Schreiben von Prinz Eduard von Liechtenstein, liechtensteinischer Gesandter in Wien, an Fürst Johann II. [1]
21.9.1919, Seebenstein (Niederösterreich)
Euere Durchlaucht!
Euere Durchlaucht haben meinen bei Euerer Durchlaucht erliegenden Bericht vom 7. September 1919, Zahl 237/1 [2] in Angelegenheit der vom Herrn Landesverweser [Prinz Karl von Liechtenstein] beantragten fürstlichen Verordnung über die Kompetenz der fürstlichen Gesandtschaft in Wien noch nicht zu unterzeichnen geruht und mündlich Bedenken gegen den § 2 der Verordnung ausgesprochen. [3] Es hängt diese Frage auch mit jenem Punkte meines zuliegenden Berichtes vom 8. September 1919, Zahl 268/1, betreffend Abtrennung der Domänenverwaltung Vaduz von der fürstlichen Regierung zusammen, bezüglich dessen Euere Durchlaucht laut Marginalbemerkung auf Seite 3 noch Aufklärung wünschen. [4]
Ich erlaube mir Nachstehend meine gegenständlichen Gedanken Euerer Durchlaucht zu entwickeln, wobei ich bitte, daran festzuhalten, dass dieselben nicht von der Tatsache beeinflusst sind, dass ich derzeit der Gesandte Euerer Durchlaucht in Wien bin, sondern dass mich lediglich die Absicht leitet, die durch die politischen Verhältnisse gebotene Neuorganisation der Verwaltung des Landes im Interesse desselben auszubauen und die Beziehungen zwischen dem Lande und seinem Souverän möglichst innig zu gestalten, wobei ich mich wohl auf gewisse, in der politischen Verwaltung gewonnene Erfahrungen und auf im Lande gemachte Beobachtungen stützen zu können glaube.
I.
Die Gestaltung der politischen Verhältnisse in Österreich hat die Notwendigkeit gebracht, die Souveränität des Landes durch Schaffung auswärtiger Vertretungen zu betonen, einerseits weil das Land selbst in der begreiflichen Besorgnis, als zu Deutschösterreich gehörig angesehen zu werden und dadurch in seiner wirtschaftlichen Entwicklung gehemmt zu sein, dies wünschte, andererseits weil gehofft wurde, darin eine gewisse Gewähr für die Sicherung des fürstlichen Besitzes im altösterreichischen Gebiete zu finden. Es wurde daher an die Errichtung von Gesandtschaften in Wien und Bern geschritten, die Accreditierung des Wiener Gesandten für Deutschland ist erfolgt, eine diplomatische oder konsularische Vertretung in Prag geplant, die Accreditierung eines Vertreters in Paris steht über Anregung des französischen Gesandten in Wien [Henri Allizé] derzeit in Erwägung und an die Schweiz wurde wegen der Übernahme der Vertretung der liechtensteinischen Interessen in den übrigen Staaten, – allerdings bisher ohne Erfolg – herangetreten. Jedenfalls ist beabsichtigt, die bisher der österreichungarischen Monarchie übertragen gewesene Vertretung dieser Interessen nicht mehr Deutschösterreich anzuvertrauen. Dies bedeutet, dass das Fürstentum Liechtenstein trotz seiner Kleinheit eine gewisse eigene Aussenpolitik zu entwickeln beabsichtigt, ja geradezu dazu gezwungen ist, weil die Auflösung seiner mit dem alten Österreich bestandenen Verträge, insbesonders des Zollvereines und der Münzunion [5] das Eingehen neuer Vereinbarungen mit den verschiedensten Staaten geradezu verlangt, wenn die Bevölkerung nicht wirtschaftlich, ja geradezu physisch zu Grunde gehen soll. Die Leitung dieser Aussenpolitik mit ausgesprochen nur rein wirtschaftspolitischen Zielen muss aber in einer Hand liegen, umsomehr als die dem Lande zur Verfügung stehenden diplomatischen Kräfte nicht die mindeste Vorbildung mitbringen, ja selbst in der einfachsten Aktenbehandlung gänzlich unerfahren sind und ohne zielbewusste Leitung ihren Zweck trotz der erheblichen Kosten nicht erfüllen werden; bei aller Feindschaft gegen übertriebenen Bürokratismus ist aber eine gedeihliche Zusammenarbeit verschiedener Stellen ohne eine gewisse harmonische Anleitung und Beeinflussung nicht möglich und versagt der Apparat vollkommen, wenn beim Wechsel der beteiligten Personen die persönliche Erinnerung des Einzelnen ebenfalls entfällt. Der Leiter dieser Aussenpolitik muss sich daher erst seinen Apparat und den dazu gehörigen Beamtenkörper bilden und schulen.
