Die fürstliche Hofkanzlei ersucht die Regierung um die Ausarbeitung von Einreise- bzw. Aufenthaltsbeschränkungen für Liechtenstein


Maschinenschriftliches Schreiben der fürstlichen Hofkanzlei, gez. Hermann von Hampe, an die Regierung [1]

26.4.1919, Wien

Die fürstliche Hofkanzlei glaubt die Aufmerksamkeit der fürstlichen Regierung auf gewisse Erscheinungen in der letzten Zeit verweisen zu sollen, welche sich aus den Bestimmungen über die Einreisebewilligung in das Fürstentum Liechtenstein beziehungsweise deren Handhabung ergeben und gerade in letzter Zeit durch die Affäre des Grafen Ottokar Czernin in Feldkirch [2] zu recht unangenehmen Konsequenzen geführt hat.

Es zeigt sich hier vielfach das Bestreben von allerhand Personen, [3] Einreisebewilligungen in das Fürstentum zu erhalten, zumal ähnliche Bewilligungen in die Schweiz nur sehr schwer erhältlich sind und auch die valutarischen Verhältnisse viele, welche Angst und Besorgnis von Wien vertreibt, verhindert in der Schweiz Aufenthalt zu suchen. Der Gedanke, eine Zuflucht in Liechtenstein zu finden, ist daher naheliegend.

So sehr dieser Gedanke vielleicht vom Standpunkte der Hebung des Fremdenverkehrs und des Einströmens von Geld wünschenswert wäre, so dürften doch gegen die Förderung dieser Einwanderung und ganz gewiss gegen die Duldung der Einwanderung jener zweifelhaften Elemente wie sie Wien und Österreich als galizische und Budapester Flüchtlinge jetzt überschwemmen, vom Standpunkte der Ernährung und von anderen aus schwere Bedenken bestehen.

Von besonderer Bedeutung wird aber die Frage auch, wenn es sich um die Einreise von politisch hervorstechenden Personen handelt, denen wie im Falle Czernin die deutschösterreichische Regierung die Ausreise nicht bewilligt und deren Einreise auch in der Schweiz nicht gewünscht wird.

Das Fürstentum hat vom Standpunkte seiner eigenen Ernährung und der Erhaltung des Besitzstandes der fürstlichen Familie in Österreich gegenwärtig ein zu lebhaftes Interesse mit der deutschösterreichischen Regierung, aber auch mit der schweizerischen Regierung, im besten Einvernehmen zu stehen und muss alles vermeiden, wodurch das Fürstentum in den Verdacht kommen könnte, die Stätte politischer Intriguen oder auch nur der Zuflucht von Personen zu werden, die die deutschösterreichische Regierung nicht aus dem Staatsgebiete herauslassen will.

Wenn auch die liechtensteinische Verfassung die Ein- und Auswanderung in keiner Weise behindert, so dürften die gegenwärtigen abnormen Verhältnisse und das Recht der Reziprozität gegenüber den Nachbarstaaten es wohl zweifellos rechtfertigen, wenn in dieser Hinsicht wenigstens vorübergehend gewisse Kautelen geschaffen werden, und der Aufenthalt im Lande genau so wie es in der Schweiz, ja in Vorarlberg, [4] Tirol, Salzburg, kurz wie in jedem österreichischen Kronlande geschieht, an bestimmte Erlaubnisse der Liechtensteiner Regierung geknüpft wird.

Mit Errichtung der Gesandtschaft in Wien könnte naturgemäss die Erteilung dieser Bewilligung in Form eines Passvisums auf die Gesandtschaft übergehen, [5] welcher jedoch seitens der Regierung entsprechende Direktiven zu geben wären. Es muss aber jedenfalls vermieden werden, dass wie im Falle Czernin Prinz Eduard, welcher beim schweizerischen Gesandten [Charles-Daniel Bourcart] wegen der Ernährung Liechtensteins im Auftrage des Fürsten [Johann II.] vorzusprechen hatte, über direktes Befragen des Gesandten nach der auffallenden Abreise des Grafen mit dem Entente-Zug aus Wien und noch vor Einlangen der Nachrichten über seine Verhaftung in Feldkirch, erklären musste, dass seines Wissens Graf Czernin wenigstens in der Hofkanzlei oder beim Fürsten selbst nicht um eine Einreisebewilligung angesucht habe. Die dann in den Zeitungen veröffentlichten Erklärungen des Grafen, er habe über „eine Einladung Liechtensteins" nach Vaduz fahren wollen, muss natürlich hier bei der Regierung den Eindruck hervorrufen, als ob man ihm die von der Regierung verweigerte Ausreise möglich machen wollte, was gewiss nicht im Interesse des Landes liegt.

