Das „Liechtensteiner Volksblatt“ würdigt anlässlich seines 50. Regierungsjubiläums die Verdienste von Fürst Johann II. um das Fürstentum Liechtenstein


Artikel im „Liechtensteiner Volksblatt“ [1]

13.11.1908

Zum 12. November 1908

Wir begehen heute einen überaus denkwürdigen Tag. Heute kehrte zum fünfzigstenmale der Tag wieder, an dem Se. Durchlaucht, unser allgeliebter Fürst Johannes II. die Regierung des fürstlichen Hauses und des Fürstentums Liechtenstein angetreten hat.

Wenn wir unseren geistigen Blick zurückwerfen auf dieses halbe Jahrhundert und auf das, was dasselbe unserem lieben, kleinen Heimatland gebracht hat, so wird ein Gefühl des Dankes in unserem Herzen erwachen gegen den Allmächtigen, in dessen Hand die Schicksale der Völker, der kleinen ebensowohl als der grossen ruhen, und der uns Liechtensteiner in dieser langen Zeit einen so edlen Vater und Landesherrn gegeben hat. Also vor allem dem lieben Gott Lob und Dank.

Auf dem Wege, den in diesen fünfzig Jahren unser Staatswesen unter des Fürsten Fürsorge gewandelt ist, blühte ein reicher Segen mannigfaltigster Art. Wer Liechtenstein vor fünfzig Jahren gekannt hat, wer jene Zeit miterlebt hat, würde heute das Land kaum mehr kennen; so sehr haben die öffentlichen Verhältnisse eine Wandlung zum Bessern erfahren.

Wie schlecht war es vor fünfzig Jahren mit unserem Armenwesen bestellt! Wie mangelhaft vielfach unsere Schulverhältnisse! Wie armselig sah es in unserem Verkehrswesen, mit Post und Strassen aus! Wie schwer lastete die Rheinnot auf den schwachen Schultern des armen Mannes! Welche Kreditlosigkeit, welcher Mangel an Geld und Verdienst! Wie sah es allenthalben im Lande mit den Kirchen und Schulen aus! Wie beschränkt war das Leben, da oft die notwendigsten Dinge weither bezogen werden mussten. Auf politischem Gebiete: Wie wenig Einfluss hatte das Volk auf seine Geschicke, da sein sogenannter Landtag so viel wie nichts zu bedeuten hatte. Überdies das Land in ewiger Geldnot!

Und heute! Eine würdige Armenversorgung, ein Wohltätigkeitsfonds, ein auf der Höhe der Zeit stehendes Schulwesen, Post und Telephon, herrliche Strassen zu Berg und Tal. Was ist für Land- und Alpwirtschaft, für Viehzucht und dergleichen geschehen! Der Rhein ist mit festungsartigen Wuhren eingedämmt. Wie hat sich das Kreditwesen gehoben! Es ist Verdienst und infolgedessen auch Geld im Lande. Wir haben eine immer wachsende Sparkasse, wo die ersparten Pfennige Früchte tragen. Wer spart und sich bemüht, kann zu Wohlstand kommen. Welche ein Kranz von schönen Gotteshäusern ziert das ganze Land, welch würdige Schulhäuser, Stätten der Volksbildung allenthalben! Wie ist das häusliche Leben erleichtert worden, seitdem die Lebensmittel und Bedürfnisse des Haushaltes in nächster Nähe zu haben sind. Wie anders sieht es in den öffentlichen Kassen aus; was vermögen diese heute für öffentliche Zwecke zu leisten! Wie manche Last ist infolge dessen den Gemeinden abgenommen worden. Und welchen Aufschwung haben unsere innerpolitischen Verhältnisse genommen durch die neue Verfassung, [2] die dem Volke einen massgebenden Einfluss auf die Geschicke des Landes gab. Welche Last ist durch die Abschaffung des Militärs von unsern Schultern genommen, [3] während alle andern Staaten unter derselben seufzen! Wie gering sind unsere Steuern im Vergleich zu andern Staaten.

