Der Innsbrucker Gewerbeinspektor Hubert Stipperger referiert in Vaduz über die neue liechtensteinische Gewerbeordnung von 1910


Handschriftliches Manuskript von Hubert Stipperger mit Ergänzungen und Korrekturen, gez. ders. [1]

19.6.1910, Vaduz 

Die neue liechtensteinische Gewerbeordnung [2] 

Vortrag gehalten am 19. Juni 1910 in Vaduz von k.k. Gewerbe-Inspektor Dr. Hubert Stipperger [3]

Das Gesetz vom 30. April 1910 betreffend die Erlassung einer neuen Gewerbe-Ordnung hat mit 1. Jänner 1911 in Kraft zu treten. Nach den Bestimmungen des Kundmachungs-Patentes dieser neuen Gewerbe-Ordnung findet dieselbe auf folgende Beschäftigungen und Unternehmungen keine Anwendung: auf die land- und forstwirtschaftliche Produktion und ihre Nebenbeschäftigungen, den Bergbau, auf Unternehmungen, welche die Vervielfältigung von literarischen oder artistischen Erzeugnissen oder den Handel mit denselben zum Gegenstande haben, auf das Selbstverlagsrecht der Autoren und die Ausübung der schönen Künste. Ferner findet die Gewerbe-Ordnung keine Anwendung auf die Lohnarbeit untergeordneter Art (Taglöhnerarbeit), auf das gesamte Gebiet der Hausindustrie, auf die Geschäfte der Advokaten, Ingenieure, die Ausübung der Heilkunde, das Apotheker- und Veterinärwesen, auf die Erwerbszweige des Privatunterrichtes, auf Versicherungsanstalten, Sparkassen und Banken, auf Unternehmungen von öffentlichen Schaustellungen und Belustigungen, auf Eisenbahnunternehmungen und auf den Hausierhandel. 

Wenn jedoch eine von der Gewerbe-Ordnung ausgenommene Unternehmung eine besondere Betriebsanlage errichtet, so finden auf diese hinsichtlich ihrer Einrichtung und den Schutz der Arbeiter jene Vorschriften Anwendung, welche für einen gleichartigen Gewerbebetrieb gelten. Es müssen demnach die Arbeiter des Elektrizitäts-Werkes eines Privaten ebenso der Unfallversicherung und Krankenversicherung unterzogen werden, wie diejenigen in einem Elektrizitätswerke, welches gewerblichen Zwecken dient.

Die Liechtenstein'sche Gewerbe-Ordnung zerfällt in 7 Hauptstücke; das erste Hauptstück enthält die allgemeinen Bestimmungen über die Einteilung der Gewerbe und über den Antritt eines Gewerbes. Ebenso wie dies in der Gewerbe-Ordnung vom 16. Oktober 1865 [4] vorgesehen war, werden die Gewerbe eingeteilt in solche, zu deren Ausübung eine blosse Anmeldung genügt (handwerksmässige Gewerbe im engeren Sinne, Handels- und Verkehrsgewerbe) und in konzessionierte Gewerbe, deren Ausübung aus öffentlichen Rücksichten an eine besondere Bewilligung (Konzession) gebunden ist.

Zum selbstständigen Betriebe eines jeden Gewerbes ist erforderlich, dass der Unternehmer eigenberechtigt ist, und dass er die nach der Art des Gewerbes entsprechende persönliche Eignung besitzt. Juristische Personen (Firmen) müssen, wenn sie ein Gewerbe betreiben, einen entsprechend befähigten Geschäftsführer als Stellvertreter bestellen, Angehörige eines fremden Staates bedürfen zur selbstständigen Ausübung einer Gewerbeunternehmung in Liechtenstein der Erlaubnis der Regierung. Mit den Bestimmungen des § 7 der neuen Gewerbe-Ordnung wurden die Ausschliessungsgründe vom Antritt eines Gewerbes, welche im wesentlichen der alten Gewerbeordnung entnommen sind, festgesetzt.

Die Ausübung von Gewerben, welche sich mit Gegenständen befassen, die nach der österreichischen Gesetzgebung einer Kontrolle von Seite der Finanzbehörden unterstellt sind, bleibt an die hiefür vorgeschriebenen Bedingungen geknüpft.

Das 2. Hauptstück enthält die besonderen Bestimmungen, welche beim Antritt eines Gewerbes zu beachten sind.

Jeder Unternehmer einer gewerblichen Beschäftigung hat demnach vor Antritt des Gewerbes davon der fürstlichen Regierung die schriftliche Meldung zu machen und in derselben den Namen, das Alter, den Wohnort, die Staatsangehörigkeit, die gewählte Beschäftigung und den Standort der Ausübung anzugeben sowie den Nachweis der erlangten Befähigung darzutun. Die Anmeldung eines Gewerbes ist im Falle der Zugehörigkeit desselben zu einer Genossenschaft vor Vorlage an die Gewerbebehörde der Genossenschaftsvorstehung zur Einsichtnahme zu übergeben.

