Liechtenstein und Vorarlberg treffen eine Vereinbarung über das provisorische Weiterbestehen des Zollvertrags und über die Handhabung des Warenverkehrs


Maschinenschriftliches Protokoll der Besprechungen zwischen Martin Ritter, Vorsitzender des liechtensteinischen Vollzugsausschusses, und Vertretern von Vorarlberger Behörden, gesehen und gefertigt durch Ritter und Otto Ender, Vorarlberger Landeshauptmann [1]

6.12.1918, Feldkirch

Niederschrift über die Beratungen zwischen Vertretern des Landes Vorarlberg und des Fürstentum Liechtenstein, gepflogen im Rathaus zu Feldkirch am 6. Dezember 1918

Anwesend:

  1. Herr Dr. Martin Ritter, Vorsitzender des liechtensteinischen Vollzugsausschusses,
  2. Herr Dr. Ender, Landespräsident von Vorarlberg,
  3. Herr Dr. [Ferdinand] Redler, Vorarlberger Landesrat,
  4. Herr Dr. [Gottfried] Riccabona und Herr M.R. [Magistratsrat] [Anton] Gohm, als Vertreter der Stadt Feldkirch,
  5. Herr Oberfinanzrat Jos. [Josef] Bitschnau, als Vertreter der Finanz-Bezirksdirektion,
  6. Herr Statthaltereirat [Johann] Cornet, als Vertreter der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch,
  7. Herr Baron [Gaston von] Hausmann[-Stetten], als Vertreter des Polizeikommissariats.

Nach einer längeren Besprechung einigt man sich auf folgende Grundsätze:

  1. Die liechtensteinische Regierung anerkennt provisorisch die zwischen Österreich-Ungarn einerseits und Liechtenstein andererseits über die Zölle, [2] Monopole, Verzehrungssteuern etc. abgeschlossenen Staatsverträge als mit dem neuen Staate Deutsch-Österreich zu Recht bestehend.
  2. Das Fürstentum Liechtenstein steht auf dem Standpunkt, dass die Ausfuhrverbote des altösterreichischen Staates und ev. Ausfuhrverbote des deutschösterreichischen Staates für das Fürstentum Liechtenstein keine Giltigkeit haben. [3]
  3. Das Fürstentum Liechtenstein nimmt aber die tatsächliche Handhabung der bestehenden und noch zu erlassenden Ausfuhrverbote seitens der deutschösterreichischen Ämter hin, wenn die Finanz-Bezirksdirektion Feldkirch zur Erteilung von Ausfuhrbewilligungen für Liechtenstein ermächtigt wird und wenn die Finanz-Bezirksdirektion Feldkirch solche Ausfuhrbewilligungen für Waren auch tatsächlich erteilt, die liechtensteiner Provenienz sind.
  4. Die Versendung der Ausfuhr österreichischer Waren, insbesondere solcher aus Vorarlberg, über Liechtenstein als liechtensteinische Ware wird die Finanz-Bezirksdirektion Feldkirch in geeigneter Weise, z.B. durch Beschränkung der Ausfuhrzahl (bei Pferden) oder durch direkte Ermittlung der Herkunft der Ware (z.B. bei Holz) bewirken.
  5. Liechtenstein wünscht wieder etwa 300 Stück Vieh auszuführen, jedoch nur gegen Kompensation und zwar insbesonders Mehl und Fett. Wenn Österreich eine solche Kompensation nicht bieten kann, erstrebt Liechtenstein die Durchfuhrbewilligung nach Ungarn.
  6. Bezüglich einer ev. Einschränkung der Ausfuhr von Banknoten und Wertpapieren aus Liechtenstein in die Schweiz ist Liechtenstein insofern interessiert, als es einer diesbezüglichen Einschränkung der liechtensteinischen Bevölkerung nicht zustimmen kann. Dem Staate Deutschösterreich andererseits ist damit nicht gedient, weil bei der Unmöglichkeit einer vollständigen Absperrung der Grenze Vorarlberg und Liechtenstein nicht verhindert werden kann, dass aus Vorarlberg grosse Geldbeträge nach Liechtenstein gebracht und dort von Einheimischen als einheimisches Geld in die Schweiz gebracht werden. Es muss der deutsch-österreichischen Regierung überlassen bleiben, in dieser Richtung mit der liechtensteinischen Regierung weitere Verhandlungen zu pflegen oder sonst ihre Massnahmen zu treffen.
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[1] LI LA RE 1918/5226 ad 2/5068. Ebd. ein weiteres, ungezeichnetes Exemplar sowie eine Abschrift. Eingangsstempel der Regierung vom 6.12.1918. Auf der Rückseite des zweiten Blattes stenographische Notizen. Das Protokoll wurde am 23.12.1918 von Landesverweser Prinz Karl ad acta gelegt.
[2] Vertrag zwischen Seiner Majestät dem Kaiser von Österreich und apostolischen König von Ungarn und Seiner Durchlaucht dem souverainen Fürsten von Liechtenstein über die Fortsetzung des durch den Vertrag vom 5. Juni 1852 gegründeten Österreichisch-Liechtenstein'schen Zoll- und Steuervereines vom 2.12.1876, LGBl. 1876 Nr. 3.
[3] Diesen Standpunkt vertrat Liechtenstein auch gegenüber der deutsch-österreichischen Regierung, vgl. LI LA RE 1918/5068 ad 2, Regierung an deutsch-österreichisches Staatsamt der Finanzen, 25.11.1918.