Gewerbeinspektor Franz Eberl beantragt bei der Regierung den Beitritt Liechtensteins zum Berner Übereinkommen vom 26.9.1906 betreffend das Verbot der Nachtarbeit der in der Industrie beschäftigten Frauen


Maschinenschriftliches Schreiben von Gewerbeinspektor Franz Eberl, gez. ders., an die Regierung [1]

10.6.1912, Bregenz

Wird der fürstlichen Regierung in Vaduz mit dem Berichte wieder [2] unterbreitet, dass das internationale Übereinkommen vom 26. September 1906 betreffend das Verbot der Nachtarbeit der in der Industrie beschäftigten Frauen von den Staaten Deutschland, Österreich-Ungarn, Belgien, Dänemark, Spanien, Frankreich, Grossbritanien [!] und Irland einschliesslich der britischen überseeischen Besitzungen, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal, Schweden und Schweiz abgeschlossen wurde. Österreich hat auf Grund dieses Übereinkommens [3] das beiliegende, am 1. August 1911 in Kraft getretene Gesetz vom 21. Februar 1911, R.G.Bl. No. 65, [4] erlassen.

Nach diesem Gesetze muss in allen gewerblichen Betrieben (ausgenommen das Gastgewerbe, die Molkereien und die Unternehmungen zur Erzeugung von Lebensmittelkonserven) mit mehr als 10 Arbeitskräften die ununterbrochene Nachtruhe der weiblichen Hilfsarbeiter mindestens 11 Stunden betragen und darf eine Verwendung dieser Hilfsarbeiter in der Zeit von 8 Uhr abends bis 5 Uhr morgens nicht stattfinden. Es ist also nicht bloss die Nachtarbeit verboten, sondern auch das Ausmass der Nachtruhe festgesetzt und damit auch die Überzeitarbeit der weiblichen Arbeiter besonders geregelt.

Obwohl in der Industrie des Fürstentums Liechtenstein derzeit weder Nachtarbeit üblich, noch auch die Arbeitszeit so bemessen ist, dass die Nachtruhe der weiblichen Hilfsarbeiter weniger als 11 Stunden betragen würde, so beehrt sich der Gefertigte trotzdem zu beantragen, dem eingangs erwähnten internationalen Übereinkommen beizutreten, um hinsichtlich der Frauenarbeit die gleichen Verhältnisse zu schaffen wie in den angrenzenden Staaten.

Schliesslich erlaubt sich der Gefertigte zu bemerken, dass er bereits die Absicht hatte, die hohe Regierung auf dieses internationale Übereinkommen besonders aufmerksam zu machen und die Erlassung eines diesbezüglichen Gesetzes anzuregen. [5]

Für den Gewerbe-Aufsichtsdienst:

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[1] LI LA RE 1912/1374. Aktenzeichen des Gewerbe-Aufsichtsdienstes im Fürstentum Liechtenstein: Zahl 23. Die Anfrage der Regierung war in Bregenz am 10.6.1912 eingelangt.
[2] Mit Schreiben vom 21.5.1912 hatte die Internationale Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz in Basel (Generalsekretär Stephan Bauer) bei Landesverweser Karl von In der Maur angefragt, ob nicht der Beitritt des Fürstentums zum Berner Übereinkommen vom 26.9.1906 betreffend das Verbot der Frauennachtarbeit in der Industrie "durchführbar" wäre (ebd.). Der Landesverweser hatte daraufhin am 9.6.1912 Ing. Eberl in Bregenz vom Gewerbe-Aufsichtsdienst im Fürstentum Liechtenstein bzw. vom k.k. Gewerbeinspektorat für Vorarlberg um Äusserung gebeten, ob sich der Beitritt Liechtensteins besonders empfehlen würde oder ob hievon mit Rücksicht darauf, das "hierlands in der Industrie Frauennachtarbeit sozusagen gar nicht vorkommt", abzusehen wäre (ebd.).
[3] Vgl. öst. RGBl. 1911 Nr. 64.    
[4] Vgl. das Gesetz vom 21.2.1911 betreffend das Verbot der Nachtarbeit der Frauen in industriellen Unternehmungen, öst. RGBl. 1911 Nr. 65.
[5] Ungeachtet dieses Antrages wurde die Angelegenheit vom Landesverweser am 20.6.1912 vorläufig ad acta gelegt.