Um die Ausbildung im Gewerbe und dessen Leistungsfähigkeit zu heben, andererseits aber auch dem unlauteren Wettbewerb zu steuern, soll in Zukunft, den Bestrebungen der gewerblichen Kreise Folge gebend, die Ausübung eines jeden Gewerbes von dem Nachweis der Befähigung abhängig gemacht werden. [5] Da im Fürstentum Liechtenstein nur sehr wenig Gewerbe vertreten sind, für welche der Befähigungsnachweis eine geringe Bedeutung hat, war kein Grund vorhanden im Gesetze selbst diesbezügliche Ausnahmen zu normieren, sondern ist der fürstlichen Regierung die Ermächtigung übertragen worden, selbst in einzelnen Fällen Ausnahmen zu gestatten oder für bestimmte Gewerbsarten die Erbringung des Befähigungsnachweises zu regeln, beziehungsweise zu erleichtern. Der Befähigungsnachweis besteht, abgesehen von der verlangten Schulbildung, in dem Nachweis einer Verwendung als Gehilfe und als Lehrling in dem betreffenden Gewerbe, er ist somit in erster Linie ein Verwendungsnachweis. Von der gesetzlichen Einführung eines Befähigungsnachweises in der Form der Ablegung von Prüfungen musste für jene Gewerbe, zu deren Ausübung eine blosse Anmeldung genügt, im Hinblicke auf die Verschiedenartigkeit dieser Gewerbe abgesehen werden, es steht jedoch der Einführung diesbezüglicher Institutionen auf genossenschaftlicher Grundlage, sobald sich das Bedürfnis hiefür herausstellen sollte, nichts im Wege. Derartige Einrichtungen geniessen im Sinne der §§ 74, 77 und 78 der Gewerbe-Ordnung behördlichen Schutz. Der Nachweis der Befähigung für den Antritt eines Gewerbes ist zufolge § 11 der G.O. wie folgt zu erbringen: 1. durch das Zeugnis über die Entlassung aus der Volksschule, 2. durch den Nachweis über die ordentliche Beendigung des Lehrverhältnisses und 3. durch den Nachweis einer mindestens zweijährigen Verwendung als Gehilfe in dem betreffenden Gewerbe.

Die Konzessionspflicht wurde auf das Baugewerbe, auf die Ausführung von Beleuchtungsanlagen und Wasserleitungen, auf den Hufbeschlag und den Detailhandel mit geistigen Getränken ausgedehnt, im übrigen ist wie früher die Ausübung aller Gewerbe, bei welchen besondere Feuerstätten, Dampfmaschinen, Wasserwerke oder sonstige Kraftmaschinen verwendet werden, oder welche durch gesundheitsschädliche Einflüsse, durch die Sicherheit bedrohende Betriebsarten, durch ungewöhnliches Geräusch die Nachbarschaft oder die Hilfsarbeiter zu gefährden oder zu belästigen geeignet sind, konzessioniert. Ferner wurden das Rauchfangkehrergewerbe, die Abdeckereien und das Gast- und Schankgewerbe entsprechend den bisherigen Bestimmungen wieder unter die konzessionierten Gewerbe eingereiht.

Zu dem Baugewerbe gehört das Gewerbe der Baumeister, Maurermeister, Zimmermeister und die sonstigen Bauunternehmungen. Zur Erlangung der Konzession eines dieser Gewerbe ist eine achtjährige Verwendung in demselben nachzuweisen, wovon der Bewerber mindestens zwei Jahre als Polier oder Werkführer tätig gewesen sein muss, und ist überdies vor einer von der fürstlichen Regierung zu berufenden Fachkommission eine Prüfung abzulegen.

Für die Ausführung einfacher Baulichkeiten kann eine Konzession im beschränkten Umfange auch unter leichteren Bedingungen erteilt werden.

Bewerber um die Konzession für die Ausführung von Beleuchtungsanlagen und Wasserleitungen müssen sich über die Erlernung eines einschlägigen Gewerbes und zwar des Schlossers-, Spengler-, Schmied- oder Mechanikergewerbes sowie über ein vierjährige Verwendung bei den in ihr Fach einschlagenden Installationsarbeiten ausweisen.

Bei den Gast- und Schankgewerben werden folgende Berechtigungen unterschieden, welche sowohl einzeln als auch in Verbindung miteinander verliehen werden können: a. die Beherbergung von Fremden, b. die Verabreichung von Speisen, c. der Ausschank von Bier, Wein oder Obstwein, d. der Ausschank von gebrannten, geistigen Getränken, e. die Verabreichung von Kaffee, Thee, Chocolade oder anderen warmen Getränken sowie von Erfrischungen, f. die Haltung von erlaubten Spielen. Die Schankberechtigten sind auch zum gewöhnlichen Handel mit den betreffenden Getränken befugt; die Erzeugung geistiger Getränke berechtigt jedoch für sich allein noch nicht zum Ausschank derselben oder zum Kleinverschleiss.

Bei der Erteilung der Konzession zum Wirtschaftsbetrieb wird nicht nur verlangt, dass der Unternehmer einen guten Leumund besitzt, sondern dass er auch ein geeignetes Lokal hiezu beistelle. Auch für jene konzessionierten Gewerbe, welche mit besonderen Feuerstätten, Dampfkessel oder Motoren betrieben werden oder welche infolge ihrer Fabrikationsweise die Interessen der Nachbarschaft erheblich beeinträchtigen können, sowie auch die Abdeckereien machen eine besondere Genehmigung der Betriebsanlage, um welche bei der fürstlichen Regierung eigens anzusuchen ist, erforderlich. Die Art des Verfahrens, welches bei der Genehmigung derartiger Betriebsanlagen eingehalten wird, ist im § 19 der G.O. näher erörtert. Mit der Erteilung der Konzession ist stets auch die Berechtigung zur Errichtung und zum Betriebe der betreffenden Werkstätten oder Fabriken implicite verbunden. Wesentliche Änderungen in der Beschaffenheit der Betriebsanlage oder in der Fabrikationsweise sind zur Kenntnis der Regierung zu bringen.

