Hugo Riemann bittet Rheinberger um seine Empfehlung für die Stelle der königlichen Musikschule


Leipzig, 11. November 1879

 

Leipzig, 11. November 1879.

Hochgeehrter Herr Hofkapellmeister!

Verzeihen Sie mir, dass ich mich Ihnen nicht noch vor meiner Abreise aus München empfohlen habe. Der Entschluss zur Abreise und die Abreise selbst lagen nur wenige Stunden auseinander, sodass ich genöthigt war, alle Verabschiedungsbesuche aufzugeben. Die Aufnahme, welche ich bei Excellenz von Perfall gefunden, war eine sehr freundliche und Hoffnung erweckende, sodass ich es nicht für geboten halten konnte, die Frage meiner Übersiedlung nach München ruhen zu lassen, vielmehr mich bemühen werde, dieselbe nach Möglichkeit lebendig zu erhalten. Gestatten Sie mir daher, auch Ihre Fürsprache für mich in Anspruch zu nehmen, für den Fall, dass die Idee greifbare Gestalt gewinnen sollte, mich an der Königlichen Musikschule zu beschäftigen. Die Fächer, für welche ich mich glaube qualificirt halten zu dürfen, sind ausser der -geschichte und Ästetik der Musik; Harmonielehre und Clavierspiel. Wenn es sich darum handeln sollte, durch Zeugnisse meine Qualification nachzuweisen, so würde vor allem gewiss Herr Capellmeister Reinecke hier gern über mich berichten. Für meine Leistungsfähigkeiten auf historischem und musikwissenschaftlichem Gebiet, würden freilich wohl die von mir herausgegebenen Bücher selbst sprechen müssen, wenn es mir auch nicht an anerkennenden Urtheilen der Fachschriften fehlt.

Gleichzeitig mit diesen Zeilen erlaube ich mir eine kleine Composition von mir an Ihre Adresse abgehen zu lassen, welche nichts weiter soll als Ihnen zeigen, dass ich nicht nur Büchermensch, sondern wirklich auch practischer Musiker bin. Vielleicht nehmen Sie an dem Streichquartett soviel Interesse, dass Sie Sich es einmal von Schülern der Musikschule vorspielen lassen; die Partitur ist leider nicht gestochen. Grössere Werke habe ich noch nicht herausgegeben; diesen Winter hoffe ich eine in Stimmen soeben vom Copisten zurückkommende Symphonie herauszubringen.

Da es sich darum handelt, mich Ihnen zu empfehlen, so werden Sie mir verzeihen, dass ich von meinen Leistungen spreche; angesichts dieses Zweckes müssten Sie mich für einen niedrigen Schmeichler halten, wollte ich Ihre Verdienste rühmen. Deshalb schliesse ich mit der wiederholten Bitte um Ihr Wohlwollen und zeichne mit vorzüglicher Hochachtung

ganz ergebenst

Dr. Hugo Riemann

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