Henriette Bouvy lobt Rheinbergers Montfort und beklagt sich über die fehlende Wertschätzung Hermann Levy`s gegenüber den Werken ihres Schwagers Theodor Gouvy.


"Dieser einfache, edle Volkston - die tiefe, echte deutsche, reine Gemüthsstimmung, die Poesie, von dem das ganze durchweht ist, wie wohl that es meinem Herzen und - meinen Ohren! So süss, so ungekünstelt, so ureigen und sympathisch ist mir dieser Sang und Klang! In meinem Lobe ist der poetisch-sinnige Text mit inbegriffen! Jetzt, da uns fast nur an modernen Werken geschraubtes, gesuchtes, ledernes, unschönes, unechtes geboten wird. Jedesmal, wenn ich die Bekanntschaft eines Werkes Deines Mannes mache, in welcher Form es mir auch erscheint, ist es wie eine Gabe des Himmels - in Mitte all' des mittelmässigen, niedrigen Schundes! Danke ihm und sage ihm, ich beneide ihn um jene schönen Stunden, da er das liebe, süsse Werk geschaffen! Was Theodor anbelangt theilt er hierin ganz meine Anschauung und Urtheil! Er sah es vor seiner Abreise nach Paris noch durch. Er instrumentirt nun sein neues, grosses Chorwerk in Paris, wird die Festtage hier mit uns allen verleben, um dann wie jeden Winter seinen Aufenthalt in Leipzig, seiner Lieblingsstadt, zu nehmen. Er dankt Euch herzlich für die freundschaftliche Intention, Levi[1] seine Symphonietta empfohlen zu haben, wird selbst diesem gegenüber aber niemals mehr einen Schritt thun, um aufgeführt zu werden. Ich kann ihm nur Recht geben, denn Levi hat sich bei seinem letzten Aufenthalt in München ganz wie ein "gamin" gegen ihn, den älteren Freund (?) und bewährten Componisten benommen; so dass er sich zwar entschuldigte nachher und sagte: "Ich will es wieder gut machen!" Wäre ihm dies Wort von Herzen gekommen (wenn er eins hätte!), so hätte er längst was von Theodor bringen müssen und die beste Gelegenheit wäre ihm jetzt mit dieser neuen Symphonie geboten; also wenn er es nicht aus sich thut und vorzieht, nach seiner Meinung grössere, bessere Werke eines unsterblichen Bruckner (!), St. Saëns und Liszt und andrer Componisten zu bringen, die eigentlich keine sind, so war seine Reue eine Lüge! Doch Ihr kennt ihn ja - wir grollen ihm desshalb nicht! Theodor ist zu generös und steht wirklich staunenswerth über all' den Dingen! Nur eins hat er vor Augen, ein Streben, eine Liebe erfüllt ihn ganz, das ist seine herrliche Kunst und das Streben nach ihren höchsten Idealen! Das macht mir ihn so werth und ist in unsrer Zeit eine Seltenheit! Für ihn ist das Ich, die Person Nebensache - gerade was in unsrer Zeit Hauptsache geworden! Drum fühlt er sich, wie auch ich, so zu Deinem Manne und seinem Schaffen, zu Dir, die ja eins mit ihm in Denken und Fühlen, so hingezogen."

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[1] Hermann Levi (1839-1902) u.a. Hofkapellmeister in Karlsruhe und München; hervorragend als Dirigent der Werke Mozarts und Wagners.