Die Vertretung des Landes nach aussen obliegt jedoch nach der Verfassung dem Landesfürsten und daher sind auch früher bis zum Kriege alle diesbezüglichen Emanationen des Landes von der fürstlichen Hofkanzlei erfolgt, die von Euerer Durchlaucht ihre Weisungen erhielt und mit dem k.u.k. Ministerium des Äusseren bei sich ergebender Gelegenheit in Verbindung trat. Der Justiz- und Zollvertrag [6] z.B. wurde namens des Fürstentumes vom Grafen [Clemens von] Westphalen verhandelt und unterfertigt, die Additionalkonvention zu Letzterem [7] von Hofrat [Hermann] von Hampe.
Es ist nur naturgemäss, dass diese Agenden nunmehr von einem diplomatischen Organ des Fürstentumes besorgt werden und zwar von jenem, welches durch die geografische Lage seines Sitzes die Möglichkeit hat, mit Euerer Durchlaucht im regsten persönlichen Kontakte zu stehen, also derzeit dem Wiener Gesandten, welcher überdies augenblicklich der rangälteste diplomatische Beamte des Landes ist.
Es ist selbstverständlich, dass die fürstliche Regierung, insbesondere ihr Chef, der Landesverweser, die Grundzüge aller aussenpolitischen Aktionen nicht nur kennen, sondern nach den Stimmungen im Lande und den wirtschaftlichen Erfordernissen auf dieselben einen bestimmenden Einfluss ausüben muss. Zur eigenen Ausarbeitung der bezüglichen schriftlichen Arbeiten dürfte er aber bei seiner starken Inanspruchnahme durch die innere Verwaltung des Landes ebenso wenig in der Lage sein, wie durch die Schwierigkeit seines fortlaufenden direkten Verkehres mit dem Landesfürsten und den vollkommenen Mangel einer persönlichen Fühlungnahme mit Vertretern jener Staaten, mit denen man dies oder jenes abzumachen anstrebt und von denen nicht erwartet werden kann, dass sie eigene Vertreter nach Vaduz entsenden. Tatsächlich hat auch bisher die Wiener Gesandtschaft die erforderlichen Arbeiten für die Regierung in Vaduz, wie die Abfassung der Note nach Paris [8], die Verhandlungen wegen Errichtung der Gesandtschaft in Bern und Accreditierung des Wiener Gesandten in Deutschland, die Ausarbeitung der Accreditierung der Wiener und Berner Gesandtschaft besorgt, ja sogar sämtliche Verhandlungen mit den auswärtigen Staaten in der Ernährungsfrage eingeleitet.
Es hat mir bei der Errichtung des Postens eines Wiener Gesandten der Gedanke vorgeschwebt, in diesem fürstlichen Amtsorgan gleichzeitig stillschweigend jene Persönlichkeit zu schaffen, welche gewissermassen den Leiter der Aussenpolitik des Fürstentumes darstellt und dabei gleichzeitig den politischen und wirtschaftlichen Verkehr des Fürstentumes mit der neuen Republik Österreich, in welcher der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Interessen des Fürstentumes derzeit noch liegt und anscheinend noch recht lange liegen wird, besorgt. Er steht mit dem Landesfürsten in unmittelbaren Kontakte, ist in der Lage, nach Bedarf mit dem Regierungschef und eventuell anderen fürstlichen Gesandten in Vaduz jederzeit zusammenzutreten, kann mit den Vertretern anderer Staaten manches erörtern und sondieren, ob dieser oder jener Wunsch des Fürstentumes Aussicht auf Erfolg hat, bezw. einen ausgesprochenen Wunsch mündlich unterstützen, er kann für diese oder jene Arbeit Sachverständige und andere Hilfsmittel herbeiziehen, die in Vaduz immer fehlen werden oder nur mit erheblichen Kosten und Schwierigkeiten von weither zur Mitarbeit herangezogen werden könnten, kurz er ist in der Lage jenen, wenn auch bescheidenen, aussenpolitischen Apparat in Bewegung zu setzen und nutzbringend zu machen, der die absolute Voraussetzung einer noch so bescheidenen aussenpolitischen Betätigung eines so kleinen Landes wie des Fürstentumes bildet.