Das 3. Hauptstück der Gewerbe-Ordnung enthält Bestimmungen über den Umfang und die Ausübung der Gewerberechte. Jeder Gewerbetreibende ist berechtigt, alle zur vollkommenen Herstellung seiner Erzeugnisse nötigen Arbeiten zu vereinigen und die dazu erforderlichen Hilfsarbeiter (unter welchen jedoch die Lehrlinge nicht zu verstehen sind) auch anderer Gewerbe zu halten. Der Gewerbetreibende kann sein Gewerbe auch durch einen Stellvertreter ausüben oder verpachten, doch muss der Stellvertreter oder Pächter immer gleich dem Gewerbeinhaber selbst die für den selbstständigen Betrieb des betreffenden Gewerbes erforderlichen Eigenschaften besitzen und der Regierung zur Genehmigung angezeigt werden.

Die Berechtigung zur Erzeugung eines Artikels schliesst auch das Recht zum Handel mit den gleichen fremden Erzeugnissen in sich.

Hinsichtlich des Aufsuchens von Bestellungen enthält die neue Gewerbe-Ordnung wesentlich andere Bestimmungen: Die Handlungsreisenden, sowie auch die selbstständigen Handelsagenten dürfen ihre Waren nicht mehr bei Privaten, sondern nur bei jenen Gewerbetreibenden zum Kaufe anbieten, in deren Geschäftsbetrieb Waren derselben Art Verwendung finden; sie dürfen hiebei Waren nur als Muster mitführen. Das Feilbieten im Umherziehen von Ort zu Ort und das Herumtragen und Anbieten der fertigen Ware von Haus zu Haus ist an die allgemeinen Hausiervorschriften gebunden. Den gleichen Vorschriften unterliegt das Aufsuchen von Bestellungen bezw. die Annahme von Aufträgen bei solchen Personen, welche mit den betreffenden Artikel weder Handel treiben, noch denselben in ihrem Gewerbe verwenden. Diese Beschränkungen finden jedoch keine Anwendung auf die Gegenstände des täglichen Verbrauches wie zum Beispiel: Butter, Gemüse, Obst und dgl.

Der § 29 der Liechtenstein'schen Gewerbe-Ordnung regelt den Gewerbebetrieb mit Nachbarstaaten und ist hiebei der Grundsatz festzuhalten, dass die im Ausland wohnhaften Gewerbetreibenden über Bestellung gewerbliche Arbeiten im Fürstentum ausführen dürfen, wenn den Liechtenstein'schen Landesangehörigen gleiches in dem jenseitigen Staate gestattet ist, jedoch bleiben die Ersteren hinsichtlich der Ausübung jener Beschäftigungen, für welche die Erwirkung einer behördlichen Genehmigung (Konzession) erforderlich ist, an die in diesem Gesetze aufgestellten Bedingungen gebunden.

Eine Betriebspflicht besteht zufolge § 32 G.O. nur hinsichtlich der Ausübung des Rauchfangkehrer- und Abdecker-Gewerbes.

Nach dem Tode eines Gewerbetreibenden hat im allgemeinen sein Nachfolger den Fortbetrieb des Gewerbes bei der Gewerbebehörde auf eigenen Namen anzumelden, bezw. die erforderliche Konzession zu erwirken, nur die Witwe eines Gewerbetreibenden, sowie die minderjährigen Erben sind berechtigt, das Gewerbe auf Grund der alten Gewerbeberechtigung fortzuführen.

Die Gewerbetreibenden haben sich einer entsprechend äusseren Bezeichnung auf ihre Betriebstätten zu bedienen und dürfen die Firma oder die besondere Bezeichnung eines anderen Gewerbetreibenden nicht nachahmen.

Die Bestimmungen über die Aufnahme und Verwendung des gewerblichen Hilfspersonales und die Vorschriften betreffend den Arbeiter-Schutz sind im 4. Hauptstück der Gewerbe-Ordnung zusammengefasst. Zu dem gewerblichen Hilfspersonal zählen alle Arbeitspersonen, welche bei einer Gewerbeunternehmung in Verwendung stehen und zwar sowohl die Gehilfen (Gesellen, Handlungsdiener, Fabrik- und Hilfsarbeiter) als auch die Lehrlinge. Auf Personen, die nur Hausgesindedienste verrichten, finden die Bestimmungen der Gewerbe-Ordnung keine Anwendung. Lohnarbeiter untergeordneter Art sind jene Handlanger, welche ihren Verdienst täglich ausbezahlt erhalten. Auf Handlungsgehilfen sowie auf die zu höheren Dienstleistungen angestellten Personen (Werkführer, Buchhalter, Zeichner, u. dgl.) findet in erster Linie das Handelsgesetzbuch [6] Anwendung und die Gewerbe-Ordnung nur insoferne, wenn im ersteren Gesetze nichts anderes angeordnet ist. Jeder Gehilfe, Geselle oder Lehrling muss mit den nötigen Ausweisen versehen sein, welche rücksichtlich der Inländer in den behördlich vidierten Zeugnissen der früheren Dienstgeber, rücksichtlich der Ausländer in Heimatschriften, Leumund- und Dienstzeugnissen (Arbeitsbüchern) bestehen. Unternehmer, welche Gehilfen ohne genügenden Ausweis in Verwendung nehmen, oder welche übelbeleumunde[te], der öffentlichen Ordnung gefährliche Ausländer beschäftigen, machen sich strafbar.

