Brief von Josef Rheinberger an Dr. Hartmann:
München, 5.2.1877
Euer Hochwohlgeboren!
Im Beginne Januar war Herr Dr. Hartmann in Ihrem geehrten Auftrage bei mir um eine Vorbesprechung wegen Übernahme der Direktionsstelle an dem in Frankfurt zu errichtenden Conservatorium der Dr. Hoch'schen Stiftung abzuhalten. Es war mir natürlich nicht möglich bei dem nur provisorischen Charakter der Besprechung alle jene Ansichtspunkte zu gewinnen, welche zu einer Entscheidung meinerseits unumgänglich nöthig sind; um mir nun dieselbe möglich zu machen, wende ich mich vertrauensvoll an Euer Hochwohlgeboren als den Vorsitzenden der Stiftungsverwaltung mit der Bitte um gefällige Formulirung der Pflichten und Rechte der mir zu übertragenden Stellung, und zwar:
1) Welche Pflichten sind im Allgemeinen, abgesehen von der artistischen Aufsicht und Leitung, mit der Direktionsstelle zu übernehmen, z.B. in administrativer Hinsicht?
2) Wieviel Ansprüche werden an meine persönliche Unterrichtsertheilung, welche ich mit als Hauptaufgabe betrachten würde, gemacht?
3) In wiefern wäre ich bei Anstellung des Lehrpersonals gebunden?
4) Welcher Gehalt wäre mir geboten?
5) Wie wird meine Stellung für die Zukunft gesichert, Beziehe ich Pension und welche, z.B. im Krankheitsfall - hat event. meine Wittwe Pensionsanspruch?
Erst wenn mir genauer Bescheid über diese Punkte geworden, kann ich zu einer entscheidenden Vergleichung mit meiner hiesigen Position in artistischer und materieller Hinsicht gelangen.
Euer Hochwohlgeboren werden es begreiflich finden, dass ich nur auf eine provisorische mündliche Besprechung hin nicht meine Entlassung von einer ehrenvollen und definitiven Staatsanstellung, wie meine hiesige ist, nehmen kann, und bitte ich desshalb um gefällige und so viel als thunlich bestimmte Fixirung obengenannter Punkte. Sollte Ihre Antwort eine in meinem Sinne günstige sein, wie ich wünsche, so werde ich die Ehre haben, mich Ihnen persönlich vorzustellen; ohne dieselbe die Reise nach Frankfurt zu unternehmen, wäre mir schon aus dem Grunde unthunlich, weil an unserer Anstalt jeder Urlaub von mehr als drei Tagen von Direktion und Ministerium genehmigt und gehörig schriftlich motovirt sein muss. Ich läugne nicht, dass ich mit Sehnsucht Ihrer baldigen gefälligen Antwort entgegensehe die wahrscheinlicherweise über meine Zukunft entscheiden wird und zeichne in der angenehmen Hoffnung, dass sich die Angelegenheit zum besten Gedeihen der Hoch'schen Stiftung gestalten möge - als Euer Hochwohlgeboren gehorsam ergebener
Josef Rheinberger
kgl. Prof. u. Inspektor der kgl. Musikschule
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