Gewiss! Wer unbefangen unsere Verhältnisse beurteilt und mit denen der „guten alten Zeit“ vergleicht, wird nicht leugnen können, dass wir in jeder Hinsicht einem glücklichen Fortschritte entgegen gegangen sind. Einen Himmel auf Erden gibt es allerdings nirgends in der weiten Welt, schon deshalb nicht, weil der Mensch nie zufrieden ist und immer eher an das denkt, was ihm fehlt, als an das, was er hat. Das darf offen gesagt werden. Wir Liechtensteiner brauchen kein anderes Volk zu beneiden. Zu dieser erfreulichen Entwicklung haben Regierung, Volksvertretung und gemeinnützige Vereine einmütig und redlich das Ihrige beigetragen.

Aber einen hervorragenden Anteil an unserem allseitigen Aufschwung haben, darin sind wir alle einig, Se. Durchlaucht, unser allverehrter Landesvater, Fürst Johann II. Keiner seiner erlauchten Vorfahren hat auch nur annähernd soviel für unser Land getan wie Er, keiner war, auch den Liechtensteinern so ins Herz gewachsen wie Er; keines Vorfahren Name ist mit solcher kindlicher Liebe genannt wie der Johannes II.

Ihm verdanken wir die jetzige Verfassung, die Magna charta unserer bürgerlichen Rechte. Seiner Intervention verdankten es im Jahre 1866 unsere Soldaten, dass sie nicht auf den deutschen Kriegsschauplatz kommandiert wurden, um dort vor preussische Kanonen gestellt zu werden. [4] Seiner weisen Entschiedenheit verdankt es das Land, dass es seinerzeit vor den Orgien einer Spielhölle bewahrt blieb. [5] Seiner väterlichen Fürsorge durften wir bei Schaffung von Gesetzen jederzeit vertrauen. Seiner weltbekannten Freigiebigkeit und Barmherzigkeit verdanken wir die grossen Summen, die für Kirchen, Schulen und Armenanstalten, für Wohltätigkeitszwecke und öffentliche Einrichtungen aller Art geflossen sind. Während andere Völker ihren Regenten alljährlich grosse Summen opfern müssen, sind wir Liechtensteiner gewöhnt, für alle gemeinnützigen Zwecke die Hilfe Sr. Durchlaucht anzurufen. Und wir tun das nie umsonst!

Diesem wahren Landesvater in des Wortes schönstem Sinne heute an seinem Jubeltage namens aller Liechtensteiner herzlichster Dank und Segenswunsch! Möge die gütige Vorsehung diesem edelsten aller Fürsten alles, was er uns getan, in reichstem Masse vergelten, Ihn ferner in ihren allmächtigen Schutz nehmen und Ihn uns noch viele, viele Jahre erhalten!

Gott erhalte, Gott schütze, Gott segne unsern Jubelfürsten Johannes II.!

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[1] L.Vo., Nr. 46, 13.11.1908, S. 1. Vgl. L.Vo., Nr. 43, 23.10.1908, Beilage („Festsitzung des Landtages zu Ehren des fünfzigjährigen Regierungsjubiläums Seiner Durchlaucht unseres Landesfürsten am 20. Oktober 1908“); das Antworttelegramm von Fürst Johann II. an Landtagspräsident Albert Schädler vom 21.10. 1908 (LI LA LTA 1908/L04); ferner L.Vo., Nr. 46, 13.11.1908, S. 1 („Dem Jubel-Fürsten zum 12. November 1908“).  
[2] Vgl. die liechtensteinische Verfassung vom 26.9.1862 (LI LA SgRV 1862/5).
[3] Am 12.2.1868 hatte Fürst Johann II. die Aufhebung des liechtensteinischen Militärkontingents verfügt.
[4] Im Preussisch-Österreichischen Krieg von 1866 hatte Johann II. das Militärkontingent Österreich zur Verteidigung der Grenze gegen Italien zur Verfügung gestellt. Die Soldaten leisteten von Juli bis September 1866 Wachdienst am Stilfserjoch in Südtirol.  
[5] Die Spielbankprojekte von 1872, 1875 und 1891 scheiterten vor allem an moralischen und rechtlichen Bedenken von Johann II.