Einen besonderen Wert legt die neue Gewerbe-Ordnung auf eine exakte Abschliessung des Arbeitsvertrages und sind jene Gewerbeunternehmungen, welche mehr als zehn Arbeiter in einem Betrieb beschäftigen, gehalten den Arbeitsvertrag mit dem Hilfspersonal in Form einer Arbeitsordnung abzuschliessen, welche der Genehmigung der Gewerbebehörde vor dem öffentlichen Anschlag unterliegt. Die Bestimmungen über die Kündigungszeit, sowie über die Umstände, unter welchen das Arbeitsverhältnis ohne Aufkündigung vorzeitig gelöst werden kann, sowie die Bestimmungen über die Folgen, welche bei gesetzwidriger Auflösung des Arbeitsverhältnisses eintreten, wurden nicht wesentlich geändert.

Die Fürsorge für die Hilfsarbeiter, obwohl heute schon selbstverständlich geworden und in den Gewerbebetrieben des Fürstentumes zum grossen Teile bereits praktisch eingeführt, war in der Gewerbe-Ordnung vom Jahre 1865 den Gewerbeinhabern nicht ausdrücklich auferlegt. Damit eine gleichmässige Behandlung gleichartiger Betriebe gewährleistet ist, mussten daher die Verpflichtungen, welche die Gewerbeinhaber hinsichtlich ihrer Hilfsarbeiter treffen, bei Erlassung der neuen Gewerbe-Ordnung genau festgelegt werden. Die in das Gesetz aufgenommenen Schutzvorschriften lehnen sich der Hauptsache nach an die in Deutschland, der Schweiz und in Österreich bestehenden Vorschriften an und werden auf die freie Ausübung der Gewerbe keinesfalls einschneidend wirken, zumal es der fürstlichen Regierung vorbehalten ist, in berücksichtigungswürdigen Fällen für bestimmte Gewerbearten Ausnahmen zu gestatten und die Grundzüge des Gesetzes durch besondere Verordnungen zu ergänzen.

Jeder Gewerbeinhaber hat alle jene Einrichtungen bezüglich der Arbeitsräume, Maschinen und Werkgerätschaften herzustellen und zu erhalten, welche zur körperlichen Sicherheit und zum Schutze der Gesundheit der Arbeiter erforderlich sind. Eine gleiche Verpflichtung trifft die Gewerbeinhaber bezüglich der ihren Hilfsarbeitern überlassenen Wohnungen; auch haben die Gewerbeinhaber die durch das Alter und Geschlecht der Hilfsarbeiter gebotene Rücksicht in Bezug auf die Sittlichkeit zu nehmen. Kinder im schulpflichtigen Alter, d.i. vor Vollendung des 15. Lebensjahres, dürfen zur gewerblichen Arbeit nicht verwendet werden. Jugendliche Personen zwischen dem 15. u. 17. Lebensjahre sowie Frauenspersonen geniessen einen besonderen Schutz und dürfen nur zu leichteren Arbeiten, welche ihrer Gesundheit nicht nachteilig sind und ihre Sicherheit nicht [ge]fährden, verwendet werden. Wöchnerinnen dürfen erst nach Ablauf von 4 Wochen nach ihrer Niederkunft zur regelmässigen gewerblichen Arbeit zugelassen werden.

Die Nachtarbeit ist für jugendliche Arbeiter und für Frauenspersonen mit Ausnahme der im Gastgewerbe verwendeten erwachsenen weiblichen Personen in der Zeit von 9 Uhr abends bis 6 Uhr morgens ausgeschlossen. Zwischen den Arbeitsstunden sind den Hilfsarbeitern angemessene Ruhepausen zu gewähren, welche nicht weniger als 1 ½ Stunden betragen dürfen und wovon tunlichst 1 Stunde auf die Mittagszeit entfallen soll. Für Gewerbeunternehmungen, welche mehr als 10 Arbeiter beschäftigen, ist die maximale Arbeitszeit nach Abrechnung der Ruhepausen auf 11 Arbeitsstunden innerhalb 24 Stunden festgesetzt worden. Unter besonderen Verhältnissen kann die Arbeitszeit durch 60 Tage während eines Jahres mit Erlaubnis der Regierung über diese maximale Arbeitszeit hinaus verlängert werden. Die fürstliche Regierung ist ermächtigt, zum Schutze des Lebens und der Gesundheit der Arbeiter besondere Vorschriften zu erlassen, die Grenzen der Nachtruhe und der Ruhepausen entsprechend den Bedürfnissen einzelner Gewerbekategorien besonders zu regeln und auch hinsichtlich der Sonntagsarbeit eine allgemeine Regelung eintreten zu lassen. Die bestehenden diesbezüglichen polizeilichen Vorschriften wurden einstweilen nicht geändert und wird, falls sich die Notwendigkeit hiezu herausstellen sollte, die Sonntagsarbeit und die Sonntagsruhe durch ein besonderes Gesetz geregelt werden.

