Henriette Huber gibt Prof. Theodeor Kroyer das Einverständniss zur Einsicht in die Briefe von Rheinberger.


11. X. 1920

Berlin-Dahlem,
Liebensteinstr. 2/4.

Sehr geehrter Herr Professor!

Länger als beabsichtigt habe ich Ihre gütigen Zeilen ohne Antwort gelassen. Bei meiner Rückkehr aus dem "Traumleben" Kreuths, wie es Rheinberger zu nennen pflegte, nahm mich der Alltag des Lebens gleich so stark in Anspruch, dass ich bis heute zu keiner ruhigen Minute kam. Ich möchte Ihnen nun sagen, dass ich bisher nie an eine Veröffentlichung der mir so teuren Briefe Rheinbergers gedacht habe, wenigstens nicht zu meinen Lebzeiten, da ich nicht glaube, dass es in des Meisters Sinne wäre, diese intimen Mitteilungen von einer Seele für andere an die Öffentlichkeit zu bringen. Doch würde ich Ihnen - als seinem getreuen Biographen - auf Ihren Wunsch hin wohl gern einmal Einblick in dieselben gestatten, wenn ich mich darauf verlassen dürfte, dass Sie mir dieselben nach der Lektüre - ohne Abschrift davon zu nehmen - umgehend wieder zustellen würden.

Sollten Sie danach den Eindruck gewinnen, dass es tatsächlich für die Gemeinde Rh.'s ein Verlust wäre, diese Dokumente einer so selten reinen Menschenseele nicht zu kennen, so könnte ich immer noch, in späterer Zeit, an eine Veröffentlichung herantreten. Der Abschluss des Briefwechsels ist nämlich für mich ein so trauriger, dass ich nie darüber hinweg gekommen bin. Wenn Sie die Briefe gelesen haben, werden Sie das verstehen. Ich gebe mit diesen Briefen meinen liebsten Besitz in Ihre Hand und rechne auf vollkommene Discretion.

Mit ergebenstem Gruss
Frau Henriette Huber

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