Innsbruck, 15. Juni 1881
Innsbruck, 15.6. 1881.
Hochverehrte Frau!
Erst heute erlange ich Ruhe und Sammlung genug, um Ihnen für die lieben, trostspendenden Zeilen den wärmsten Dank abzustatten. Ungekünstelte, aufrichtige Teilnahme ist selten: umso höher weiss ich sie zu schätzen, wenn sie mir in so zarter und wohltuender Form begegnet, von einer edlen Seele, die meine teure Tote im innersten Wesen erkannt und verstanden hat.
Erlassen Sie mir, hochverehrte Frau, die Beschreibung dessen, was ich in kurzer Zeit gelitten und gekämpft habe ---- vieles erstickend im Strudel der Geschäfte, die in hunderterlei Gestalten auf mich Unkundigen einstürmen.
Es war nicht mehr zu erreichen, dass ich die teure Mutter noch einmal wiedersah ---- ja sogar dies eine blieb mir versagt, die irdischen Überreste derselben zur letzten Ruhestätte zu geleiten. Mich tröstet jedoch die Erinnerung an den letzten ahnungsvollen Abschied, die mir das Bild der Unersetzlichen, Unvergesslichen stets in ungetrübter Reinheit, frei von allen Anzeichen der Krankheit, zeigen wird. Ich bin zwar weit entfernt, mutlos zu sein, doch quält mich eine dumpfe, farblose Stimmung, die mit Bleischwere alle geistige Spannkraft lähmt. Meine Gedanken haben einen belebenden Ausgangspunkt verloren. Die vielen, oft so zarten und kaum fühlbaren Beziehungen zur Verewigten irren nun ziellos ins Weite. Auch ein Aufschwung zur Arbeit hat sich als nichtig und nutzlos erwiesen. Sie können sich daher vorstellen, hochverehrte Frau, wie sehr ich mich hinaussehne aus einer Umgebung, die mich bei jeder geringsten Geistes-Regung an das unwiederbringlich Verlorene erinnert. Dazu noch die Berührung mit trocknen, nüchtern Geschäften, die auch einen Frohen verstimmt machen können. ---- Es ist wirklich eine harte, schwere Zeit. Meine Erbschafts-Angelegenheiten erfordern übrigens eine längere Anwesenheit in Innsbruck, als ich mir bei meiner Abreise ausbedingt habe. Die diesbezüglichen Schritte über der K. Direktion der Musikschule werde ich jedenfalls tun. Über meine pekuniäre Lage bin ich noch nicht ganz im Reinen, obwohl ich die Bestimmtheit in Händen habe, dass ich wenigstens meine Studien sorglos beendigen kann.
Nun seien Sie noch tausendmal bedankt für Ihre Freundlichkeit; zugleich gebe ich mich der Hoffnung hin, Sie und Herrn Gemahl recht bald gesund Und wohl wiederzusehen.
Mit vielen Empfehlungen und herzlichen Grüssen
Ihr dankbarer
Ludwig Thuille.
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