Die Bürgerpartei bezichtigt die Volkspartei-Regierung im Wahlkampf der Lüge


Flugblatt der Bürgerpartei, ungez., verfasst von Josef Ospelt, Obmannstellvertreter, und Ludwig Marxer, Schriftführer der Bürgerpartei [1]

o.D. (9.1.1926)

Wähler!

Die Regierung treibt marktschreierische Propaganda gegen die Bürgerpartei, sucht einen offenkundigen Verfassungsbruch mit bedenklichen Mitteln zu bemänteln. [2]

Heute Samstag haben wir die Regierungskanzlei angefragt, ob das P. u. G. R. [Personen- und Gesellschaftsrecht] [3], mit dem man den Verfassungsbruch im Nachhinein zu bemänteln sucht, jetzt schon in Kraft sei. Antwort (nach kurzem Ausweichen): "Natürlich noch nicht!"

Also handelt es sich doch um einen Verfassungsbruch!

Also enthält das Flugblatt: "Nochmals der Wahrheit die Ehre" (8.I.) [4] mit der Behauptung, dass dieses Monopol verfassungsmässig durch ein Gesetz eingeführt worden ist, eine vom Regierungskollegium gezeichnete glatte Unwahrheit!

Bürger, Wähler, bedenket das!

Wollt ihr wieder eine Regierung, die Euch im entscheidenden Augenblick eine krasse Lüge auftischt?

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[1] LI LA J 007/S 058/045/01, Beilage IV. Die Regierung reichte wegen dieses Flugblatts am 19.1.1926 Strafanzeige gegen unbekannt ein (LI LA J 007/S 058/045/01). Im Zuge der Untersuchungen bekannten Josef Ospelt und Ludwig Marxer, das Flugblatt verfasst zu haben (LI LA J 007/S 058/045/03, informative Einvernahme von Ludwig Marxer, 27.1.1926; LI LA J 007/S 058/045/05, Beschuldigteneinvernahme Josef Ospelt, 13.2.1926).
[2] Die Bürgerpartei warf der Regierung vor, der Klassenlotterie gestützt auf das Personen- und Gesellschaftsrecht ein Monopol eingeräumt zu haben. Da dieses Gesetz damals noch in Kraft war, habe die Regierung verfassungswidrig gehandelt.
[3] LGBl. 1926 Nr. 4.
[4] LI LA J 007/S 058/045/01, Beilage III. Das Flugblatt war Teil einer Kampagne der Regierung gegen Vorwürfe im "Liechtensteiner Volksblatt", die Regierung habe im Zusammenhang mit der Klassenlotterie "mit den gemeinen Mitteln des groben Verfassungsbruches das Wohl des Landes verraten" (L.Vo., Nr. 104, 31.12.1925, S. 2f. ("Beantwortung der Interpellation des Abg. Peter Büchel")). Als Reaktion auf diesen Artikel hatte die Regierung bereits am 5.1.1926 ein Flugblatt verteilt (LI LA J 007/S 058/045/01, Beilage II, "Zur Steuer der Wahrheit!"). Zudem hatte die Regierung am 4.1.1926 Strafanzeige gegen Bernhard Risch, den Redakteur des "Liechtensteiner Volksblatts", erhoben (LI LA J 007/S 058/033/01). Nachdem sich im Zuge der Untersuchungen herausgestellt hatte, dass der fragliche Artikel von Hermann Walser verfasst worden war, reichte die Regierung auch gegen ihn Strafanzeige ein (LI LA J 007/S 058/033/11, Strafanzeige, 20.2.1926).