Natürlich wäre es das Einfachste, dieser Persönlichkeit für dieses Amt den Titel eines Aussenministers des Fürstentumes zu geben. Dies halte ich aber für nicht recht angängig, weil es im Lande vielleicht peinlich empfunden werden würde, den Aussenminister in Wien zu haben, wofür als Begründung in erster Linie die Nähe des normalen Aufenthaltes des Landesfürsten angegeben werden müsste, weil weiters dann vielleicht die Notwendigkeit bestehen würde, eine zweite Persönlichkeit als Gesandten bei der deutschösterreichischen Regierung zu accreditieren und weil es endlich vielleicht überhaupt zu vermeiden ist, für das kleine Land ein Aussenministerium derzeit auch unter irgend einem bescheideneren Namen ins Leben zu rufen.
Es ergibt sich dagegen als vorzügliches Auskunftsmittel der Weg, den fürstlichen Gesandten in Wien in der Verordnung über die Kompetenz dieser Gesandtschaft zum Vermittler des Verkehres zwischen Land und Fürsten zu bestimmen und ihm damit gewissermassen die Stellung des Leiters einer fürstlichen Kabinettskanzlei zu geben. Hiedurch bekommt er, ohne ausdrücklich als Leiter der Aussenpolitik ernannt zu sein – was wohl nur nach einem entsprechenden verfassungsrechtlichen Schritte geschehen könnte – eine autoritative Stellung, die es ihm ermöglicht, im Auftrage des verfassungsmässig allein zur Vertretung des Landes nach aussen berufenen Fürsten sowohl dem Landesverweser, wie den übrigen diplomatischen Vertretern Informationen zukommen zu lassen und von ihnen solche zu verlangen. Wenn hiebei dieser Wiener Gesandte auch noch Mitglied der fürstlichen Familie ist, so wird ihm dadurch die Gewinnung der hiefür notwendigen Autorität nur sehr erleichtert.
II.
Der selbe Gedanke, den Wiener Gesandten auch zum Vermittler zwischen Fürst und Regierung in allen innerpolitischen Angelegenheiten zu machen, schwebte bei Schaffung der Gesandtschaft aber auch aus rein innerpolitischen Gründen vor. Ich habe in bezüglichen seinerzeitigen Besprechungen mit dem Herrn Landesverweser und anderen Familienmitgliedern wiederholt den Ausdruck "Minister à latere" für den Wiener Gesandten gebraucht, womit ich ausdrücken wollte, dass er analoge Aufgaben wie die des ehemaligen ungarischen Ministers à latere zu erfüllen haben würde, welcher dem in Wien domizilierenden Herrscher sämtliche Gesetze über Ersuchen der zuständigen Ressortministerien, sämtliche Anträge über Ernennungen, Auszeichnungen, Gnadensachen, kurz alle laufenden Angelegenheiten vorzulegen hatte, soweit sie nicht in den Audienzen der Minister selbst in mündlichen Vorträgen erledigt wurden. Dass der Minister à latere hiebei nicht ein lediglich unterbreitendes Organ war, zu welcher Rolle sich übrigens ein ernster Politiker oder Staatsbeamter nie hergeben könnte, sondern dass ihm die Möglichkeit zustand, bei Vorlage der einzelnen Angelegenheiten dem Herrscher seine Meinung zur Kenntnis zu bringen, ist selbstverständlich, weswegen immer danach gestrebt wurde, für diesen Posten eine Persönlichkeit zu gewinnen, die das Vertrauen der Krone genoss, aber auch das Vertrauen des jeweiligen Ministerpräsidenten in hohem Masse besass. Wie neulich Euere Durchlaucht mir gegenüber bemerkten, hat der Herr Landesverweser den Ausdruck "Minister à latere" Euerer Durchlaucht gegenüber mit Bezug auf den Posten ebenfalls gebraucht, und schien es mir, als ob Euerer Durchlaucht diesen Ausdruck als entsprechend bezeichnet hätten. Ich habe ihn geflissentlich in keinem Aktenstücke verwendet, weil der Begriff des "Ministeriums" in der Verfassung des Landes noch fehlt und ich nicht den Anschein erwecken wollte, – da ich persönlich für den Posten in Frage kam – irgend eine Stelle anzustreben, die durch ihren Titel eine dem Regierungschef übergeordnete Stellung auch nur hätte andeuten können, was umso naheliegender gewesen wäre, als man in Österreich gewohnt war, in den "Landespräsidenten", somit auch im "Landesverweser" die zweite, im Minister die dritte Instanz zu erblicken. Ich habe am 17. Mai I.J. Euerer Durchlaucht eine Resolution über den Wirkungskreis der fürstlichen Gesandtschaft in Wien [9] vorgelegt, in welcher es heisst:
"Weiters hätte die fürstliche Gesandtschaft den bisher von der fürstlichen Hofkanzlei besorgten verfassungsmässigen oder usuellen Verkehr zwischen der fürstlichen Regierung und Euer Durchlaucht in Angelegenheit des Landes zu besorgen und gewissermassen als Exponent der fürstlichen Regierung bei Euer Durchlaucht zu dienen."
