Prinz Eduard von Liechtenstein informiert Josef Peer über den Plan Matthias Erzbergers, Liechtenstein dem Papst zu übertragen


Maschinenschriftliches Schreiben von Prinz Eduard von Liechtenstein, Gesandter in Wien, gez. ders., an Landesverweser Josef Peer [1]

27.10.1920, Wien

Geehrter Herr Hofrat!

Im Buche [Matthias] Erzbergers "Kriegserinnerungen" finden sich nähere Ausführungen über seinerzeitige Verhandlungen mit dem Hause Liechtenstein wegen einer eventuellen Abtretung des Fürstentumes Liechtenstein an den Papst. [2] Die Darstellung Erzbergers ist derart, dass ein Verhalten des Fürstenhauses oder einiger seiner Mitglieder daraus gefolgert werden könnte, welches lediglich dahin abzielt, ihre Souveränität zu bewahren, ohne aber diese Souveränität auf einer Verbindung mit dem Fürstentume aufgebaut zu sehen. Es wird behauptet, dass eine Bereitwilligkeit bestand für den Plan und zwar gegen Schaffung eines neuen Fürstentumes Liechtenstein, etwa in Vorarlberg. Wie tendenzios die ganze Mitteilung ist, beweist die Tatsache, dass Erzberger seine Ausführungen mit der Mitteilung schliesst, dass das Haus jetzt, kaum 24 Monate nach dieser Angelegenheit, seine Souveränität verloren habe, ohne dass daraus ein welthistorischer Akt geworden sei.

Es ist natürlich begreiflich, wenn diese Angelegenheit, falls sie im Lande bekannt wird, böses Blut hervorruft. Dass sie bekannt wird, ist ziemlich sicher vorauszusehen. Hofkaplan [Alfons] Feger beschäftigt sich mit derselben, [3] wenn auch durchaus im Sinne des Fürstenhauses und wird gewiss nicht davon sprechen, wenn dies von anderer Seite nicht geschieht. Nach einer Notiz in den "O.N.", Nr. 84 [4] ist anzunehmen, dass die Sache bereits bekannt ist und dass darüber gesprochen wird, wenn die Notiz auch zweifellos nicht freundlich für Erzberger ist und er wegen seiner Idee, aus Liechtenstein einen Kirchenstaat zu machen, als für das Land nicht sympatische politische Figur hingestellt wird.

Zu Ihrer Orientierung bitte ich Sie einstweilen folgende Momente zur Kenntnis zu nehmen:

  1. Seine Durchlaucht der Fürst [Johann II.] erinnert sich undeutlich an einen Besuch Erzbergers, bei dem von einem ähnlichen Plane die Rede war. Es scheint, dass Erzberger von einem Fürstentume in der Gegend von Feldsberg – Eisgrub sprach, ein Gedanke, der Seiner Durchlaucht naturgemäss praktisch undurchführbar und ausser ernster Diskussion stehend schien, weswegen Seine Durchlaucht der Angelegenheit auch keine besondere Beachtung schenkte. Seine Durchlaucht hat mir auch sofort erklärt, dass es doch ganz ausgeschlossen sei, einen derartigen Gebietstausch ins Auge zu fassen, dass zumindest man sich der Zustimmung des Landes hätte vergewissern müssen und dass er auch ohne Kenntnis wenigstens der nächststehenden Agnaten, nie in einer ähnlichen Sache gehandelt hätte; von was seines Erinnerns allerdings auch in den Zeitungen die Rede war, war nur, dass Seiner Heiligkeit [Benedikt XV.] eventuell ein Aufenthalt im Vaduzer Schloss anzutragen wäre, um die Freiheit des Papstes während eines italienischen Krieges zu sichern. Ein solcher vorübergehender Aufenthalt Seiner Heiligkeit wäre nicht nur eine Auszeichnung für das Fürstenhaus und das Land gewesen, sondern hätte gewiss auch im Lande nur die vollste Zustimmung gefunden.
  2. Erzberger kam auch zufällig einmal mit Seiner Durchlaucht Prinz Franz sen. [von Liechtenstein] zusammen, welcher über dessen Pläne, wie ich höre, wenig erbaut war; das Nähere über dessen Besprechung mit Erzberger ist mir noch nicht bekannt. [5] In der Richtung der Erzbergerischen Pläne scheint allerdings der österreichische Botschafter am Vatikan [Johannes von Schönburg-Hartenstein] sich bemüht zu haben, was den Ärger Sr. Durchlaucht des Prinzen Franz hervorrief, den dieser dem Botschafter gegenüber auch zum Ausdrucke brachte.
  3. Meine Rücksprache mit dem damaligen österr. Minister des Äussern und des kaiserlichen Hauses, Grafen Burian [Stephan Burián von Rajecz] und dem ersten Sektionschef des Ministeriums des Äussern, Baron [Ludwig von] Flotow hat in einwandfreier Weise ergeben, dass diesen beiden Herren über die ganze Angelegenheit nichts bekannt geworden ist und dass keinesfalls Akten im Gegenstande erlaufen sind. Flotow wusste von gar nichts, Graf Burian sagte mir heute, dass er zweimal mit Erzberger gesprochen habe, der ihm einen sehr ungünstigen Eindruck machte und mit dem er ernstere Unterredungen ablehnte, weil er sich die Rolle eines Vertreters der deutschen Regierung anmasste, ohne irgendwie dazu legitimiert zu sein. Er erinnert sich, dass Erzberger über die Stellung des Papstes sprach, dass vorübergehend davon die Rede war, dem Papste Trient anzutragen und dass der österreichische Botschafter sich sehr bemühte, für den Papst einen Aufenthaltsort zu finden; vom Fürstentume Liechtenstein und von einschlägigen Projekten sei ihm aber gar nichts zur Kenntnis gekommen.