Ebenso wie dem Arbeitskontrakte ist auch dem Lohnwesen in dem neuen Gewerbegesetz eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet worden und wurde bestimmt, dass die Lohnzahlungen längstens in einmonatlichen Terminen zu erfolgen haben. Die gesammte Lohnverrechnung, aus welcher alle vorkommenden Abzüge ersichtlich sein müssen, ist unter Zuhilfenahme von Lohnlisten oder von Lohnbüchern durchzuführen. Naturalleistungen können den Arbeitern zum Selbstkostenpreise bei der Lohnzahlung in Anrechnung gebracht werden. Die Verabfolgung von geistigen Getränken auf Rechnung des Lohnes ist jedoch untersagt, auch dürfen die Arbeiter nicht gezwungen sein, ihre Bedarfsgegenstände aus bestimmten Verkaufsstätten zu beziehen. Bei der Lohnzahlung können ferner die Beiträge für die Arbeiterversicherung, welche auf die abgelaufene Beitragsperiode entfallen, in Anrechnung gebracht werden. Den besonderen Verhältnissen des Landes ist durch die Bestimmungen des § 53 Al. 1 u. 2 G.O. Rechnung getragen. Dieselben sollen den Vorgang bei Realisierung eines Schadens vereinfachen und dadurch die Gewerbeinhaber, sowie auch die Behörden von Umständlichkeiten entlasten, ohne dass dem Arbeitnehmer das Recht auf den ungeschmälerten Bezug seines Lohnes benommen wird. Die Heranziehung des Arbeitslohnes zur Sicherstellung der Ansprüche dritter Personen ist nur ausnahmsweise statthaft.

Von den Bestimmungen über das Lehrlingswesen ist als Neuerung zu erwähnen, dass der Lehrvertrag schriftlich abgeschlossen werden muss. Die Lehrzeit darf in der Regel nicht weniger als zwei und nicht mehr als vier Jahre betragen. Der Lehrling ist zum Besuch der bestehenden Elementar- und Fortbildungsschulen verpflichtet. Die Bestimmungen über die Auflösung des Lehrverhältnisses wurden zwar schärfer präzisiert, haben sich jedoch ihrem Wesen nach nicht geändert.

Für die Austragung von Streitigkeiten zwischen den selbständigen Gewerbetreibenden und ihren Gehilfen und Lehrlingen ist in erster Linie der Genossenschaftsvorsteher bezw., wenn der Gewerbeinhaber einer Genossenschaft nicht angehört, der Gemeindevorsteher berufen. Gegen dessen Erkenntnis steht dem Beteiligten durch acht Tage die Berufung an die fürstliche Regierung und im weiteren Rechtszuge innerhalb der selben Frist an die politische Rekursinstanz offen.

Der Krankenversicherungspflicht unterliegen alle gewerblichen Arbeiter, Lehrlinge und Betriebsbeamte, mit Ausnahme der im gemeinschaftlichen Haushalte lebenden Kinder des Unternehmers. Die Krankenversicherung kann bei einer beliebigen Krankenkasse, deren Statut behördlich genehmigt ist, erfolgen und hat sich die Versicherung auf folgende Mindestleistungen zu erstrecken. 1.) Von Beginn der Krankheit an freie ärztliche Behandlung mit Inbegriff des geburtshilflichen Beistandes und Verabreichung der nötigen Heilmittel. – 2.) Auf ein tägliches Krankengeld für die Dauer der Erwerbsunfähigkeit bis zu einem Höchstausmass von zwanzig Wochen im Betrage von wenigstens 50 % des im Durchschnitt bezogenen Lohnes; das Krankengeld darf jedoch für erwachsene männliche Arbeiter nicht weniger als K. [Krone] 1.20, für erwachsene weibliche Personen K 1.- und für jugendliche Arbeiter nicht weniger als 80 hl [Heller] für den Tag betragen. Wöchnerinnen erhalten bei normalem Verlauf des Wochenbettes das Krankengeld durch vier Wochen, bei abnormalem Verlauf entsprechend der Dauer der Erwerbsunfähigkeit bis zu zwanzig Wochen. – 3.) Auf ein Begräbnisgeld von K 40.- für die Hinterbliebenen des durch Tod abgegangenen Versicherten. An Stelle der ärztlichen Behandlung und des Krankengeldes kann auch freie Kur und Verpflegung auf Kosten der Krankenkasse in einem Krankenhause gewährt werden. In einem solchen Falle haben diejenigen Personen, für deren Unterhalt der im Spital Verpflegte sorgte, Anspruch auf die Hälfte des Krankengeldes. Von den zur Deckung der Krankenversicherungskosten zu leistenden Beiträgen entfallen Zweidrittel bis zu einem Höchstbetrage von 3 % des Arbeitsverdienstes auf die Versicherten, der übrige Teil auf die Gewerbeinhaber.

In den Kreis der unfallversicherungspflichtigen Unternehmungen sind jene Gewerbebetriebe einbezogen, welche mehr als zehn Arbeiter verwenden, oder mit deren Ausübung eine besondere Gefahr verbunden ist, insbesonders sind die Inhaber von Steinbrüchen, von Baugewerben und von Betrieben, welche mit Motoren oder Dampfkesseln arbeiten, verpflichtet, das gesamte Arbeitspersonal gegen Betriebsunfälle zu versichern. Die Versicherung kann bei einer in- oder ausländischen in Liechtenstein zugelassenen Anstalt erfolgen. Beim Eintritt eines Betriebsunfalles sind zu gewähren: 1. die Kosten der Krankenpflege und die Verabfolgung von Taggeldern in demselben Ausmasse wie beim Eintritt einer Erkrankung, bis zum Abschluss des Heilverfahrens; 2. eine Abfindung in der Höhe des tausendfachen Tagesverdienstes des Verunglückten, wenn vollständige Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist; bei teilweiser Erwerbsunfähigkeit wird diese Abfindung in das entsprechende Verhältnis gebracht. 3. eine Abfindung in der Höhe des tausendfachen Tagesverdienstes für die Hinterbliebenen, im Falle der Verunglückte mit Tod abgegangen ist. Unter den Hinterbliebenen sind die Witwe bezw. der Witwer und die Kinder bis zum 16. Jahre zu verstehen. Sind Personen des genannten Verwandtschaftsgrades nicht vorhanden, wohl aber überlebende Eltern, welche von dem Verunglückten unterstützt wurden, so erhalten dieselben den fünfhundertfachen Tagesverdienst als Abfindung.