Am Schlusse dieser Resolution hiess es:
"Ich erlaube mir daher Euer Durchlaucht ergebenst zu ersuchen, den vorstehenden Bericht gnädigst zu genehmigen und mich zu ermächtigen, mit der fürstlichen Hofkanzlei im obigen Sinne die erforderlichen Detailverfügungen zu vereinbaren, und die angeschlossene Note an die fürstliche Regierung in Vaduz abgehen lassen zu dürfen."
Euere Durchlaucht haben diesen Resolutionsvortrag mit dem Bemerken "Ich nehme obigen Bericht genehmigend zur Kenntnis" und [mit] der höchsten Unterschrift versehen und damit gleichzeitig, die unterm 18. Mai I.J., Zahl 3/3, an die fürstliche Regierung im Gegenstande ergangene Note [10] genehmigt. Die vom Herrn Landesverweser nunmehr vorgelegte fürstliche Verordnung, welche nach längeren mündlichen und schriftlichen Verhandlungen, die sich aber nur auf Detailfragen bezogen, [11] unterbreitet wird, ist der Ausfluss dieser fürstlichen Resolution vom 18. Mai.
Ich erachte den § 2 dieser fürstlichen Verordnung aber auch sachlich für durchaus den Verhältnissen entsprechend.
Im Lande besteht einmal eine ungeheure Voreingenommenheit gegen die fürstliche Hofkanzlei, welche – wie nicht in Abrede gestellt werden kann – in der Vertretung der Interessen des Fürstentumes und seiner Bewohner in der alten Monarchie nicht immer eine glückliche Hand gehabt hat, wodurch das Schlagwort "Liechtenstein den Liechtensteinern" entstanden ist und günstigen Nährboden im Lande finden konnte. Wenn ich sehe, wie viel wirtschaftliche Interessen einzelner Staatsbürger in Österreich jetzt zu vertreten sind, wie viele Gänge und Interventionen, bei diesen oder jenen Staatsämtern, Banken, bei der Postsparkassa u.s.w. zu besorgen oder Schriftstücke auszufertigen sind, – ganz abgesehen von der Sicherung der Versorgung des Landes auf Grund der Weisungen der Regierung – dann verstehe ich die wiederholte Klage des Baron [Leopold von] Imhof während des Krieges, dass er in der Hofkanzlei keine genügende Unterstützung gefunden habe und dass er in Wien nur etwas erreichte, wenn er selbst hinfahren konnte. Die Art, wie beispielweise die für das Land so enorm wichtige Frage der Publizierung der Neutralität im Kriege in der Hofkanzlei behandelt wurde, ist ein bezeichnendes Beispiel. Euere Durchlaucht werden sich erinnern, dass ich seinerzeit gemeldet habe, wie Herr von Hold [Alexander Hold-Ferneck], der im Auftrage des Ministeriums des Äussern über von der englischen Regierung angeregte Anfrage der amerikanischen Botschaft in Wien in der Hofkanzlei über die Neutralität des Fürstentumes verhandelte, [12] bezw. geradezu das Anbot Österreichs zu dieser Neutralitätserklärung brachte, sich über die ihm zuteil gewordene unfreundliche Behandlung beleidigt fühlte. Effektiv liess man es auch bei dieser, lediglich an die amerikanische Botschaft gerichteten Erklärung der Neutralität bewenden. Mangels jedwedes diplomatischen Apparates erfolgte auch bei keiner späteren Kriegserklärung, von denen ja noch viele erfolgten, die neuerliche Neutralitätserklärung, die alle anderen Staaten immer wieder wiederholten und es geschah überhaupt keinerlei Notifikation dieser Neutralität an irgend eine andere Macht, ja nicht einmal als die Vereinigten Staaten von Nordamerika in den Krieg traten, wurde die amerikanische Regierung ersucht, die weitere Vertretung der liechtensteinischen Interessen, die Amerika mit jenen Österreichs übernommen und mehrfach bestens gewahrt hatte, beizubehalten, wodurch die Neutralität des Fürstentumes einwandfrei dokumentiert worden wäre, oder bedankte man sich in irgend einer Form hiefür.
