3. Tagebuch von Franziska Rheinberger vom 27.11.1873 - 31.12.1873


Tagebuch von Franziska Rheinberger:

/T.B.3,1/.

Heute Abend, den 27ten, beendete Curt zwei vierstimmige Chorballaden [1] mit Clavierbegleitung zu Gedichten von Reinick, op.75. -

Jetzt liest er ein Reisebilderbuch nach China, denn "Abends muss man Bilder gucken", sagt er.

28. /November 1873/.

Curt wurde von einer Franziskanerin in Augsburg gebeten, ein Melodram zum Leben des hlg. Franz von Sales zu componiren. Er hat jetzt nicht Zeit und schlug seinen Schüler Cavallo vor.

Ein armer Tenorist, Englhardt, war da um sich anzupreisen. Curt sagt, er spräche zu viel, als dass er Vertrauen in seine Leistungen haben könnte.

Gestern starben 12 Menschen hier an der Cholera. Gott möge Curt schützen. Abends spielten wir seine 4-händigen Stücke zusammen "Aus den Ferientagen" [2].

Curt hat ein Geschwür am Hals, und auch die Handwunde eitert noch stark. Er hatte heute keine Lust zum Componiren. -

Ich begann das 4-händige Arrangement von "Thürmer’s Töchterlein.

29. /November 1873/.

Gestern früh Concertmeister Walter zu Curt: "Han Du, wos host denn an Deiner Oper die 7 Raben g'ändert, weil's jetzt so scheen is?" Curt antwortete: "Nur ein paar Arien transponirt. Im übrigen wurde sie eben anständiger aufgeführt."

Nachricht von Aufführungen Rheinbergerscher Compositionen:

St. Petersburg: Clavierquartett in Es;

Düsseldorf: Clavierduo in a-Moll;

Chicago: Ouverture z.d. 7 Raben;

Krefeld: Clavierquartett in Es;

Wien: Wallenstein Scherzo;

Gewandhaus Leipzig: Ouverture z.d. 7 Raben.

Heute war Curt eingeladen unter den Ehrengästen die Rectoratsrede von Riehl in der Aula zu hören. Baron Liliencron und der alte Herr von Tucher setz ten sich zu ihm und gratulirten ihm zum grossen Erfolge der 7 Raben. -

Riehl pries über alle Massen das Vorbild & die Lecture Lessing's. Dass es eine christliche Universität sei, wurde einfach ignorirt. Man könnte allenfalls den jungen Studenten doch noch bessere Lehrer zum Beginne des Schuljahres geben. Prof. Berneis verzweifelte fast, dass er 1 1/2 Stunden zuhören musste ohne selbst reden zu dürfen.

/T.B.3, 3/ 30.11.1873.

Holsteins schrieben, die Ouverture der 7 Raben habe im Gewandhause sehr angesprochen. -

Componist Scontrino aus Palermo war da, Empfehlungen seines Lehrers, des Directors des Palermo'schen Conservatoriums Platania mit der Bitte zu bringen, Curt möge ihm schreiben, wie er sein Werk über Composition gefunden habe.

Vom Hof-Cultus [3] kam das Ansuchen an Curt, die neue Orgel der Herzogspitalkirche zu probiren in Gegenwart des Staatrathes Hölzl. -

/T.B.3, 5/ 2. /Dezember 1873/.

Heute Abend im Oratorienverein Probe von Händel's Heracles gehabt, die sehr gut ging. Curt war ziemlich scharf gegen die Sopranistinnen. Schöner, energischer Wintertag. An Cholera 13 gestorben.

4. /Dezember 1873/.

Heute war Curt in der Herzogspitalkirche, um in Gegenwart des Ministerialrathes Pillath und des Hofstabsrathes Hölzl die neue Orgel von März zu beurtheilen. Er ging alles genau durch und schrieb dann zu Hause noch eine ausführliche Beschreibung des Werkes und ein Gutachten hierüber.