An Stelle der einmaligen Abfindung kann auch unter besonderen Umständen eine entsprechend hohe Invalidenrente gewährt werden. Bei Eintritt eines Betriebsunfalles werden die statutarischen Leistungen von der Krankenkasse vorschussweise gegeben und steht derselben der Ersatzanspruch an die Unfall-Versicherungsanstalt zu. Die Versicherungsbeiträge werden vom Unternehmen allein getragen, wenn der Prämiensatz 1 ½ % des Arbeitslohnes nicht übersteigt, von den darüber hinausgehenden Beiträgen sind die Unternehmen berechtigt, 40% dem Versicherten in Anrechnung zu bringen. Von jedem Betriebsunfall, der eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hatte, ist der Regierung längstens innerhalb einer Woche die Anzeige zu erstatten. Es ist zum Schlusse dieses Kapitels besonders hervorzuheben, dass die Krankenfürsorge bei jeder Erkrankung des gewerblichen Hilfsarbeiters einzutreten hat, ob diese Erkrankung mit seiner Beschäftigung im ursächlichen Zusammenhange steht oder nicht. Die Leistungen der Unfallversicherung erfolgen jedoch nur bei Unfällen, welche sich im Betriebe ereignet haben.

Das 5. Hauptstück der Gewerbe-Ordnung handelt von den gewerblichen Genossenschaften. Die genossenschaftliche Organisation steht mit der Einführung des Befähigungsnachweises, sowie mit der Ausgestaltung des Lehrlingswesens im engen Zusammenhange. Auf allen Gebieten des wirtschaftlichen Lebens macht sich das Bedürfnis nach Zusammenschluss der Gleichgestellten zur Wahrung gemeinschaftlicher Interessen und zur Abwehr von Missständen geltend. Besonders notwendig wird jedoch heutigen Tages eine feste Organisation für die Gewerbetreibenden, damit bei den sich rasch ändernden Produktionsverhältnissen dem Einzelnen entsprechende Hilfe und Ausbildung geboten werden kann. Aus diesem Grunde wird der freien gewerblichen Organisation die staatliche Unterstützung durch Ausbildung eines autonomen, aber geschützten Genossenschaftswesens zuteil. Damit die Gleichartigkeit der Interessen nicht gestört wird und die Wirksamkeit der genossenschaftlichen Institutionen keinen Abbruch erleidet, kann die fürstliche Regierung bestimmte Gewerbe z. B. Fabriken oder zu weit abseits liegende Betriebe von der Zugehörigkeit zur Genossenschaft ausnehmen. Die Genossenschaft ist berufen, im Sinne des § 10 dieser neuen Gewerbe-Ordnung bei der Verleihung der Gewerbe mitzuwirken, sodass es in ihrer Hand liegt, auf ein gut geordnetes und fest organisiertes Gewerbewesen hinzuarbeiten.

Der inneren Organisation der Genossenschaft ist im Gewerbegesetz ein möglichst weiter Spielraum gelassen und soll die Festlegung der Geschäftsordnung von den Gewerbetreibenden selbst, erst bei Aufstellung des Genossenschaftsstatutes entsprechend den bestehenden Bedürfnissen erfolgen. Nach den Verhältnissen des Gewerbes im Fürstentume empfiehlt es sich, nur eine Genossenschaft zu gründen und dieselbe nach zwei Richtungen hin in Unterabtheilungen zu gliedern, und zwar: 1.) nach Fachgruppen und 2.) nach Gemeinden, wenn rein örtliche Interessen fallweise ein gemeinsames Vorgehen erheischen. Die Fachgruppen könnten in der nachstehenden Weise abgegrenzt werden: a) Metall verarbeitende Gewerbe, b) Holz verarbeitende Gewerbe, c) Baugewerbe, Steinbrüche und Ziegelei-Unternehmungen, d) Gewerbe der Bekleidungsindustrie und Reinigungsanstalten, e) das Stickergewerbe und die Stickfergger, f) Betriebe der Lebensmittelindustrie wie Metzgereien, Bäckereien, Mühlen, Brauereien, Brennereinen u. das Gastgewerbe, g) die Handels- und Verkehrsgewerbe. Die Fachgruppen beraten und ordnen ihre Angelegenheiten im innern, die Genossenschaftsvorstehung vertritt dieselben nach aussen. Die gesetzlichen Bestimmungen über die Genossenschaften besagen kurz folgendes: Zu den Obliegenheiten der Genossenschaft gehört insbesondere die Vorsorge für ein geordnetes Lehrlingswesen durch Förderung der fachlichen und religiös sittlichen Ausbildung der Lehrlinge, ferner durch Erlassung von Vorschriften betreffend die Dauer der Lehrzeit, die Bestimmung der Zahl der Lehrlinge im Verhältnis zu den Gehilfen, ferner die Bestätigung der Lehrzeugnisse und die Regelung des Prüfungswesen, die Erhaltung geregelter Zustände zwischen den Gewerbeinhabern und ihren Gehilfen durch gemeinsame Festsetzung der Arbeitszeit, des Lohnwesens und der Kündigung und durch Einführung der Arbeitsvermittlung, die Vorsorge für erkrankte Gehilfen und Lehrlinge durch Gründung einer Genossenschaftskrankenkasse oder durch den korporativen Beitritt zu einer bereits bestehenden Krankenkasse, die Gründung und Förderung von gewerblichen Unterrichtsanstalten, von Humanitätsanstalten und wirtschaftlichen Unternehmungen, ferner die Hintanhaltung von Gebräuchen, welche dem reellen Wettbewerb der Genossenschaftsmitglieder im Wege stehen, die Schlichtung von Streitigkeiten, welche aus dem Arbeits-, Lehr- und Lohnverhältnis hervorgehen durch den Genossenschaftsvorsteher sowie die Bildung eines schiedsgerichtlichen Ausschusses zur Austragung von Streitigkeiten zwischen den Genossenschaftsmitgliedern untereinander, endlich die Erstattung von Gutachten in gewerblichen Angelegenheiten als Beirat der Gewerbebehörden.

