Bludenz, 7.Mai 1892.
Hochverehrter Herr Professor!
Noch hatte ich meinen Dank für Ihre neueste, herrliche Orgelsonate, welche Sie die Güte hatten, mir zu übersenden, noch nicht ausgedrückt, da ich Sie nicht zu oft belästigen wollte, als Sie mir neuerdings durch das wunderzarte, weihevolle "Ave regina"[1] eine grosse, unerwartete Freude bereiteten.
Als mir die Post dasselbe überbrachte, war ich eben mit dem Studium einer Ihrer Orgelsonaten beschäftigt, da ich nämlich, angeregt durch Ihre unvergänglichen Schöpfungen auf diesem Gebiete (die, wenn ich so sagen darf, mein tägliches Brot geworden sind), die Kühnhelt habe, eine Orgelsonate zu versuchen. Den ersten Satz habe ich glücklich fertig und werde ich mir erlauben, nach Vollendung des Ganzen Ihnen, verehrter Herr Professor, dieselbe zur Durchsicht vorzulegen mit der Bitte, Fehler und Mängel der Form wie des Inhalts unbarmherzig anzuzeichnen.
Sollte Ihre Instrumentalmesse unterdessen erschienen sein, so wäre ich für Angabe des Verlegers sehr dankbar!
Und nun nochmals meinen innigsten Dank für die übersandten Werke, sie bilden mit den schon früher erhaltenen den schönsten Schmuck meiner Bibliothek und rufen die ungemein wohltuende Empfindung in mir wach, dass Sie sich noch nach Jahren Ihres Sie stets verehrenden Schüiers erinnern.
Mit den besten, herzlichsten Grüssen von meiner lb. Frau und mir bin ich
Ihr stets dankbarer Schüler
Jos. Renner jun.
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[1] "Ave regina" = op. 171 Nr. 6 für 3 Frauenstimmen und Orgel