Stuttgart, 23. März 1895
Lieber Freund!
Gestern erhielt ich im Conservatorium Deine schöne Sendung, die mir gewidmete Sonate op. 181. Ich sage Dir herzlichen Dank für die Widmung, welche mir ein Beweis Deiner Freundschaft ist, namentlich aber für das schöne Werk. Ich habe es gleich an unserer kleinen Conservatoriumsorgel gespielt und hat es mir und den anwesenden Schülern einen grossen Eindruck gemacht, welcher natürlich, wenn ich sie an einer grösseren Orgel spiele, noch grösser sein wird.
Im nächsten Monat spiele ich hier dreimal und werde die Sonate dann im Programm aufnehmen. Ich hätte so gerne das zweite Concert einmal in München gespielt, habe darüber an Levi geschrieben, doch keine Antwort erhalten. Ob die mich nicht wollen, oder Dich nicht wollen, oder ob Levi keinen Einfluss auf die Concerte mehr hat, weiss ich nicht. 18. April will ich in Leipzig concertiren. Ich bin neugierig, ob es was giebt.
Mein Leben hier ist recht angenehm, ich habe am Conservatorium vielerlei: Chor, Orgel, Contrapunkt und Musikgeschichte, ausserdem dirigire ich zwei Vereine, ein Orchesterverein & Lehrergesangverein. Alles macht sich nach Wunsch, so arbeite ich gern, wenn ich auch manchmal viel schaffen muss.
Ich weiss nun wahrhaftig nicht mehr, ob ich Dir mein op.66, Canonische Variationen, geschickt habe, ich glaube ja, wenn nicht, schreibe mir doch ein Wort, so hole ich's nach. Überhaupt solltest Du einmal ein paar Worte schreiben, wie es Dir geht und wie sich die Münchener Verhältnisse machen.
Ich habe gelesen, dass Du nicht mehr dirigirst, an der Geistesfrische scheint's jedoch nach der neuen Sonate zu urtheilen nicht zu fehlen, ich denke also, dass der Körper nicht mehr so recht will. Das ist allenfalls auch schlimm, jedoch noch besser als umgekehrt.
Nun ist für heute genug geplaudert, noch einen herzlichen Händedruck und tausend Dank für das freundliche Meingedenken.
Stets treu ergeben
Dein S. de Lange.
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