Robert Franz beklagt sich über sein schwierigen Stand in Halle und dankt für Rheinbergers Fotografie


Halle, 22. Januar 1884

 

Hochgeehrter Herr Kapellmeister!

Besten Dank für die Übersendung Ihrer Photographie, die mir ein ernstes liebes Gesicht zeigt. Auf ihren Wunsch schicke ich die meinige, kann dabei aber nicht verhehlen, dass sie sich etwas ledern ausnimmt. Lassen Sie sich nochmals meine aufrichtige Freude darüber sagen, dass Sie Ihre herrlichen Gaben in den Dienst des grossen Seb. Bach stellen: angesichts des wüsten Treibens der Gegenwart kann man gar nichts Besseres thun, als die Aufmerksamkeit der Menschen auf Werke hinzuleiten, in denen der Athem der Kunst weht. Was mich betrifft, darf ich es Ihnen wohl gestehen, dass, ganz abgesehen von dem genussreichen Gewinn den mir eine derartige Thätigkeit gebracht hat, dieser culturhistorische Gesichtspunkt mit in dem Vordergrund meines Verhaltens stand. Den Namen der alten Meister nur in den Mund zu nehmen, bringt keinen Nutzen: man muss sie dem Publikum in voller Lebensgrösse vorführen!

Sie glauben, die Veröffentlichung meines Briefes in einem Fachblatte würde unseren Interessen förderlich sein. Da müsste er aber erst sorgfältiger redigirt werden, denn ich habe nur hingeschrieben, was mir gerade in den Sinn kam. Auch erinnere ich mich eines Passus über Rust, der sehr leicht missverstanden werden könnte. Der Mann hat sich grosse Verdienste um die Redaktion der Bach’schen Werke erworben – das darf ihm nicht vergessen werden. Wenn er dabei zu verschiedenen Malen unhaltbare Vorschläge über das Accompagnement macht, so verschwindet doch diese kleine Eitelkeit den anderen Leistungen gegenüber ins Nichts. Betrachten Sie also mein Epistel als eine vertrauliche – der Moment wird schon eintreten, wo man nach allen Seiten hin frei von der Leber weg reden kann.

Am Schlusse Ihres Briefes heisst es: „in München werde ich durch ein wohlwollendes Entgegenkommen nicht verwöhnt“. Da sollten Sie erst das Verhalten meiner lieben Landesleute in Halle kennen lernen! Seitdem ich vollends auf jede praktische Thätigkeit Verzicht leisten musste, stehe ich in deren Augen noch tief unter Null. Die Menschen können es eben nicht vertragen, dass man ein bischen anders ist wie sie; - auch fühlt sich der grosse Haufen in seiner grollenden Abneigung vollkommen sicher, weil er die ungeheure Majorität bildet. In Deutschland ist das von jeher so gewesen!

Mit den besten Grüssen an Sie und Ihre Frau Gemahlin

Ihr ergebenster

Rob. Franz

Halle d. 22. Jan. 84

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