Das Liechtensteiner Volksblatt schildert in einem Rückblick auf die ersten 12 Monate die katastrophale Entwicklung der Klassenlotterie (2.Teil)


Fortsetzung des Artikels "12 Monate Klassenlotterie" im Volksblatt vom 8.12.1926, nicht gezeichnet.[1]

18.12.1926

12 Monate Klassenlotterie.

Die Interpellation Peter Büchels im Landtage brachte die Gemüter beider Richtungen in nicht geringe Aufregung. Auf Seite der Volkspartei sah man sich vor der Türe des Gelobten Landes vom Cherubim mit feurigem Schwerte bewacht, auf Seiten der Bürgerpartei war man einfach paff. Die gemütlichste Rolle hat zu jener Zeit der Landtag gespielt, der, und vor allem dessen Präsident, ruhig zusehen konnte, wie das Land in den Sumpf geriet und an Ansehen immer mehr einbüsste.

Herr Dr. [Wilhelm] Beck hat sich irgendwo schriftlich verewigt, indem er sagte: „Die Klassenlotterie haben wir gebracht, die hat das Land uns zu verdanken.“

Diesen Ruhm gönnten wir ihm damals und machen ihm denselben heute erst recht nicht streitig. Wundern muss man sich nur, dass der Vertreter der geendeten Klassenlotterie heute noch die grosse Rolle im Lande spielt.

Zur Illustration der Grösse des damaligen Skandals muss ich noch beifügen, dass Sautier u. Co. bereits anlässlich einer Finanzkommissionssitzung dem Herrn Regierungschef [Gustav Schädler] in Gegenwart eines Abgeordneten erklärte, man könne ihn auf den Kopf stellen, was dann aus der Tasche falle, könne man haben.

So redete anfangs Dezember 1925 der Geldgeber für die Klassenlotterie in Liechtenstein, der leider Gottes zum heutigen Schuldner unseres Landes geworden ist. Wirklich traurig fürs Land und für die 495'000 Franken, die von demselben eingehen sollten.

Das Beklagenswerteste an der Sache war aber doch die Stellungnahme der damaligen Regierung, in deren Folge ein erbitterter Parteikampf entstehen musste. Durch die Ausführungen im Volksblatt gereizt, erklärte sie Prozesse, unternahm Aufklärungsreisen und Regierungschef und dessen Räte klärten in geheimen Parteiversammlungen auf.

Ich unterstreiche dieses „geheim" deshalb, weil bekanntermassen nur die Versammlungen in Ruggell und Schellenberg öffentlich waren. Sobald dann Herr Peter Büchel auf den Plan trat, traten andere ab und zogen sich in die gesicherten Hochburgen ihrer fanatischen Freunde zurück. Dass die Freunde der Bürgerpartei eine restlose Aufklärung der ganzen Angelegenheit ebenso sehr wünschten, das kümmerte die Herren wenig; sie verschwanden vom öffentlichen Schauplatze.

Welche Erbitterung damals einen grossen Volksteil erfasste, der sich vor seiner Regierung verlassen und getäuscht sah, haben die Wahlkämpfe gezeigt. Um die Situation zu retten, musste sogar der liechtenst. Geschäftsträger von Bern, Herr Dr. E. Beck, ins Amtshaus nach Vaduz und Herr Dr. Reich von Feldkirch war in der Anklageschrift gegen die Herren Dr. Marxer und Rat Ospelt so freimütig, zu behaupten, die Genannten hätten nicht im Interesse der Allgemeinheit gehandelt, als sie gegen die Klassenlotterie Stellung nahmen. Das darf uns ein Ausländer und zugleich Rechtsanwalt der Regierung sagen, nachdem die erste Klassenlotterie zur elenden „Klassenlotterie" geworden ist. Wundern wir uns darum nicht mehr, dass damals in den Herzen nicht fanatischer Volksparteiangehöriger das Lebensflämmchen erlosch trotz der wiederholten Beteuerungen des Reg.-Chefs: „Kein Centime wird geschenkt!" Wir wundern uns aber auch nicht darüber, dass in den „Aussenstehenden" das Vertrauen in die damalige Regierung und dessen Chefs so sehr erschüttert wurde, dass es schwer sein wird, dasselbe wieder zu festigen.

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[1]L.Vo. Nr. 104, 18.12.1926, S. 1. Als Autorenangabe trägt den Artikel den Vermerk „(+=Korr.)“.