Die Situation des Landes im gegenwärtigen Augenblicke, die Möglichkeit seiner Versorgung, wahrscheinlich auch der Wert seiner Valuta wäre aber heute zweifellos besser, wenn die Hofkanzlei, welcher im Lande der schwerste Vorwurf des Passivität gemacht wird, auf Grund von Besprechungen mit dem k.u.k. Ministerium des Äussern, welches dem Lande in dieser Richtung in weitestgehender Weise entgegenzukommen gewiss bereit war, Euerer Durchlaucht in dieser Frage sachgemässe und überlegte Anträge gestellt hätte. Ein weiteres Beispiel von der geringen Sorgfalt, mit der die Angelegenheiten des Landes in der Hofkanzlei behandelt wurden, bilden die Verhältnisse im fürstlichen Appellationsgerichte und der fürstlichen Rekursinstanz, über welche ich Euerer Durchlaucht unlängst schriftlich Bericht erstattet habe und die durch die hohe Resolution Euerer Durchlaucht vom 15. September I.J. saniert wurden. [13]
Ich erwähne dies alles nicht, um irgend einen Vorwurf zu erheben, ich will nur zeigen, dass Verwaltungsfehler eben unvermeidlich sind, wenn wichtige Agenden im Nebengeschäfte bei ungeheurer Überbürdung der Organe durch ihnen näherliegende und ihre Hauptaufgabe bildende Agenden und bei Mangel an entsprechender Schulung für diese Aufgaben werden sollen.
Durch die Gestaltung der Verhältnisse in Böhmen wird die fürstliche Hofkanzlei naturgemäss an Personalumfang und an Wirkungskreis verlieren. Wenn der politische Effekt, der durch die Errichtung der Zentralkanzlei für die in der čechoslovakischen Republik gelegenen fürstlichen Güter unter Aufwendung erheblicher Mittel angestrebt wurde, erreicht werden soll, so wird die Hofkanzlei zu einer Zentralkanzlei der fürstlichen Güter in Deutschösterreich und dem Fürstentume umgestaltet werden müssen, während in unmittelbarer Nähe Euerer Durchlaucht sich ein fürstliches Hofsekretariat entwickeln wird, welches die von den beiden Zentralkanzleien einlangenden Berichte Euerer Durchlaucht unterbreitet und die Weisungen Euerer Durchlaucht den beiden Stellen übermittelt, bezw. dort wo Euere Durchlaucht initiativ als Grundherr etwas anordnen wollen, dies besorgt. Alle diese Organe werden aber immer mehr lediglich für die Besorgung der Vermögensangelegenheiten Euerer Durchlaucht die Eignung besitzen und von diesem Gesichtspunkte aus ausgewählt werden, und es wird sich dem Lande gegenüber immer empfehlen, die Angelegenheiten des Fürstentumes von den Privatangelegenheiten Euerer Durchlaucht zu trennen und durch besondere Organe behandeln zu lassen. Die fürstliche Gesandtschaft in Wien wird aber durch die aussenpolitische Betätigung allein in ein bis zwei Jahren nach Abflauen der bezüglichen derzeitigen Hochkonjunktur dauernd nicht voll beschäftigt sein, zumal schon mit Rücksicht auf die Urlaube, die mögliche Erkrankung ihres Leiters, unabweisliche Dienstreisen desselben, und weil ein Gesandter niemals gewisse Kanzleiarbeiten machen wird, und auch viele Interventionen nicht persönlich machen darf, wenn er nicht den Nimbus verlieren soll, eine zweite Konzeptskraft immer unvermeidlich sein wird. Es ist daher auch die finanziell beste Massnahme, wenn der Verkehr zwischen Fürst und Regierung in die Hände der Gesandtschaft gelegt wird, die in diesem Belange wieder der Stellung einer Kabinettskanzlei oder eines Ministeriums a latere bedarf.
