den 9. Nov. 1899
Hochgeehrter Herr Hofcapellmeister!
Viel grosse Freude haben Sie mir gemacht mit der Zusendung Ihrer neuesten, herrlichen Sonate[1]. Ich habe sie eben auf der Orgel gespielt und bin hoch entzückt von ihrer Wirkung. Ein ganz herrliches Werk wiederum, das sich den früheren Sonaten ebenbürtig anschliesst!
Es wäre unbescheiden von mir, wollte ich das Werk des Meisters loben. Bewundern und Anderen damit Freude machen - das ist's, was mir zukommt! Seit langem schon habe ich Ihre Orgelkompositionen bewundert und mit Entzücken gespielt. Vor 19 Jahren habe ich die ersten Sonaten kennen gelernt und mich jedesmal gefreut wenn eine neue kam. Wie oft habe ich mich erkundigt und in den Verzeichnissen nachgeschaut, ob nicht was erschienen von Ihrer Hand! Von Ihren Orgelsachen, theurer Meister, ist mir nichts fremd geblieben. Die Liste Ihrer Werke, die der Sonate beilag, hat mir bestätigt, dass ich Alles habe. Und Alles spiele ich auch und das Meiste gar bei unserem Gottesdienst, der dem Orgelspiel viel Raum gewährt.
An den höchsten Festen spiele ich immer einen oder den anderen Ihrer Sätze. Und habe ich in unserem Hochamte in feierlichem Präludium eine Ihrer Sonaten begonnen so pflege ich nach demselben sie zu vollenden. Und viele Leute hören dann zu und verlassen die Kirche nicht eher als bis der letzte Ton verklungen ist.
Freilich Ihre Werke würdig zu Gehör zu bringen dazu gehört eine schöne Orgel. Aber die haben wir! Ich lege eine Dispositions-Angabe und einige Abbildungen bei. Unsere Orgel ist die grösste in Böhmen; dass sie die schönste und beste sei, darf ich deshalb nicht sagen, weil sie ganz unter meiner Leitung gebaut wurde. O wie auf diesem Werke Ihre Sätze klingen! Wie schön wieder der Mittelsatz der neuen Sonate: Provençalisch! Und das herrliche Finale mit den frischen, frohen Themen! Und der grossartige erste Satz!
Ob Sie wohl mit meiner Art zu registrieren einverstanden wären? Ich denke: ja! Bei Guilmant d.h. aus seinen Werken habe ich gelernt, die Orgel zu verwerthen. Doch halte ich Mass und übertreibe gewiss nicht. Die wenigen Vortragsbezeichnungen und Registerangaben, die in Ihren Orgelsätzen sich finden, sind gewiss nur Andeutungen, die sich jeder Spieler nach seiner Orgel zurechtlegen wird.
Aber ich will Sie, hochgeehrter Herr Hofkapellmeister, nicht langweilen mit meinen Bemerkungen. Nur Eines möchte ich noch fragen und Sie bitten, einem Ihrer begeistertsten Bewunderer gelegentlich eine Antwort zukommen zu lassen.
Und nun nochmals innigen Dank für die Sonate und die eigenhändige Widmung!
Möge Gott der Herr Ihnen Gesundheit, Gnade und Kraft verleihen noch viele solcher Werke zu schaffen. Mir sind dieselben gewaltig wirkende Mittel zur Erbauung und Erhebung des gläubigen Werkes.
Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung
Ihr in Christo ergebener dankbarer
P. Albanus Schachleitner O.S.B.
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[1] Ihrer neuesten, herrlichen Sonate = Orgelsonate Nr. 19, op. 193, in g-moll, komp. 1899.