Stift Einsiedeln, 18.8.1886.
Hochverehrter Herr!
Wenn Unterzeichneter sich die Freiheit nimmt, Sie, hochverehrter Herr, mit folgenden Zeilen zu belästigen, so wagt er es einerseits in der Erinnerung, dass er 2 Semester die königl. Musikschule in München besuchte, andererseits, weil er in Ihnen, hochverehrter Herr Professor, einen Gegenstand aufrichtiger Hochschätzung erblickt.
Um mich gewissermassen zu legitimiren, stelle ich mich Ihnen vor als P. Joseph Staup O.S.B. in Maria Einsiedeln. Obschon ich der Welt, der Musikschule Valet gesagt habe, so darf ich doch der edlen Kunst auch in der stillen Klosterzelle nicht vergessen. Es wird im Gegentheil von den Mönchen in Einsiedeln die Musik hochgehalten. Und der Name J. Rheinberger hat bei uns einen besonders guten Klang, was mir zur aufrichtigen Freude gereicht.
Hochverehrter Herr Professor!
Wenn wir den reichen Schatz Ihres so fruchtbaren Talentes betrachten, von dem auch wir schon Einiges zur Aufführung gebracht haben, unter Anderm die herrliche Papstmesse[1] in Es -, so begegnen uns leider keine Instrumentalmessen, die wir so gerne von Ihnen hätten. Den gleichen Wunsch las ich einmal im "Chorwächter“, der cäcilianischen Zeitschrift der Schweiz: es möchte doch ein Meister wie Rheinberger gleich 1/2 Dutzend Instrumentalmessen componiren. Es ist aber der grosse Mangel an solchen gediegenen, edlen Messen, der diesen Wunsch, dieses Verlangen wachgerufen. Da wir alle Sonn- und Feiertage und manchmal auch während der Woche solche Instrumentalmessen brauchen, so begreifen Sie wohl, welches Repertoire das erfordert. Aber nicht nur der Mangel an solchen Messen, sondern Ihr herrliches Talent, solche edle Kirchenmusik schreiben zu können, drängt mich dazu, an Sie den lebhaften Wunsch und eine naive Bitte zu richten: "Componiren Sie doch einige Instrumentalmessen!" Ich bin überzeugt, dass dieselben allüberall freudig begrüsst werden, wo man Sinn und Verständniss hat für eine gute Musik, die als verständnissvolle Illustration dieses tiefen poetischen Textes der Liturgie selbst wahre Poesie und Gottesdienst ist.
Schmeicheln liegt mir fern; aber das zeichnet ja gerade Ihre Werke so vortheilhaft aus, vor so vieler Schablonenarbeit im Lager der Cäcilianer, dass Sie den Text illustriren in wahrhafter Poesie, ohne zur blossen Dienerin des Textes herabzusinken! Nein, ich stelle mir vor, Sie nehmen den Text zuerst in sich auf, dass er Ihr, gleichsam Ihr Eigenthum geworden und dann theilen Sie denselben wieder uns mit als Musik. Sie erwecken so das todte Wort zum wahren Leben, für die blosse Zeichnung geben Sie uns ein farbenprächtiges Gemälde. Sie werden mich schon verstehen. Weil nun der lb. Gott Ihnen so viel Talent gegeben, um Ihn in Sr.Hl.Kirche zu verherrlichen - so seien Sie doch so gut und componiren Sie zu Seiner Ehre und dem kath. Cultus zu lieb einige Orchestermessen. Sie werden mir vielleicht sagen, dass die menschliche Stimme und die Orgel genügt für den Cultus; aber es gibt Verhältnisse, wo einmal Instrumentalmessen nöthig sind und solche, wie Sie schaffen werden, wären uns und vielen Anderen gar lieb! Unser P. Bernard, der ein sehr guter Geiger ist, bemerkte mir, ich solle Ihnen schreiben, dass er Sie ganz besonders verehre, und dass wir Sie auch in Einsiedeln einmal erwarten. Kommen Sie nur und Sie werden bald sehen, wie lieb wir Sie haben!
Entschuldigen Sie also meine Zeilen gütigst, und sollten Sie mich einer Antwort würdigen, wäre ich Ihnen sehr verbunden.
Mit vorzüglichster Hochachtung
zeichnet ergebenst
P. Joseph Staub 0.S.B.
Einsiedeln, Ct. Schwyz.
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[1] die herrliche Papstmesse in Es = "Cantus missae" (Messe in Es-dur zu zwei Chören / 8 Stimmen /, Papst Leo XIII. gewidmet) op. 109