Maschinenschriftliches Schreiben von Regierungschef Josef Ospelt an die Kabinettskanzlei [1]
10.9.1921
Mit Bezug auf das geschätzte Schreiben vom 6. d.M. ad Präs. Nr. 181/2 [2] beehre ich mich über den Verlauf des Katholikentages [3] und die bei diesem Anlasse bestätigte Stellungnahme des HH. Bischofs von Chur [Georg Schmid von Grüneck] in der Verfassungsfrage Folgendes mitzuteilen:
Die Veranstaltung war in einfachem Rahmen gedacht und ziemlich kurzfristig vorbereitet worden. Durch schönstes Frühherbstwetter begünstigt, fanden sich am 8. d.M. mittags nebst 24 Vereinen eine unerwartet grosse Anzahl Männer und Jünglinge des ganzen Landes in Schaan ein, um an dem Katholikentage teilzunehmen.
Der Hochwürdigste Herr Bischof von Chur mit Herrn Kanonikus Dr. [Johannes M.] Ruoss sind ungefähr zu gleicher Zeit im Fürstentume eingetroffen, wie Seine Durchlaucht Herr Prinz Karl und Hochdessen Frau Gemahlin [Elisabeth, geb. von Urach], nämlich Mittwoch nachmittags.
Der Festzug am Festtage gestaltete sich mit den 18 Vereinsfahnen und 7 Musikkapellen zu einer imposanten Kundgebung, die in dem ganzen nachherigen Verhalten der Bevölkerung eine würdige Fortsetzung fand.
Der Festplatz war der Vorplatz des Vereinshauses in Schaan und die östlich davon gelegenen Wiesen; auf ihm waren weit über 2000 Festteilnehmer versammelt.
Die Durchlauchtigsten Herrschaften, der Hochwürdigste Herr Bischof, Herr Landesvikar [Johann Baptist] Büchel, der Festpräsident Dr. Rudolf Schädler, die Festredner, Landtagspräsident [Friedrich] Walser, Regierungsrat [Franz Josef] Marxer, meine Wenigkeit und einige andere waren auf der als Tribüne eingerichteten Terrasse des Vereinshauses in Schaan platziert.
Herr Dr. Rudolf Schädler hielt die Eröffnungsansprache, in welcher er unter anderem besonders hervorhob, dass die Versammlung der Förderung des katholischen Lebens, des Friedens und der Eintracht im Lande dienen soll und dass deshalb alles Politische ausgeschieden bleibe; mit letzterem beabsichtigte der Festpräsident nach einer mir vor und nach dem Feste gemachten Mitteilung dem Hochwürdigsten Herrn Bischof einen Wink zu geben, nicht etwa seine Wünsche zur Verfassung zum Gegenstande seiner Ansprache zu machen.
In der hierauf folgenden Rede des Hochwürdigsten Herrn Bischofs konnte dieser nichts destoweniger sich enthalten, in längeren Ausführungen darauf hinzuweisen, dass man bei Schaffung der neuen Verfassung zu wenig auf kirchliche Wünsche Rücksicht genommen habe und gipfelte in der Frage, ob es nicht Mangel an Takt und schuldiger Rücksichtnahme auf die Kirche bekunde, wenn man die die Kirche betreffenden Bestimmungen der Verfassung entwerfe, ohne mit den kirchlichen Stellen Fühlung genommen zu haben. Nathan der Unweise sei der Führer des Landtages gewesen (wen der Hochwürdigste Herr damit meinte, ob Herrn Hofrat Dr. [Josef] Peer als den Verfasser des Entwurfes oder den einen der beiden der Landtagspräsidenten [4] oder meine Wenigkeit, vermag ich nicht zu entscheiden). Schliesslich fand jedoch der Hochwürdigste Herr Bischof an der Verfassung nur besonders zu beanstanden den Art. 16, der das Unterrichtswesen behandelt und aus diesem vor allem wieder die Bestimmung, dass dem Staate die oberste Leitung des Erziehungs- und Unterrichtswesen durch den Landschulrat zustehe, wogegen er den Artikel 37 bezüglich dessen seine Wünsche noch weniger erfüllt wurden, nicht erwähnte. [5] Zum Schlusse gab der Hochwürdigste Herr Bischof, nachdem er bemerkt hatte, dass manches besser sei, als sein Ruf, dass er hoffe, es werde bei Ausführung der Verfassung ein gut katholischer Geist walten und dass er daher, um die nach mehrjährigen Kämpfen zustande gekommene Einigung nicht weiter zu gefährden, gegen die Sanktion der Verfassung nichts weiter tun werde, wenn diese Sanktion in einer entsprechenden Form vor sich gehe.
Von welchem Geiste übrigens der Hochwürdigste Herr Redner beseelt war, illustriert meines Erachtens hinlänglich auch die Tatsache, dass er diese Ansprache dazu benützte, die österreichische Kaiserfrage zu besprechen, Frankreich sehr derb wegen seines Kulturkampfes vor 20 Jahren zu tadeln, Kaiser Josef II. als den Totengräber der österreichischen Klöster zu bezeichnen und den heutigen Zusammenbruch Österreichs als Folge des seinerzeitigen Bruches des Konkordates [6] darzustellen.
