechtenstein am 14.7.1912.