Die Gewerbeinhaber sind Mitglieder, die Gehilfen und Lehrlinge dagegen Angehörige der Genossenschaft, innerhalb der genossenschaftlichen Organisation hat auch die Gehilfenschaft ihre Vertretung zu finden; die Lehrlinge sind nicht stimmberechtigt. Die Genossenschaft kann die Verwaltungskosten auf die Mitglieder umlegen, sie haftet gegen dritte Personen nur mit ihrem Vermögen, nicht aber mit dem Vermögen der Mitglieder. Im § 76 der neuen Gewerbe-Ordnung sind alle jene Angelegenheiten aufgezählt, über welche das Genossenschaftsstatut nähere Bestimmungen enthalten soll; dieselben betreffen insbesonders den Wirkungskreis der Genossenschaftsorgane, den Vorgang bei Wahlen und die Geschäftsordnung. – Übertretungen des Genossenschaftsstatutes werden nach den Bestimmungen der Gewerbe-Ordnung behandelt, Pflichtverletzungen der Genossenschaftsfunktionäre werden durch die fürstliche Regierung im Disciplinarwege ausgetragen; derselben steht in bestimmten Fällen die Berechtigung zu, die Genossenschaftsvorstehung ihrer Funktionen zu entheben und die Neuwahl der Mitglieder derselben anzuordnen. Streitigkeiten in inneren Genossenschaftsangelegenheiten gehören auf den Verwaltungsweg. Die der Genossenschaft angegliederten Anstalten sind getrennt zu verwalten und müssen ein eigenes Statut besitzen.

In Erfüllung der reichlichen in den Wirkungskreis der Genossenschaft gelegenen Aufgaben wird dieselbe ihre Tätigkeit vorerst dahin entfalten, die sie betreffenden Bestimmungen der Gewerbe-Ordnung durchzuführen, zur Wahrung ihrer Interessen entweder die Gründung einer genossenschaftlichen Krankenkasse ins Werk setzen, oder einer bestehenden Krankenkasse korporativ beitreten und zur Erlangung günstiger Bedingungen für die Unfallversicherung der Gehilfen mit einer Versicherungsanstalt ein Abkommen schliessen. Erst wenn sich die grundlegenden Bestimmungen der neuen Gewerbe-Ordnung praktisch eingelebt haben, wird die Genossenschaft an die Einführung von Lehrlingsprüfungen und in weiterer Ferne vielleicht an die Einführung von Gesellen- und Meisterprüfungen, sowie an die Gründung wirtschaftlicher Unternehmungen schreiten können.

Das 6. und 7. Hauptstück der Gewerbe-Ordnung handelt von den Behörden und Verfahren. Die in diesen Abschnitten enthaltenen Bestimmungen beinhalten nichts anders als die gesetzliche Festlegung der gegenwärtigen Rechtsverhältnisse. Die Abänderungen gegenüber der Gewerbe-Ordnung vom Jahre 1865 werden zufolge der im Jahre 1871 verfügten Trennung der Rechtspflege von der Administration [7] erforderlich. Es ist zu unterscheiden zwischen den Gewerbebehörden und den administrativen Massnahmen einerseits und den richterlichen Behörden und ihren Verfügungen anderseits. Die fürstliche Regierung ist die Gewerbebehörde erster Instanz, ihr obliegt die Handhabung der Gewerbe-Ordnung, sie ist die Verleihungsbehörde rücksichtlich aller jener gewerblichen Unternehmungen, deren Ausübung an die Erwirkung einer Konzession gebunden ist; bei ihr werden die Anmeldungen für den selbständigen Betrieb der Gewerbe eingebracht. Die Regierung übt die Aufsicht über die Genossenschaften und deren angegliederte Anstalten aus, sie überwacht die Krankenkassen und kontrolliert die Unfallversicherung der Arbeiter. Die politische Rekursinstanz in Wien ist die zweite Instanz in allen Gewerbeangelegenheiten. In Vollziehung eines richterlichen Straferkenntnisses, oder wenn nachträglich der Mangel eines der gesetzlichen Erfordernisse zum selbständigen Betriebe eines Gewerbes sich ergibt oder eintritt, hat die fürstliche Regierung, als administrative Massnahme, die Entziehung der Gewerbsberechtigung zu verfügen; ferner kann des Recht, jugendliche Hilfsarbeiter oder Lehrlinge zu halten, solchen Gewerbeinhabern, welche sich grober Pflichtverletzungen gegen diese Personen schuldig gemacht haben, oder welche den Vorschriften betreffend die Verwendung derselben wiederholt entgegen handelten, von der Regierung auf bestimmte Zeit oder für immer entzogen werden. Im Sinne des § 69 der Gewerbe-Ordnung ist die fürstliche Regierung auch zur Austragung der Streitigkeiten zwischen den Gewerbetreibenden und ihrem Hilfspersonal berufen.

