Artikel in den "Oberrheinischen Nachrichten" [1]
2.1.1915
Neujahr 1915
Fernab von den Kriegswirren sind wir hier im neutralen, souveränen Lande. Und trotzdem erleben auch wir den Krieg, erleben ihn mit unserem Herzen, unserem Fühlen, erleben ihn, indem wir uns eins fühlen mit deutschem Denken, deutschem Fühlen, deutscher Gesittung und Art. Ja, wir fühlen mit dem Deutschtum, da wir wissen, dass dieser Kampf im Grunde geht um deutsche Art und deutsches Wesen, mit einem Worte, um den Rang deutscher Herrschaft! Deutscher Herrschaft nicht im Sinne eines alles andere beherrschenden Einflusses, sondern im Sinne und dem Bewusstsein, dass Deutschtum nicht untergehen darf gegenüber dem Ansturm des Panslavismus, dem elenden Krämergift habsüchtigen Albions und künstlichen Revanchegelüste Frankreichs. Aber in diesem deutschen Gefühl dürfen wir auch nicht vergessen, was wir unserem engeren Vaterlande schulden. Zeiten politischer Ereignisse lagen auch hier hinter uns. – Ein Jahr in der raschlebigen Zeit ist dahingeschwunden, seit unser langjähriger Landesverweser [Karl von In der Maur] die Regierungsgeschäfte geleitet hat. Da nun das gesetzl. Trauerjahr verstrichen ist und auch für ihn das "Muss i denn zum Ländle hinaus" bittere Wahrheit geworden, sei es dem Chronisten verstattet, Rückschau zu halten, Rückschau über sein Wirken und gleichzeitig den Ausblick in die Zukunft. Bei dieser Betrachtung sei uns vergönnt, den Bewohnern des "Ländle" ins Gedächtnis zurückzurufen, was Anfang April 1914 die führende Zeitung Süddeutschlands, die "Frankfurter Zeitung" in einem aus Vaduz geschriebenen Artikel auszuführen in der Lage war. [2] Dieses Weltblatt begrüsste damals in sympathisch gehaltenen Ausdrücken den neuen Landesverweser [Leopold von Imhof] in der zuversichtlichen Hoffnung, dass mit seinem Amtsantritt anheben möge für das Land eine Zeit freierer Betätigung im Leben des Bürgers, seiner Schaffenskraft und der politischen Betätigung der ihm kraft Verfassung gewährleisteten Rechte.
Freudig empfand das Land, dass ein Alpdruck von ihm genommen war, der es in zwanzig Jahre langer autokratischer Herrschaft im Bann gehalten, freudig empfand es das Verschwinden eines Sykophantentums, das in heutigen, modernen Staatsgebilden ein Stätte nicht haben darf, fand sich zurück in Wahrung politischer Eigenart, politischer Rechte, die in Begründung dieser Zeitung offenen Ausdruck fanden. Wir wissen uns eins mit unserem Fürsten [Johann II.], den eingesetzten Organen landständischer Verfassung, wissen uns eins mit dem Fühlen und Denken Deutschliechtensteins. Wir wissen dabei, dass es nicht leicht ist für den neuen Landesverweser sich einzuleben in unsere Verhältnisse – wobei wir ihm gerne nötige Schonzeit gewähren – aber wir hegen angesichts seines conzilianten entgegenkommenden Verhaltens die zuversichtliche Hoffnung, dass seine Politik von dem Wunsch erfüllt sein möge, einig zu gehen mit den Wünschen und Interessen der Landesbewohner. In diesem Sinne wollen wir eintreten in 1915!
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[1] O.N., Nr. 1, 2.1.1915, S. 1f.
[2] Frankfurter Zeitung, Nr. 100, 10.4.1914, 2. Morgenbl., S. 1 ("Ein neuer Regierungschef").