Boston, 25.Sept.87.
Hochverehrter Herr Professor!
Obgleich ich in New-York nochmals einen Brief aus Minneapolis erhielt, der noch günstigere Bedingungen in Aussicht stellte, lehnte ich doch definitiv ab, da ich mich keinesfalls auf 3 Jahre binden wollte. Ich folgte dem Rate des Herrn Lang, nach Boston zu gehen, und muss gestehen, dass er sich meiner sehr freundlich annahm. Er stellte mich einer Reihe von Musikern, Kritikern und andern für mich wichtigen Personen vor, unter denen sich besondern ein Mr. Capen für mich interessirte, der auch beiliegenden Artikel in eine der gelesensten Bostoner Zeitungen setzte. Die Geschäftsführer von Chickering stellten mir ein Clavier frei zur Verfügung und boten mir auch ihren Conzertsaal umsonst für einen Klaviervortrag, den ich in 2-3 Wochen zu geben beabsichtige, und den ich jedenfalls mit Ihrem As-dur Konzerte[1] beschliessen werde. Für das Bostoner Conservatory of Music bin ich sogar schon als Harmonielehrer engagirt worden, wozu jedenfalls Ihre so sehr gütige Empfehlung das Meiste beigetragen hat. Ist auch die Stellung vorlaufig nicht glänzend, indem ich die Stunden einzeln bezahlt erhalte und erst einen Schüler habe, so ist mir doch damit ein Anhaltspunkt geboten und es steht mir natürlich frei, Privatstunden zu geben. Auch eine solche fand ich schon, und ich erhalte 4 Dollars für die Stunde (im Conserv. nur 2 D.), was selbst für Amerika eine sehr gute Bezahlung ist. Freilich muss ich von der jetzt erst anbrechenden Saison das Meiste hoffen, denn meine 2 Schüler reichen nicht hin, um auch nur die Hälfte des hier sehr teuern Lebensunterhaltes zu bestreiten
. Bei alledem bin ich aber sehr zufrieden, da ich bis jetzt entschieden Glück hatte. Auch mit dem Englischen geht es sehr gut, und ich hätte nicht gedacht, dass ich mich so schnell daran gewöhnen würde, obgleich ich schon in München Vorübungen machte. Ich muss es fast fortwährend sprechen, in meinem Hause versteht niemand deutsch, und mir wurde schon mehrfach versichert, dass ich besser spräche als Deutsche, die jahrelang hier sind. Wenn dies vielleicht auch etwas zu euphemistisch ist, lerne ich doch täglich in Theorie und Praxis weiter und habe mir in letzterer schon eine gewisse Unverfrorenheit angeeignet, mit der ich mich oft in der kühnsten Weise ausdrücke. Doch man versteht mich, und ich gebe morgen die erste englische Harmoniestunde, das ist die Hauptsache. Meine Reise war wundervoll. Hatte ich schon in Deutschland ausser der Rheinfahrt die Städte Frankfurt, Bonn (natürlich Beethovens Geburtshaus und Schumanns Grab) gesehen und Cöln zu bewundern Gelegenheit gehabt, so verdient doch die Seefahrt als Krone des Ganzen genannt zu werden. Obgleich wir meist stürmisches Wetter hatten und sogar einmal von einem Hurricane heimgesucht wurden, der arge Verwirrung verursachte, war ich garnicht seekrank und immer an Deck, um die gebotenen Naturgenüsse ordentlich auszukosten.
In New-York wurde ich von Huss aufs liebenswürdigste empfangen und musste auch einige Tage bei ihm wohnen. Schon im Hafen begrüsste er mich und opferte die ganzen nächsten Tage mir, um mir die Herrlichkeiten des allerdings grossartigen New-York zu zeigen.
Auch bei Parkhursts war ich mehrmals, Parker sprach ich einmal auf der Strasse und seine junge Frau besuchte ich mit Huss. Heute vor 14 Tagen verbrachte ich den Sonntag in Philadelphia mit einem Onkel, den ich 17 Jahre nicht gesehen hatte. Seit 13.d.M. bin ich hier und fand von alten Bekannten Herrn Whiting vor, der kaum 3 Minuten entfernt von mir wohnt. Gestern besuchte ich auch einen andern früheren Schüler, Herrn Chadwick, der sich eines bedeutenden Ansehens unter den hiesigen Musikern erfreut. Jetzt habe ich Ihnen aber schon so lange vorgeplaudert und mich noch garnicht nach Ihrem und Ihrer Frau Gemahlin Wohlergehen erkundigt. Ich hoffe, dass Kreuth auch diesmal seine heilbringende Wirkung geübt hat und dass Ihre hochverehrte Frau Gemahlin auf dem Wege der Besserung, auf welchem ich sie glücklicherweise das letzte Mal, als ich das Glück und die Ehre hatte, von ihr empfangen zu werden, schon antraf, nun so rüstig fortgeschritten ist, dass ihr Befinden schon längst nicht mehr das Geringste zu wünschen übrig lässt. Ich würde mich ausserordentlich freuen, dies zu hören, und bitte Sie ergebenst, ihr meine besten Empfehlungen zu Füssen zu legen. Vielleicht haben Sie, verehrter Herr Professor, auch die Güte, mich den Herren Professoren Abel und Hiehrl, an die ich auch in nächster Zeit schreiben will, gelegentlich zu empfehlen.
Indem ich Sie bitte, mir auch in der Ferne das gütige Wohlwollen, dessen Besitz mich so glücklich macht, bewahren zu wollen, verbleibe ich stets
Ihr dankbar ergebener
Walter Petzet,
care of Mrs. Warren
469 Colubus Ave.
Boston, Mass.. -
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[1] Ihrem As-dur Konzerte = Konzert für Pianoforte und Orchester in As-dur, op. 94, komponiert 1876