Die fürstliche Regierung wird daher gebeten, im Gegenstande weitere Anträge und Anregungen ehestens zu stellen. - [6]

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[1] LI LA RE 1919/2161 (Aktenzeichen 4996). Handschriftliche Bemerkung am Ende des Dokuments: „Akten über Aufenthaltsbew. in den Gemeinden!" Ferner stenographische Notiz.
[2] Den „Oberrheinischen Nachrichten" zufolge hatte der vormalige österreichisch-ungarische Aussenminister Ottokar von Czernin am 23.4.1919 den Versuch unternommen, die schweizerische Grenze zu überschreiten. Czernin hatte in Wien vorgegeben, sich auf eine seiner Besitzungen in Oberösterreich zu begeben. Tatsächlich hatte er den Entente-Zug nicht in Oberösterreich verlassen, sondern war bis nach Feldkirch gefahren, wo dann seine Verhaftung erfolgte (O.N., Nr. 29, 26.4.1919, S. 3 („Graf Czernin verhaftet")). Die „Wiener Neue Presse" berichtete dagegen, dass Czernin seine Verhaftung dementiert und Staatskanzler Karl Renner um die Einleitung einer amtlichen Untersuchung ersucht hatte, um die Unrichtigkeit dieser Verlautbarung festzustellen („Neue Freie Presse", Morgenblatt, Nr. 19635, 24.4.1919, S. 8 („Das Dementi des gewesenen Ministers Ottokar Czernin gegen die Nachricht über seine Verhaftung")). Vgl. auch L.Vo., Nr. 32, 24.4.1918, S. 2 („Graf Czernin") und L.Vo., Nr. 34, 30.4.1919, S. 2 („Graf Czernin").
[3] Vgl. hiezu etwa die zahlreichen Einreiseanträge in der Akte LI LA RE 1919/2161.
[4] Vgl. die Verordnung der Vorarlberger Landesregierung im Einvernehmen mit dem Vorarlberger Landesrate vom 2.4.1919 betreffend die Beschränkung der Einreise nach Vorarlberg und des Aufenthaltes daselbst, Vorarlberger Landesgesetzblatt 1919 Nr. 29. Dieser Verordnung zufolge war die Einreise nach Vorarlberg nur Personen gestattet, welche in einer Vorarlberger Gemeinde heimatberechtigt waren, dienstlich unterwegs waren oder über eine Einreisebewilligung der Vorarlberger Landesregierung verfügten. Jedoch bedurften nach § 5 der Verordnung Personen, die zum kleinen Grenzverkehr zugelassen waren, innerhalb der Grenzzone keiner besonderen Einreise- bzw. Aufenthaltsbewilligung. - Nach Auffassung der Vorarlberger Landesregierung sollten dadurch alle jene landfremden Elemente aus dem Lande entfernt bzw. vom Lande ferngehalten werden, die die volkswirtschaftlichen Interessen durch nicht einwandfreie geschäftliche Transaktionen schädigten oder, ohne im Erwerbs- oder Berufsleben zu stehen, die relativ günstigen Verpflegungsverhältnisse Vorarlbergs mit Hilfe der ihnen zur Verfügung stehenden grösseren Existenzmitteln ausnützen wollten und in dieser Weise die allgemeine Ernährungslage gefährdeten (Kommentierung der genannten Verordnung durch das Präsidium der Vorarlberger Landesregierung u.a. zuhanden der Bezirkshauptmannschaften vom 2.4.1919, LI LA RE 1919/1716 (Aktenzeichen: prs Zl. 186/1)).
[5] Vgl. § 4 der Fürstlichen Verordnung vom 5.10.1919 betreffend die Erlassung einer Amtsinstruktion für die Fürstlich Liechtensteinische Gesandtschaft in Wien, LGBL. 1919 Nr. 13, wonach der Gesandtschaft u.a. die Ausfertigung der für die Einreise nach Liechtenstein bis auf weiteres erforderlichen Pass-Sichtvermerke an Bewohner Deutschösterreichs und Deutschlands oblag.
[6] Den Anliegen der fürstlichen Hofkanzlei kam die liechtensteinische Regierung am 11.8.1919 mit der Verordnung betreffend Einreise nach Liechtenstein nach (LI LA RE 1919/2573 ad 2161). Diese Verordnung, welche nicht im Liechtensteinischen Landesgesetzblatt publiziert wurde, erlaubte die Einreise nach Liechtenstein nur noch Personen, welche über einen gültigen Reisepass mit einem liechtensteinischen Sichtvermerk verfügten. Ausgenommen war der kleine Grenzverkehr, der sich auf Personen bezog, die innerhalb von zehn Kilometern von der Grenze wohnten und am selben Tag ein- und ausreisten. Die Durchreise durch Liechtenstein war ohne besondere Formalitäten gestattet.