Andererseits erfordert der in letzter Zeit aufgetauchte Gedanke, eine eigene Kraft für diese Agenda zu bestellen, nicht nur eine neuerliche grössere finanzielle Belastung, – zumal auch hier wieder aus obigen Gründen zwei Personen unvermeidlich sein dürften – er bedeutet aber auch eine ungeheuere Erschwerung der aussenpolitischen Aufgaben der Gesandtschaft. Das Land ist viel zu klein, um nicht eine absolute Harmonie der innen- und aussenpolitischen Ziele unabweislich zu machen; entweder stimmen der Leiter der Gesandtschaft und jener dieser eigenen Kabinettskanzlei überein, dann ist die Bestellung zweier Personen nicht notwendig oder sie wissen einer vom anderen nichts, dann gefährden sie die Einheitlichkeit der Aktion und damit die Interessen des Landes wie des Fürsten, oder sie bringen vor dem Herrscher verschiedene Anschauungen zur Geltung und dann wirken sie erst recht für die Entscheidungen verzögernd und für die fürstliche Regierung hemmend.
Die bisherige Tätigkeit der Wiener Gesandtschaft, die im Lande selbst und einzelnen seiner Bewohner schon manches in Deutschösterreich zu erreichen vermochte, hat – wenn nicht alle Anzeichen trügen – sich das Vertrauen der liechtensteinischen Bevölkerung anscheinend erworben. Selbst Dr. Wilhelm Beck anerkennt die Ziele, die mir für die Hebung des Wirtschaftslebens im Lande vorschweben. Die Stimmen sind zahlreich, die mir im Lande zukamen, welche die Vermittlung des Verkehres zwischen Land und Fürsten durch die Gesandtschaft in Wien auf das aller lebhafteste begrüssen, zumal man in mir ausser dem Mitgliede der Familie doch den in Landesdienste getretenen und in dieser Eigenschaft beeideten Beamten erblickt.
Ich bitte Euere Durchlaucht nicht einwenden zu wollen, dass dies alles vielleicht insolange gilt, als meine Person für den Wiener Posten in Frage kommt, dass dieser bereits bestehende und stillschweigend aufrechtzuerhaltende tatsächliche Zustand aber nicht in einer Verordnung niedergelegt zu sein brauche. Im Gegenteile, glaube ich, dass, wer immer Gesandter in Wien ist, die Verhältnisse die gleichen sein werden und sogar für einen Gesandten, der nicht Mitglied der Familie ist, erst recht bestehen bleiben. Sicher ist, dass, wen immer der Landesfürst zum Wiener Gesandten ernennt, dieser ein Mann seines besonderen Vertrauens wird sein müssen und dass gar nicht einzusehen ist, warum dieser Mann nur das landesfürstliche Vertrauen in aussenpolitische und nicht auch in den inneren Landesangelegenheiten besitzen soll. Wird aber der Posten eines Gesandten in Wien überhaupt aufgelassen, was vielleicht in zwei Jahren möglich sein wird – dessen Beibehaltung aber wahrscheinlich schon aus dem Grunde nicht zu vermeiden sein wird, um die Souveränität des Landes durch Erhaltung einiger selbständiger Vertretungen an einigermassen plausiblen Orten entsprechend zum Ausdrucke zu bringen – so entfällt die fürstliche Verordnung für die Kompetenz dieser Gesandtschaft ohnehin und muss eine Neureglung des ihr im § 2 übertragenen Wirkungskreises erfolgen; wenn dagegen der § 2 der Verordnung in der Praxis sich nicht bewähren sollte und Euere Durchlaucht bei Beibehaltung der Gesandtschaft den Kompetenzkreis derselben in anderer Weise regeln wollen, so kann ja die Verordnung jederzeit ausser Kraft gesetzt werden, bezw. ergibt sich ihre teilweise Ausserkraftsetzung von selbst dadurch, dass in einer neuen Verordnung jenes Organ geschaffen wird, welches den Verkehr zwischen Fürst und Land zu vermitteln haben wird. Übrigens sehe ich heute im Lande kaum die geeignete Persönlichkeit die bezügliche Rolle in Wien zu übernehmen. Herr Walter Probst, welchen Euere Durchlaucht neulich in diesem Zusammenhange nannten, ist hiefür gänzlich ungeeignet, würde seine Wahl im Lande schwer verstimmen und hat der Herr Landesverweser seine Mitwirkung bei der in Gründung begriffenen Bank [14] – anscheinend in leitender Stellung – in Aussicht genommen. Dr. Otto Walser rückt jetzt zur Dienstleistung bei der Gesandtschaft ein, wo er unter meiner Leitung die entsprechende Erfahrung sammeln und über seinen Charakter ein Urteil gewonnen werden soll, aus dem sich die Möglichkeit seiner weiteren Verwendung in einer Vertrauensstellung Euerer Durchlaucht erst ergeben kann.
