"Eingesandt" im "Liechtensteiner Volksblatt" [1]
15.11.1918
Zur Landtagssitzung vom 7. des Monats
In dieser Sitzung waren durch Dr. [Wilhelm] Beck eine Menge Leute aus den oberen Gemeinden zum Zwecke der Demonstration und der Einschüchterung zusammen gerufen worden, die den Zuhörerraum und die Plätze vor den Türen füllten.
Nachdem der Präsident [Albert Schädler] die Tagesordnung mit einigen Worten eingeleitet hatte, erhob sich der Regierungschef [Leopold von Imhof] und erklärte zum Erstaunen der Versammlung, dass er sich von seinem Amte zurückziehe, da ihm das Vertrauen nicht mehr allgemein zugewendet werde, und den Landtag bat, einen provisorischen Vollzugsausschuss zu wählen aus Männern des Landes. [2] Er versicherte, sein Amt immer nach bestem Wissen und Gewissen, uneigennützig verwaltet zu haben. Dr. Beck dankte dem Herrn Regierungschef für seinen Entschluss, anerkannte dessen eifrige Tätigkeit für das Wohl des Landes in dieser schweren Zeit und stellte den Antrag auf Wahl eines Vollzugsausschusses. Der Präsident erklärte, die Eröffnung des Regierungschefs habe einen so ausserordentlich wichtigen Inhalt, dass die Sache sich heute nicht so kurzer Hand erledigen lasse und er beantrage, die Beschlussfassung auf eine nächste Sitzung zu verschieben. Abg. Kanonikus [Johann Baptist] Büchel stimmte diesem Antrage bei. Er und andere Abgeordnete seien durch das Gehörte so überrascht worden, dass sie Zeit zur Überlegung haben müssten, zumal die Sache von so grosser Tragweite sei. Er führte in längerer Rede aus, wie schwer in dieser Kriegszeit die Verwaltung eines so vielseitigen Amtes wie das eines Landesverwesers sei, wie es auch keiner von den Abgeordneten es allen hätte recht machen können, wie das Tadeln auch in der freien Schweiz Mode sei, obwohl dort die Beamten vom Volke gewählt werden. Je kleiner das Land, desto kleinlicher seien die Menschen. Es wäre eine Rücksichtslosigkeit gegen den Fürsten [Johann II.], wenn ohne sein Wissen eine Regierung gewählt würde und passte besonders nicht zum bevorstehenden Regierungsjubiläum. [3] Wir sollten im Vergleich zu anderen Staaten mit unseren Verhältnissen zufrieden sei. Unser Volk sei im allgemeinen gut gesinnt und verständig, aber dadurch, dass man ihn verhetze, könne auch der ruhigste Mensch schliesslich ein Bolschewiki werden. Aufklären sei eine schöne Sache, aber leider sei seit Jahren viel durch Verhetzung gesündigt worden. Die Verwaltung eines Landes fordere eine eigene Vorbildung und nicht jeder gute Jurist sei auch ein guter Landesverweser. Er glaube nicht, dass wir einen solchen gegenwärtig im Lande hätten. Ein Mann aus dem eigenen Lande würde auch in gewisser Weise schwerer tun als ein unabhängiger, unparteiischer Nichtlandsmann. So sehr er für die Anstellung eigener Leute in die Beamtungen sei, für diesen Posten eines Landesverwesers würde er dem Fürsten die freie Wahl lassen. Dagegen sei der Redner entschieden dafür, dass die beiden Landräte, denen er den Titel "Regierungsräte" geben würde, vom Landtage gewählt werden. Abg. Fritz Walser erklärte, anderer Meinung zu sein. Er wünschte, dass alle Beamte Liechtensteiner seien; sie kennen die Verhältnisse besser als Fremde. Die drohende Invasion von Österreich her verlange rasche Entscheidung und eine Regierung, die mit der Schweiz verkehren könne. In der folgenden Wechselrede warnte der Kanonikus vor übereilter Tat. Man soll die Angelegenheit noch in reiflichere Erwägung ziehen. Ohne Wissen und Willen des Fürsten eine Regierung wählen wollen, wäre ein eklatanter Eingriff in die Rechte des Fürsten und eine Verletzung der Verfassung (auf die die Abgeordneten den Eid geleistet haben!). In Österreich habe der Kaiser [Karl I.] selbst seinen Staaten das Recht gegeben, sich nach Belieben eine provisorische Regierung zu geben, weil eben Österreich zusammengebrochen sei. Uns habe der Fürst diese Vollmacht nicht gegeben und Liechtenstein sei gottlob nicht zusammengebrochen, sondern stehe noch da so glücklich und ruhig wie vor dem Kriege. Die Leute, die heute hieher getrommelt worden seien, seien nicht das Volk. Wenn es für den Fürsten gelte, brächte man mehr und bessere Leute zusammen. Auf eine verdächtigende Bemerkung Dr. Becks erwiderte der Kanonikus, obwohl er fürstlicher Abgeordneter sei, sei er doch ein Mann des Volkes, der von jeher und heute noch nur das Wohl des Volkes vor Augen habe. Er nehme es hierin mit jedem auf von Ruggell bis Balzers. Es wurde nun abgestimmt darüber, ob man einen Vollzugsausschuss wählen wolle. Nachdem auch der Regierungschef geäussert hatte, es wäre dies keine Verletzung der Verfassung, wurde mit 12 gegen 3 Stimmen die Wahl beschlossen. Entgegen dem Antrag des Kanonikus auf geheime Abstimmung wurde öffentlich abgestimmt. Auf Antrag des Abg. Fritz Walser wurde dann in diesem Vollzugsausschuss Dr. [Martin] Ritter, Dr. Beck und Emil Batliner gewählt. (Batliner lehnte aber dann die Wahl mit aller Entschiedenheit ab).
Darauf wurde noch beschlossen, wegen des Grenzschutzes mit der Schweiz in Verbindung zu treten und den Vorarlbergern mit Lieferung von Vieh zu Hilfe zu kommen.
Schlussbemerkungen. Unbegreiflich ist das Verhalten des Landesverwesers. Ungesetzlich in dreifacher Hinsicht der ganze Vorgang, eine dreifache Verletzung der Verfassung. Eine schmachvolle Beeinflussung der Abgeordneten, die man förmlich überrumpelte, durch Zusammenzug gewisser Elemente, einschüchterte und durch die öffentliche Abstimmung der Freiheit beraubte. Eine Schande für uns!
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