Aus dem allen geht für mich unzweifelhaft hervor, dass, wenn Erzberger in dieser Richtung tätig war – er beruft sich auf Besprechungen in Hofkreisen, die das Projekt förderten – dass er vielleicht mit einzelnen Persönlichkeiten am kaiserlichen Hofe, die als eifrige Katholiken mit Freuden bereit waren, für den Papst tätig zu sein, verschiedene persönliche Erörterungen gepflogen haben mag, dass aber die ganze Angelegenheit niemals ernst weder von der Seite der österreichischen Regierung noch von Seite Seiner Durchlaucht des Fürsten oder des Fürstenhauses in Erörterung gezogen worden war.

Die Redaktion der Zeitschrift "Das neue Reich" erbittet von mir einen Artikel im Gegenstande, [6] wie überhaupt verschiedene Kreise gegen die Publikationen Erzbergers Stellung nehmen wollen. Ich trachte zunächst, insbesonders durch Befragung des österreichischen Botschafters im Vatikan festzustellen, was sich eigentlich hinter den Kulissen abgespielt hat [7] und werde dann eventuell, wenn Seine Durchlaucht es genehmigt, eine entsprechende Veröffentlichung ausarbeiten.

Ich teile Ihnen Herr Hofrat dies alles mit, um Sie in die Lage zu versetzen, gelegentlich etwa auftauchenden Gerüchten gleich mit positiven Tatsachen entgegentreten zu können und weiters um Sie zu bitten, mir mitzuteilen, ob im Lande über die Sache gesprochen wird und in welchem Sinne, denn vielleicht ist es, wenn im Lande von der Sache nicht gesprochen wird, besser, überhaupt zu der ganzen Frage keine Stellung öffentlich zu nehmen. [8] Von hiesigen politisch katholischen Kreisen wird allerdings eine Stellungnahme gewünscht, weil man findet, dass die Schenkung eines Landes an den Papst mitten im Weltkriege von einem Freunde der Zentralmächte unter Mitwirkung dieser Zentralmächte von der Entente als ein Bestechungsversuch grössten Stiles der Kurie durch Mitteleuropa aufgefasst worden wäre; man müsse daher den Verdacht, sich mit dieser Angelegenheit beschäftigt zu haben, von der Kurie abwälzen.

Mit vorzüglichster Hochachtung:

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[1] LI LA SF 01/1920/156. Aktenzeichen: 760/1. Das Schreiben langte am 29.10.1920 bei Peer ein.
[2] Matthias Erzberger: Erlebnisse im Weltkrieg, Stuttgart 1920, S. 135-137.
[3] Vgl. die Korrespondenz zwischen Prinz Eduard und Feger in LI LA V 003/0118.
[4] Die "Oberrheinischen Nachrichten" brachten einige Tage zuvor eine kurze Notiz über Erzbergers Plan (O.N., Nr. 84, 20.10.1920, S. 2 ("Liechtenstein ein Kirchenstaat")).
[5] Prinz Eduard holte in der Folge weitere Informationen bei Prinz Franz ein, vgl. LI LA V 003/0118, Prinz Eduard an Alfons Feger, 13.11.1920.
[6] LI LA V 003/0118, Joseph Eberle an Prinz Eduard, 23.10.1920.
[7] Vgl. LI LA V 003/0118, Prinz Eduard an Johannes von Schönburg-Hartenstein13.11.1920; LI LA V 003/0176, Schönburg-Hartenstein an Prinz Eduard, o.D. Prinz Eduard zog zudem bei Prinz Alois von Liechtenstein (LI LA V 003/0118, Prinz Alois an Prinz Eduard, 2.11.1920) und beim ehemaligen Landesverweser Leopold von Imhof Erkundigungen ein (LI LA PA 001/0021/08, Prinz Eduard an Imhof, 27.10.1920; LI LA V 003/0118, Imhof an Prinz Eduard, 29.10.1920).
[8] Peer riet in seinem Antwortschreiben vom 1.11.1920 (LI LA SF 01/1920/156) entschieden von einer öffentlichen Stellungnahme ab.