Curt nahm sich vor, nichts mehr zu componiren, bis nicht das Oratorienvereinsconcert vorüber ist.- Er schrieb die Stimmen zu den jüngst componirten Balladen aus. Heute erkrankten 45 Menschen an der Cholera, auch der Frauenthürmer.

7. /Dezember 1873/.

Curt erhielt von der Genossenschaft dramatischer Autoren Clavierauszüge der sieben Raben zurück, deren einen er nebst einem freundlichen Brief an den Director des Conservatoriums (in Palermo) Signor Pietro Platania absendete. -

Die Cholera greift scharf um sich. Heute 25 Todte. Viele ergreifen die Flucht, darunter ein paar Schüler von Curt und Sänger Nachbaur, der einfach nicht auf die Probe kam, sondern mit Weib und Kind abschob. -

Curt componirt nichts, sondern bereitet vor für das nächste Oratorienvereins-Concert.

Curt schrieb an seinen Bruder David [4], der in Sorge ist wegen der Cholera. Der alte Vater wollte früh ins Engelamt gehen, bekam Schwindel, fiel auf die Knie in ein Gartenbeet und konnte nicht mehr aufstehen. Als er aufgehoben wurde, ging er dann dennoch in das Rorate. Gestern erhielt Curt die 4. Copie seiner Partitur "Thürmer's Töchterlein". Eine ist in Gratz, ein am Hoftheater hier, eine zur Ansicht in Darmstadt, eine besitzt Curt neben seiner Originalpartitur. -

10. /Dezember 1873/.

Curt bekam von Direktor Kreibig aus Gratz Brief und Bitte um schleunige Übersendung der Parthie-Stimmen der Oper, weil er dieselbe in 14 Tagen geben wolle und der Copist sie nicht bewältigen könne.

11. /Dezember 1873/.

Curt schrieb an Direktor Kreibig und schickte ihm die Münchner Bilderbogen mit Decorationen und Costumes aus "Thürmers Töchterlein". Treiber kündigte sich für den 16. Dezember nachmittags an. Curt hielt Soloprobe für Heracles. -

Curt war nicht entzückt von den Brahms'schen Orchestervariationen zu einem Thema von Haydn.

/T.B.3, 11/ 15. Dezember 1873.

Eben kommen wir vom Oratorienvereinsconcert nach Haus. Curt hat Heracles von Händel dirigirt, der vortrefflich ging. Alles glückte.

In dieser climatisch so widerhaarigen Cholerazeit darf man von Glück sagen, dass keine Störung vorfiel.-

Heute wird auch in Berlin Curt's Es-dur-Klavierquartett gemacht. -

26. Dezember 1873.

In der Hofkirche wurde Curt 's Vocalmesse [5] und sein Offertorium: Tui sunt coeli [6] gesungen. Heute fing er an, Itha von Toggenburg [7] zu componiren. Ich habe gestern das erste Gedicht "Hochzeit" geändert für ihn und soeben auch das zweite "Auf dem Söller" neu gedichtet. Jetzt gefällt es ihm.

Abends war Levi da, um Curt zu bitten, ihm Compositionen zur Ansicht zu schicken, die er in den Abonnements-Concerten machen will. Curt schickte ihm die Ouverture zur "Zähmung der Widerspenstigen" und sein "Thal des Espingo" [8].

27. Dezember 1873.

Heute bekam Curt von der Witwe Gervinus [9] die Händeltexte ihres Mannes zugeschickt.

31. Dezember 1873.

Curt hat drei Stücke des Romanzencyclus "Frau Itha", Text von seinem Weiberl, componirt: "Hochzeit", "Auf dem Söller", "Einsamkeit".

Er wurde vom Comité des Pfälzer Sängerbundes aufgefordert, ein patriotisches Lied für Männergesang zu componiren, da sie mit so grossem Wohlgefallen den "Herzog Curt von Polen" sängen. Ich wählte ihm Reinick's "An das Vaterland", das ziemlich allgemein gehalten ist. Er nahm jedoch Reinick's "Künstlergruss an die Treue" [8].

Aus Gratz ein Telegramm, dass am 5. Januar /1874/ "Thürmers Töchterlein" sei. