K.k. Gewerbeinspektor Hubert Stipperger orientiert die liechtensteinische Regierung über Mängel und Unzulänglichkeiten in der Baumwollweberei der Gebrüder Rosenthal im Mühleholz


Handschriftliche Beilage zum Bericht des k.k. Gewerbeinspektorates für Vorarlberg, gez.  Hubert Stipperger, an die liechtensteinische Regierung [1]

o.D. (20.3.1909), o.O (Bregenz)

Baumwollweberei der Gebrüder Rosenthal A.G. in Mühleholz

Beschäftigte Arbeiter:

männliche über 16 Jahre

58

weibliche von 14-16 Jahren

9

weibliche über 16 Jahren

108

Summe

175

Zahl der Unfälle, welche angezeigt wurden: 0.

Arbeitszeit: 11 Stunden.

Im Interesse des Arbeitsschutzes sogleich zu treffende Anordnungen [2]

a.) Die Aussenfenster der Websäle sind zum Öffnen einzurichten.

b.) Die Ventilation des Dampfmaschinenhauses ist zu verbessern; zu dem Ende könnte an der rückwärtigen Wand ein Fenster in den Hausflur ausgebrochen werden.

c.) Die Türen des Kesselhauses sowie der Arbeitsräume sollen nach Aussen aufschlagen.

d.) Der Heizer ist der vorgeschriebenen Prüfung zu unterziehen.

e.) Den Arbeitern ist gesundes Trinkwasser beizustellen.

f.) Für erste Hilfeleistung sind entsprechende Verbandstoffe sowie blutstillende und antiseptische Mittel vorrätig zu halten.

g.) Bei der Kreissäge ist ein Spaltkeil anzubringen.

i.) Betreffend Dampfkesselhaus siehe allgemeinen Bericht.

Bemerkungen zur Arbeitsordnung vom 30. November 1884 [3]

Zu § 1. Die tägliche Arbeitszeit und die Dauer der Ruhepausen soll genau festgesetzt werden.

Zu § 2. An Stelle des Wortes „Kinder“ wäre jedesmal jugendliche Hilfsarbeiter zu setzen.

Zu § 6. Das Intervall zwischen dem Schluss-Lohnperiode und der Auszahlung der Löhne soll nicht länger als eine Woche dauern.

Zu § 7. Der freie Wille, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, kann nicht eingeschränkt werden; die Strafe für gesetzwidrigen Austritt soll nicht höher als mit einem Wochenverdienst bemessen werden.

Die Fälle, in welchen das Arbeitsverhältnis sofort /: ohne Kündigung :/ gelöst werden kann, sind dem Wortlaute der Gewerbe-Ordnung [4] entsprechend anzuführen, §§ 9, 12, 15, 17, und dürfen nicht erweitert werden.

Zu § 8. Reklamationen über die Berechnung des Arbeitslohnes sollen noch wenigstens am nächstfolgenden Arbeitstag angenommen werden.

Zu § 12. Die im Schlusssatz zur Schadloshaltung getroffene Bestimmung entspricht nicht den geltenden Rechtsgrundsätzen.

Zu § 14. Die Verhängung einer Geldstrafe zu Gunsten des Anzeigers wird heute nicht mehr als angezeigt erachtet.

Zu § 16. Sämtliche Strafgelder, mit einziger Ausnahme der Entschädigung für schlechte Arbeit, sollen der Krankenkasse oder einem anderen wohltätigen Zweck zugeführt werden.

Es fehlen in der Arbeitsordnung ferner Bestimmungen über die Sonntagsruhe, über die Unfallversicherung, über den Tag, an welchen die Lohnzahlung erfolgt und über die Abzüge, welche vom Lohne gemacht werden können.

Bemerkungen zum Krankenkassenstatut [5]

Der im § 5 enthaltene Vorbehalt betreffend die Ausfolgung des Krankengeldes nur an solche Arbeiter, welche bei der Aufnahme vollkommen gesund waren und 24 Tage bereits im Betriebe sind, hätte zu entfallen.

Das Krankengeld beträgt nur 50 % des Verdienstes.

Eine Wöchnerinunterstützung und ein Begräbnisgeld werden nicht gewährt.       

Die Fallfrist von 6 Tagen betreffend die Vergütung der ersten beiden Krankentage wird nicht als zweckmässig erachtet.

In den Bestimmungen des § 6 wäre den Rekonvaleszenten eine entsprechende Berücksichtigung angedeihen zu lassen, falls sie noch länger von der Arbeit aussetzen wollen.

Bei einer Änderung der Arbeitsordnung ist der § 8 des Statutes mit derselben in Einklang zu halten.

Der Obmann der Krankenkasse und dessen Stellvertreter sollen gewählt werden.

Die Obliegenheiten des Vorstandes der Kasse und der Generalversammlung wären festzusetzen.

Die Zusammensetzung des Schiedsgerichtes beziehungsweise die Stellung der Schiedsrichter soll besser präzisiert werden (§ 10).

Ein Rekursrecht an die Regierung gegen das Urteil des Schiedsgerichtes wäre zu statuieren.

Der Regierung wären gewisse Rechte betreffend die Auflösung der Krankenkasse zu reservieren (§ 11).

Die im § 11 vorgeschriebene Gebarung entspricht nicht der tatsächlichen Gepflogenheit, weshalb die Bestimmung über den Reservefond umzuarbeiten wäre. [6]

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[1] LI LA RE 1909/ad 0545. Zum Bericht von Stipperger vom 20.3.1909 über die Inspektion der 3 liechtensteinischen Textilfabriken siehe LI LA RE 1909/0545 (Aktenzeichen des k.k. Gewerbeinspektorates: 65). Zwei weitere Beilagen betrafen die Baumwollspinnerei der Firma Jenny, Spoerry & Cie in Vaduz sowie die Baumwollweberei derselben Firma in Triesen.
[2] Vor dem Zwischentitel vermutlich von Landesverweser Karl von In der Maur handschriftlich hinzugefügt: „I.“. Ausserdem „Anordnungen“ durch „Vorkehrungen“ ersetzt.
[3] Vor dem Zwischentitel handschriftlich hinzugefügt: „II.“. – Zur Genehmigung der Arbeitsordnung vom 5.9.1884 durch die Regierung am 30.11.1884 vgl. LI LA RE 1884/1484. Ein gedrucktes Exemplar der "Fabriksordnung" findet sich unter LI LA RE 1886/0120.
[4] Vgl. die Gewerbeordnung vom 16.10.1865, LGBl. 1865 Nr. 9.
[5] Vor dem Zwischentitel handschriftlich hinzugefügt: „III.“. – Krankenkassenstatut nicht aufgefunden. Zur Genehmigung der Statuten der Unterstützungskasse durch die Regierung im Jahre 1870 vgl. LI LA RE 1870/0515.
[6] Vgl. das Antwortschreiben der Gebrüder Rosenthal vom 30.9.1909 zu den in der Folge von der Regierung angemahnten Massnahmen und Vorkehrungen unter LI LA RE 1909/1637 ad 0545.