Maschinenschriftliches Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien, gez. Prinz Eduard, an die Regierung [1]
26.8.1919, Vaduz
Zu der mir übermittelten Kundmachung vom 11. August, [2] bezüglich welcher es sich meiner unmassgeblichen Meinung nach wohl empfohlen hätte, vor deren Erlassung mit den beteiligten Gesandtschaften in Wien und Bern Fühlung aufzunehmen, erlaube ich mir nachstehende Bemerkungen zu machen:
Ad § 1: [3] Nachdem die fürstlich Liechtensteinische Gesandtschaft in Wien auch die Vertretung im Deutschen Reiche - provisorisch wenigstens - übernommen hat, erscheint es ausgeschlossen, dieselbe für die Vidierung bei Einreisen aus Deutschland nach Liechtenstein zu übergehen. Nachdem aber andererseits mit Rücksicht auf die geographische Lage und den Postverkehr die Einholung des Passvisums in Wien die Einreise verzögern kann, wäre die Einholung des Passvisums bei der fürstlichen Regierung in Vaduz parallel und motiviert in Aussicht zu nehmen, eventuell könnte Bayern, Württemberg und Baden eine ecceptionelle Stellung erhalten, mit Rücksicht auf ihre grössere Nähe.
Ich würde nachstehende Nachtragsverlautbarung beantragen:
„Nachdem die fürstlich Liechtensteinische Gesandtschaft in Wien die Vertretung der Interessen der liechtensteinischen Untertanen in den deutschen Bundesstaaten übernommen hat, haben Reisende aus dem Deutschen Reiche im Sinne des § 1 der Kundmachung vom 11. August 1919, Zahl 2573, für die Einreise nach dem Fürstentume den Pass-Sicht-Vermerk bei der fürstlich Liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien, I. Bankgasse 9, einzuholen. Einwohner von Bayern, Württemberg und Baden steht es jedoch - mit Rücksicht auf die kürzere postalische Verbindung nach Vaduz - frei, dieses Visum bei der fürstlichen Regierung in Vaduz zu erbitten." [4]
Ad § 4: [5] Die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien hat bisher für die Passvidierung eine Gebühr von K 15.- eingehoben; die cechische Gesandtschaft verlangt 20 und 24 Kronen, die Schweiz 5 Franken zum Kurswerte in österr. Währung. Eine höhere Gebühr wirkt zweifellos etwas abschreckend. Ich möchte bei der Gebühr von 15 K unbedingt bleiben und ersuche um Weisung, ob eine solche Gebühr auch bei liechtensteinischen Staatsbürgern einzuheben ist, ev. könnte diese auf 5 K erniedrigt werden. Dass liechtensteinische Staatsbürger ebenfalls ein Passvisum haben müssen, scheint mir richtig zu sein, schon damit die Durchreise ohne Einreisebewilligung für Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg gestattet wird. Der in Österreich wohnhafte Liechtensteiner muss vorher seine d.ö. [deutschösterreichische] Ausreisebewilligung erhalten.
Ich bitte auch um Mitteilung, in welcher Weise die Bestimmungen des § 3 [6] überwacht werden und um ein Musterformular etwa diesbezüglich bestehender Legitimationen für den kleinen Grenzverkehr. Weiters bitte ich - behufs Berichterstattung an Seine Durchlaucht den Fürsten [Johann II.] - um Mitteilung, in welcher Weise die Passkontrolle an den Einbruchstellen gehandhabt wird, wobei ich auch auf die Notwendigkeit aufmerksam mache, auf den Eisenbahnstationen eine Passkontrolle durchzuführen; ebenso bitte ich um Mitteilung der Gesetze, nach denen im Sinne des § 6 [7] strafweise vorgegangen werden kann und beehre mich, die Anfrage zu stellen, ob es sich nicht empfehlen würde, den Strafsatz bekanntzugeben, wie dies in Österreich bei allen derartigen Kundmachungen geschieht. Nach § 6 ist nicht einmal die Kompetenz der Verwaltungsbehörde oder des Strafgerichtes zu entnehmen. Bei diesem Anlasse ersuche ich auch um Übermittlung von 20 Passformularien, da der Vorrat der Wiener Gesandtschaft zur Neige geht. [8]
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[1] LI LA RE 1919/4147 ad 2161/4133. Eingangsstempel der Regierung vom 27.8.1919.
[2] Die fürstliche Hofkanzlei hatte die liechtensteinische Regierung am 26.4.1919 um die Ausarbeitung von Einreise- bzw. Aufenthaltsbeschränkungen für Liechtenstein ersucht, um „zweifelhafte Elemente" wie „politisch hervorstechende Personen" vom Fürstentum fernzuhalten. Dabei hatte sie die Regierung um entsprechende Anträge und Anregungen gebeten (LI LA RE 1919/2161 (Aktenzeichen 4996). Die Regierung erliess am 11.8.1919 auf dem Verordnungsweg Restriktionen für die Einreise nach Liechtenstein (LI LA RE 1919/2573 ad 2161), welche am 23.8.1919 präzisiert bzw. abgeändert wurden (LI LA RE 1919/4133 ad 2161).
[3] § 1 Abs. 2 der genannten Regierungsverordnung vom 11.8.1919 sah vor, dass Reisende aus anderen Staaten als aus der Schweiz oder Deutschösterreich für die Einreise nach Liechtenstein eines von der Regierung ausgestellten Sichtvermerkes bedurften.
[4] Bereits die erwähnte Regierungsverordnung vom 23.8.1919 bestimmte, dass Bewohner des Deutschen Reiches den Sichtvermerk auch bei der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien einholen konnten.
[5] Nach § 4 der Verordnung vom 11.8.1919 waren für die Sichtvermerke in Vaduz und Wien 5 Kronen, für jene in Bern 5 Franken zu entrichten. Die Verordnung vom 23.8.1919 sah dann für die von der Gesandtschaft in Wien ausgestellten Sichtvermerke eine Gebühr von 15 Kronen vor.
[6] § 3 der Verordnung vom 11.8.1919 traf Sonderbestimmungen für den kleinen Grenzverkehr. Demnach waren die angeführten Restriktionen nicht auf Parteien anwendbar, die in einem Umkreis von 10 Kilometern von der Grenze wohnhaft waren und am selben Tag, an dem sie nach Liechtenstein einreisten, wieder das Fürstentum verliessen. In der Verordnung vom 23.8.1919 wurden die unter den kleinen Grenzverkehr fallenden Ortschaften in der Schweiz und in Österreich namentlich aufgezählt. Ein Reisepass war allerdings auch im kleinen Grenzverkehr nötig.
[7] § 6 der Verordnung vom 11.8.1919 besagte lediglich, dass Übertretungen der Verordnung gesetzlich bestraft würden, was sicherlich den Grundsatz hinreichend bestimmter Strafvorschriften (lex stricta) verletzte .
[8] Landesverweser Prinz Karl antwortete der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien mit Schreiben vom 28.8.1919 (LI LA RE 1919/4147 ad 2161/4133 Revers). Am 23.10.1919 wurde schliesslich von der Regierung die Verordnung betreffend Erlassung von Vorschriften über die Einreise nach Liechtenstein, LGBl. 1919 Nr. 14, erlassen, in welcher die Änderungswünsche von Prinz Eduard berücksichtigt wurden (vgl. § 2 Abs. 1 Bst . a und Abs. 2, § 7, § 9).