Der Vaduzer Pfarrer Johannes de Florin gedenkt in seiner Neujahrspredigt des Weltkrieges


Auszug aus der Neujahrspredigt des Vaduzer Pfarrers Johannes De Florin im "Liechtensteiner Volksblatt" [1]

7.1.1916

Zur Jahreswende. (Aus der Neujahrspredigt des hochw. Herrn Pfarrer in Vaduz) ... Doch hinweg von diesem schauerlichen Bilde blutigen Völkerringens! Richten wir Aug' und Herz nach unserer stillen, lichten Friedensinsel Liechtenstein! Wie ist sie uns lieb, wie sind wir doch ein glücklich Volk! "Danket darum dem Herrn, eurem Gott, für das gute Land, welches er euch gegeben hat." (Deut. [Deuteronomium] 8, 10.) – Als ihr vor kurzem wieder um den lieblich leuchtenden Familienchristbaum versammelt waret, hob sich euer Herz zu dieser schreckensvollen Zeit nicht in Freud und Trost, wie da von euren Lieben kein teures Haupt euch fehlte?

Zwar wirft der Völkerkrieg auch über uns seine dunklen Schatten. Wir beklagen die Knappheit und immer wachsende Teuerung der notwendigsten Lebensmittel: sind aber diese Lästigkeiten nicht Kleinigkeiten im Vergleich zum bedauernswerten Los und Leid der armen Soldaten vor den tot- und verderbensprühenden Kanonen? im Vergleich zum herzzerreissenden Weheschrei und Jammer ungezählter Witwen und Waisen, denen der Krieg mit rauher Eisenfaust den geliebten Vater entriss? Ja, Kleinigkeiten sind unsere Leiden angesichts des Elends der kriegsdurchtobten, so vielfach in Trümmer gelegten Länder. Darum klagt nicht, sondern danket dem Herrn und blicket mit Zuversicht in die Zukunft. Vertrauet auf Gott, der bisher so väterlich für uns gesorgt hat, aber machen wir uns durch ein wahrhaft christliches Leben seiner weitern Fürsorge auch würdig.  Vertraut sodann auch auf die Fürsorge der h. Regierung, des Gemeindevorstandes und der Notstandskommission, welcher im Landtag mit Recht das Zeugnis über Leistungen ausgestellt wurde, die sich sehen lassen dürfen [2] – ein Zeugnis, das sie alle verdienen.

Was aber insbesondere unsere liebe Pfarrgemeinde betrifft, so haben wir leider auch manche Familien, welche die Schrecknisse des Krieges sehr bitter zu kosten bekamen. Wurden ja aus unserer Pfarrei an dreissig Mann einberufen. Bisher haben wir wohl arme Verwundete zu beklagen, doch Tote, Gott Lob, noch keine. Aber wie lange? Das ist die qualvolle Frage, die das Herz der lieben heimgesuchten Familien so schmerzlich durchzuckt. Auch sie umringten kürzlich den herzerhebenden Familienchristbaum, doch wie viel Wehmut umschattete ihre Weihnachtsfreuden! Auch sie zählten die Häupter ihrer Lieben und ach, – es fehlte ihnen manch liebes, teures Haupt. Wo sind jetzt der innig, geliebte Vater, die teuren Söhne und Brüder? Diese quälende Frage durchzittert ihre Gebete, diese schwebt auf ihren Lippen des Abends, da sie zur Ruhe gehen und des Morgens erwacht als erste wieder die Frage: lebt wohl der Vater noch und der Bruder, der Sohn? oder hat in dieser Nacht die mörderische Kugel sein Herz getroffen? oder windet er sich zu dieser Stunde  in  den Schmerzen grässlicher Verwundung? wird ihm nicht soeben das Grab geschaufelt? Das sind Leiden. Doch tröstet euch, ihr lieben schwergeprüften Familien und hoch schlage euer Herz, denn eure Väter, Söhne und Brüder kämpfen einen heiligen Kampf; sie kämpfen für Recht, Gerechtigkeit und Wahrheit, für Gott und Vaterland. Wohl haben Herrscher und Staatsmänner den Riesenkampf heraufbeschworen, um Deutschland vom wirtschaftlichen Weltverkehr auf immer auszuschalten und dessen Militärmacht vollends zu brechen – Österreich aber will man vernichten, weil es katholisch ist. Das ist die schwarze Triebfeder der blutigen Pläne und des gewaltigen Ringens des Freimaurertums. Darum trägt der gegenwärtige Krieg auch das Gepräge eines heiligen Krieges. Es tobt der Kampf zwischen Glaube und Unglaube, zwischen Christentum und modernem Heidentum, zwischen Christus und Belial. Sagt an! sind eure tapfern Väter, Söhne und Brüder nicht heldenmutige Kämpfer Christi, wahre Märtyrer Gottes? Ja, dieser Gedanke, liebe Familien, muss euch aufrichten und trösten. Lasst darum euer Herz hochschlagen, so edel und opferwillig wie das grosse Herz eurer Helden draussen im heiligen Kampf für Gott und Vaterland!

Und heute, da wir an der Schwelle des neuen Jahres Gott, dem Geber alles Guten, zurückblickend für die erhaltenen Gnaden und Wohltaten danken und vorwärts schauend ihn um neue bitten, vergesset der Völker unter den Waffen nicht! Sie alle sind unsere schwerleidenden Mitmenschen und Mitbrüder. Schenket darum in innigem Gebet den armen Soldaten, Verwundeten, Kranken, Krüppeln, Gefangenen, Witwen und Waisen aller kriegsumtobten Länder eine Träne eures mitleidvollen christlichen Herzens! ...

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[1] L.Vo., Nr. 1, 7.1.1916, S. 1f.
[2] LI LA LTA 1915/S04/2, Protokoll der Landtagssitzung vom 27.11.1915.