Jedenfalls wird heute durch die Verordnung im Lande der Eindruck erweckt, dass die Verbindung zwischen Fürst und Land nicht mehr durch die unpopuläre Hofkanzlei erfolgt, in der man nur ein Organ der fürstlichen Vermögensverwaltung erblickt, sondern durch ein staatliches Organ, und dies wird die beste Wirkung erzielen und dazu dienen, manche Schwierigkeit bei der im Zuge befindlichen Verfassungsänderung vielleicht zu beseitigen oder wenigstens zu vermindern.
Die vorherige Publizierung der von Euerer Durchlaucht bereits genehmigten fürstlichen Verordnung über die Kompetenz der Gesandtschaft in Bern [15] kann jedoch nicht leicht früher erfolgen, nachdem die Wiener Gesandtschaft um fast drei Monate älter ist als die Berner und ein Nichterscheinen einer bezüglichen Verordnung im Lande gewiss Erstaunen und manches zu vermeidende Gerede hervorrufen würde.
III.
Wenn Euere Durchlaucht nun den Wunsch ausgesprochen haben, darüber aufgeklärt zu werden, aus welchem Grunde ich angeregt habe, dass auch die aus dem Privatvermögen geleisteten Unterstützungen im Lande durch die fürstliche Regierung im Wege der Gesandtschaft und nicht durch die Domänenverwaltung und die Hofkanzlei zu behandeln und vorzulegen seien, so ergibt sich die Vorlage durch die Gesandtschaft aus ihrer Eigenschaft als Kabinettskanzlei oder Ministerium a latere aus dem Vorgesagten von selbst. Aber auch der Gedanke, dass in diesen Angelegenheiten die fürstliche Regierung und nicht der Domänenverwalter der Antragstellende zu sein habe, ist durch die österreichischen Verwaltungserfahrungen im vollsten Masse begründet. Die gesamte politische Verwaltung Österreichs hat immer darunter gelitten, dass der Bezirkshauptmann in den Augen der Bevölkerung nur der Polizeibüttel war, der zu strafen hatte, dem aber niemals Mittel zur Verfügung standen, selbst zu helfen und durch finanzielle Förderung sich und der Regierung Vertrauen zu erwerben. Die Donationen Euerer Durchlaucht im Lande sind das stärkste politische Hilfsmittel der Regierung Euerer Durchlaucht im Lande und der Landesverweser wird Erfolg haben und sich im Lande behaupten, welchem es gelingt, bei Euerer Durchlaucht finanzielle Förderung für dies oder jenes mit Erfolg zu beantragen; diesem Landesverweser wird man es auch nicht verübeln, wenn er dort, wo es notwendig ist, die feste strafende Hand zeigt, die man heute im Lande selbst sogar vielfach als notwendig bezeichnet. Nur die Regierung führt, die weitausschauende Ideen vertritt, von der Richtigkeit derselben die öffentliche Meinung zu überzeugen sucht und das Vertrauen der Bevölkerung durch sachlich gerechtfertigte, materielle Förderung ihres Wirtschaftslebens erringt. Eine Regierung, die richtig führt, ist aber im Fürstentume Liechtenstein sehr mächtig, weil sie es mit einer an sich sehr gut gesinnten Bevölkerung zu tun hat, die Einsicht genug besitzt, um zu wissen, dass sie nicht über genügend fachlich geschulte Persönlichkeiten verfügt, um aus sich selbst allein zu handeln.
Aus diesen Gesichtspunkten heraus, erlaube ich mir Euere Durchlaucht ergebenst zu bitten, den Entwurf der Verordnung über die Kompetenz der Wiener Gesandtschaft zu genehmigen und mich zur Durchführung der in meinem bei Euer Durchlaucht erliegenden Berichte vom 7. September 1919, Zahl 237/1, gestellten Anträge zu ermächtigen. [16]
Der fürstliche Gesandte: