Maschinenschriftliche Abschrift eines Berichts von Landesverweser Leopold von Imhof an Fürst Johann II. [1]
10.11.1918
Euere Durchlaucht!
Die Strömungen der Jetztzeit haben gleich der Grippe vor dem Fürstentume nicht halt gemacht. Die Schlagworte vom Selbstbestimmungsrechte, der Souveränität des Volkes und andere demokratische Ideen mit stark sozialistischem Einschlag haben hier nicht bloss geschickte Vertreter, sondern – und zwar namentlich im Oberlande – auch fruchtbaren Boden gefunden.
Schon vor dem Zusammentritt des Landtages wurde mit verschiedenen Mitteln gegen mich Stimmung gemacht. Ich wurde als Vertreter eines veralteten autokratischen Regimes verrufen, der als Landfremder die Interessen Liechtensteins nicht entsprechend zur Geltung bringe und besonders Österreich gegenüber zu viel Entgegenkommen bezeige. Meine jüngste Auszeichnung mit dem Leopoldsorden, welche in ganz besonderen Umständen ihren Grund hatte, die ich Euer Durchlaucht lieber mündlich darlegen möchte, [2] wurde geschickt in obiger Weise ausgebeutet. Tatsache ist aber, dass die Liechtensteiner von allen in Österreich rationierten Artikeln weit grössere Kopfquoten erhielten, als die Österreicher selbst.
So schmerzlich es mir ist, kann ich doch nicht unterlassen, auch zu erwähnen, dass sich selbst abfällige Äusserungen über Euer Durchlaucht ans Licht wagten.
Die Agitation gegen mich begann sich auch im Amte durch ungenaue und lässige Erfüllung der behördlichen Aufträge – in einem Falle in Vaduz selbst durch deren völlige Ausserachtlassung – fühlbar zu machen.
Als ich in der ersten Sitzung des Landtages [3] den Vorwurf des Abgeordneten Dr. [Wilhelm] Beck, die Landräte nicht zur Mitwirkung heranzuziehen, als ungerechtfertigt zurückwies – und dessen Antrag, dass die Bestellung der Landräte künftig durch den Landtag zu erfolgen habe, als Eingriff in die verfassungsmässigen Hoheitsrechte ablehnte, erfuhr die Misstimmung gegen mich bei dessen Partei [4] noch eine Verschärfung und griff auch auf weitere Kreise über.
Der Vorgang der neuen Republik Vorarlberg, die jeden Landfremden entfernt, blieb nicht ohne Rückwirkung.
Nach Notizen der "Neuen Züricher Zeitung" wurde der Anschluss Vorarlbergs und Liechtensteins an die Schweiz in Erwägung gezogen. [5] Zu allem kam noch die kritische Lage des Fürstentums, das mit Mehl nur mehr bis Ende dieses Jahres versorgt ist, weil die vereinbarten Getreidezuschübe aus Österreich nur mehr teilweise eingebracht werden konnten, und welchem gleich Vorarlberg die Invasion durch die rückflutende 10. österreichische Armee droht.
Nun wurde – ob mit oder ohne wirklichen Grund sei dahingestellt – das Gerücht verbreitet, die Schweiz werde ein Ansuchen um Übernahme des militärischen Schutzes der Grenze gegen Vorarlberg und um Lebensmittelaushilfe nur dann günstig aufnehmen, wenn es von einer freigewählten Regierung gestellt werde, mir aber diese Unterstützung versagen. -
Durch Vertrauensmänner wurde mir mitgeteilt, dass nicht bloss die Jubiläumsfeier [6] eine Störung erfahren werde – sondern dass sich auch ernste Unruhe und Demonstrationen vorbereiten.
Unter diesen Umständen stellte ich bei der Landtagssitzung vom 7. November, [7] die über Verlangen der sogenannten "Volkspartei" tagsvorher vom Präsidenten [Albert Schädler] zur Besprechung wichtiger Tagesfragen einberufen worden war und einen noch nie dagewesenen Besuch von Zuhörern aufwies, die Vertrauensfrage und erklärte mich bereit, Euer Durchlaucht meine Demission zu überreichen, falls es der Wunsch der Volksvertreter wäre, dass die Verwaltung des Fürstentums in diesen ernsten Zeiten in die Hand von Liechtensteinern gelegt werde.