Das fürstliche Landgericht ist die erste Instanz in allen gewerblichen Strafsachen. Das Apellationsgericht in Wien bildet die zweite Instanz. In den Bestimmungen über das Strafwesen ist insoferne eine Milderung eingetreten, als die Ahndung von geringen Übertretungen durch den Verweis neu eingeführt wurde, ferner durch die Aufnahme einer Bestimmung, dass in der Regel nur Geldstrafen, im Gegensatze zu den Freiheitsstrafen, verhängt werden sollen. Die einzelnen Straffälle sind im § 86 der Gewerbe-Ordnung aufgezählt, die Höhe des Strafsatzes wurde nicht geändert. Die Entziehung der Gewerbsberechtigung kann auch als Strafe von den Gerichtsbehörden in Ausübung des Strafgesetzes, sowie auch wegen Nichtbeachtung der auf den Betrieb des Gewerbes bezüglichen Vorschriften ausgesprochen werden. Rekurse in Straffällen müssen binnen acht Tagen nach der Kundmachung oder Zustellung des Erkenntnisses beim fürstlichen Landgericht eingebracht werden. Die Strafgelder fliessen in den Landesarmenfond.

Diese neue Gewerbe-Ordnung enthält die nötigen Bestimmungen, welche zur Handhabung eines ordentlichen Gewerbewesens erforderlich sind und steht es den Gewerbetreibenden und insbesondere der genossenschaftlichen Organisation zu, von denselben einen entsprechenden Gebrauch zu machen, so dass dieses Gesetz zum Wohle und Gedeihen des gewerblichen Standes und zur Förderung aller gewerblichen Interessen eine wirksame Grundlage bieten möge! [8]

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[1] LI LA RE 1910/1196 ad 0873. Handschriftliche Bemerkung von Landesverweser Karl von In der Maur auf dem Dokument: "Feuilleton". Ferner findet sich der Hinweis, dass zwei Exemplare der betreffenden Zeitungsnummern an Hubert Stipperger in Innsbruck zu senden seien – das Referat wurden im "Liechtensteiner Volksblatt" publiziert: L.Vo., Nr. 28, 15.7.1910, S. 1-2 ("Die neue liechtensteinische Gewerbeordnung"); L.Vo., Nr. 29, 22.7.1910, S. 1-2; L.Vo., Nr. 30, 29.7.1910, S. 1-2; L.Vo., Nr. 31, 5.8.1910, S. 1-2; L.Vo., Nr. 32, 12.8.1910, S. 1-2; L.Vo., Nr. 33, 19.8.1910, S. 1-2.
[2] Siehe das Gesetz vom 30.4.1910 betreffend Erlassung einer neuen Gewerbeordnung, LGBl. 1910 Nr. 3. Vgl. in diesem Zusammenhang den diesbezüglichen, undatierten Kommissionsbericht an den Landtag für die Sitzungen vom 16.12. und 18.12.1909 (LI LA LTA 1909/L01).
[3] Die liechtensteinische Gewerbeordnung von 1910 beruhte im Wesentlichen auf einem Gesetzentwurf von Stipperger. Dieses Elaborat stand unter dem Eindruck des österreichischen Gesetzes vom 5.2.1907 betreffend die Abänderung und Ergänzung der Gewerbeordnung, öst. RGBl. 1907 Nr. 26. Der genannte Vortrag Stippergers fand im Gasthaus zum Bierhaus in Vaduz statt. "Leider blieb die Zahl der Zuhörer hinter den Erwartungen zurück, was wohl hauptsächlich dem Umstande zuzuschreiben ist, dass überall geheuet werden musste und die Leute vielfach durch die notwendige Beseitigung der Folgen des letzten Unwetters zurückgehalten wurden." (vgl. L.Vo., Nr. 23, 10.6.1910, S. 1 ("Vortrag über die neue Gewerbeordnung"); L.Vo., Nr. 25, 24.6.1910, S. 4 ("Gewerbeordnung")).
[4] Vgl. die liechtensteinische Gewerbeordnung vom 16.10.1865, LGBl. 1865 Nr. 9.
[5] Vgl. die spätere Kritik an der Gewerbeordnung von 1910, insbesondere an der restriktiven Normierung des Befähigungsnachweises im Baugewerbe in: O.N., Nr. 11, 4.7.1914, S. 2 ("Die Unzufriedenheit mit der neuen Gewerbeordnung").
[6] Vgl. das Gesetz vom 16.9.1865 betreffend die Einführung des allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches im Fürstentum Liechtenstein, LGBl. 1865 Nr. 10.
[7] Vgl. die Fürstliche Verordnung vom 30.5.1871 über die Trennung der Justizpflege von der Administration, LGBl. 1871 Nr. 1.
[8] Vgl. in weiterer Folge das Gesetz vom 13.12.1915 betreffend die teilweise Abänderung der Gewerbeordnung, LGBl. 1915 Nr. 14.