Seiner Durchlaucht Herrn Prinzen Karl gegenüber hat der Hochwürdigste Herr Bischof im Gespräche ebenfalls dargelegt, dass er gegen die Sanktion der Verfassung nichts mehr tun werde, wenn diese Sanktion in einer entsprechenden entgegen kommenden Form geschehe.
Wenn diesem bischöflichen Wunsch stattgegeben werden soll, so könnte wohl nur in Betracht kommen, dass Seine Durchlaucht der Landesfürst [Johann II.] gleichzeitig mit der Höchsten Zeichnung der Verfassung etwa in einem Handschreiben die Höchste Befriedigung über das Zustandekommen der Verfassung und den Wunsch, dass sie dem Lande Frieden und gedeihliche Entwicklung bringe, ausspricht, sowie die Voraussetzung beifügt, dass bei der Ausführung der Verfassung und im öffentlichen Leben des Landes nach wie vor die Religion die Wegleiterin sein werde. [7]
Diesen eben genannten Vorschlag mache ich aufgrund mündlichen Einvernehmens mit Seiner Durchlaucht dem Herrn Prinzen Karl.
Ich halte mich verpflichtet, beizufügen, dass die Ausführungen des Hochwürdigsten Herrn Bischofs bezüglich der Verfassung bei einem grösseren Teil der Katholikentagsbesucher Ablehnung statt Zustimmung gefunden haben. [8]
Der Hochwürdigste Herr Prälat Dr. [Anton] Gisler hat in fesselndem freien Vortrage über die Jugend und zu der Jugend gesprochen, während Herr Nationalrat Dr. [Josef] Scherrer-St. Gallen einen ebenfalls sehr interessanten Vortrag über soziale Fragen hielt.
Hernach hielt der Festpräsident Dr. Rudolf Schädler eine Schlussansprache, die in einem begeistert aufgenommenen dreifachen Hoch auf Seine Durchlaucht den Landesfürsten endigte, worauf von der Festversammlung die Volkshymne stehend und entblössten Hauptes gesungen wurde. Den Schluss der Feier bildete sodann eine Herz-Jesu-Andacht in der Pfarrkirche in Schaan.
Mögen nun der abgesehen von den durch den Hochwürdigsten Herrn Bischof angeschlagenen Tönen sehr schön verlaufenen Versammlung auch die Früchte folgen.
[1] LI LA RE 1921/4018 ad 963.
[2] LI LA RE 1921/4018 ad 963, Kabinettsdirektor Josef Martin an Josef Ospelt, 6.9.1921. In diesem Schreiben informierte Martin die Regierung, dass der Fürst entschieden habe, "angesichts der vom Landtag bereits einhellig gefassten […] Beschlüsse auf die vom Herrn Bischof geäusserten Wünsche leider nicht mehr eingehen zu können."
[3] Zum Ablauf des Katholikentags vgl. L.Vo., Nr. 70, 3.9.1921, S. 4 und O.N., Nr. 68, 3.9.1921, S. 1 ("Programm des 1. Liechtensteinischen Katholikentages, Donnerstag den 8. September 1921 in Schaan"); L.Vo., Nr. 73, 14.9.1921, S. 1 ("Erster Liechtensteinischer Katholikentag"); O.N., Nr. 71, 14.9.1921, S. 1; O.N., Nr. 72, 17.9.1921, S. 1; O.N., Nr. 75, 28.9.1921, S. 1; O.N., Nr. 76, 1.10.1921, S. 1 ("Liechtensteinischer Katholikentag").
[4] D.h. Landtagspräsident Friedrich Walser oder Landtagsvizepräsident Wilhelm Beck.
[5] Der Landtag hatte am 24.8.1921 die Verfassung beraten und angenommen (LI LA LTA 1921/S04/2). Dabei nahm er, um den Wünschen des Bischofs entgegenzukommen, an Art. 16, 37 und 38 einige Änderungen vor. Vgl. dazu LI LA RE 1921/3693 ad 963, Josef Ospelt an Bischof Georg Schmid von Grüneck, 27.8.1921.
[6] 1870 erklärte Österreich das 1855 geschlossene Konkordat mit der katholischen Kirche, das dieser grossen Einfluss insbesondere auf Schule und Eherecht einräumte, für unwirksam und hob es 1874 formell auf.
[7] Tatsächlich wurde ein solches Handschreiben ausgearbeitet. Vgl. den Entwurf unter LI LA RE 1921/4243 ad 963 sowie LI LA RE 1921/4348 ad 963, Kabinettskanzlei an Ospelt, 25.9.1921; LI LA RE 1921/4248 ad 963, Ospelt an Kabinettsdirektor Josef Martin, 2.10.1921.
[8] Die "Oberrheinischen Nachrichten" hielten fest, die Rede des Bischofs habe "wenig Beifall" gefunden (O.N., Nr. 75, 28.9.1921, S. 1 ("Liechtensteiner Katholikentag")).