Ich hielt es für meine Pflicht, der Ruhe im Lande und der bedrohten gegenwärtigen Staatsform meine Stellung zum Opfer zu bringen und in diesen ernsten Zeiten nicht die schwere Verantwortung auf mich zu laden, durch mein Verbleiben im Amte den Erfolg des Hilferufes an die Schweiz zu gefährden. Gegen mein Erwarten und zu meiner Genugtuung votierte mir der Landtag einstimmig sein persönliches Vertrauen, beschloss aber gleichzeitig mit allen Stimmen gegen jene der drei fürstlichen Abgeordneten, dass die Führung der Amtsgeschäfte einem provisorischen Ausschusse zu übertragen sei. Da die gegenwärtigen Verhältnisse die Möglichkeit der sofortigen Einholung der höchsten Schlussfassung Euerer Durchlaucht nicht gewährleisteten und Gefahr im Verzuge war, habe ich diesem Ausschuss, welcher aus dem Advokaten Dr. Martin Ritter und dem Dr. Wilhelm Beck – den Trägern der ganzen Bewegung – sowie dem Landrate Emil Batliner gebildet wurde, die Amtsgeschäfte sofort interimistisch übergeben. Damit hat sich mit einem Schlage die Situation ganz geändert; früher teilweise arg angefeindet, bin ich auf einmal der Gegenstand allgemeiner Sympathien, die anti-dynastische Strömung ist verlaufen, der Agitation, welche meinem Vernehmen nach durch sozialistische Elemente aus Vorarlberg genährt wurde, der Boden entzogen, und der glatte und würdige Verlauf der Jubiläumsfeier gesichert.
Ich aber muss schweren Herzens und besorgt um meine und meiner Familie Zukunft mein Amt als Landesverweser in die Hände Euerer Durchlaucht zurücklegen.
Ich verbinde hiemit die untertänigste Bitte, Euer Durchlaucht geruhen die provisorische Führung der Regierungsgeschäfte durch den oberwähnten Ausschuss gnädigst genehm zu halten, dessen Präsidenten Dr. Martin Ritter interimistisch mit der Vertretung der Regierung im Landtage zu betrauen, und dem Schlagwort "Liechtenstein den Liechtensteinern" nachsichtigst Rechnung tragend, die prinzipielle höchste Geneigtheit kundzugeben, nach Zulass der Umstände den Wünschen des Landtages nachzukommen, dass künftighin an die Spitze der Verwaltung ein Liechtensteiner gestellt werde.
Die Bezüge des Landesverwesers, dessen Betrauung mit den Agenden der Forst- und Domänenverwaltung Vaduz nicht mehr in Aussicht zu nehmen wäre, hätte das Land zu bestimmen und zu tragen. Vorläufig wäre meines ehrerbietigsten Erachtens aber der Ausschuss in Funktion zu lassen und die Entwicklung der Dinge abzuwarten. Es wird dies der beste Prüfstein sein, ob die Mitglieder desselben den schweren Aufgaben, zu denen sie sich gedrängt haben, auf die Dauer gewachsen sind und ob sich nicht in Bälde die Stimmung der Bevölkerung in noch verstärktem Masse gegen sie erhebt, als zuletzt gegen mich.
Bis die höchste Resolution Euerer Durchlaucht über mein Demissionsgesuch herablangt, [8] werde ich dem Ausschusse jede mögliche Unterstützung gewähren und nach bestem Wissen beratend zur Seite stehen.
Die Geschäfte als Chef der fürstlichen Forst- und Domänenverwaltung Vaduz bitte ich untertänigst bis auf weiteres noch versehen zu dürfen.
Landrat Emil Batliner hat, wie ich erfuhr, die Berufung in den erwähnten Ausschuss abgelehnt. [9] Er ist vom Anfange an der ganzen Bewegung ferngestanden. Die von Euerer Durchlaucht ernannten Abgeordneten, Sanitätsrat Dr. Albert Schädler, Kanonikus [Johann Baptist] Büchel und Emil [richtig: Johann] Wohlwend aus Schellenberg haben ihre Mandate zurückgelegt. [10]
Ich komme, sobald es die Verhältnisse ermöglichen, nach Wien, um über allfälligen höchsten Befehl meine Ausführungen noch mündlich zu ergänzen.
In unwandelbarer Treue und Ergebenheit
Euer Durchlaucht
untertänigster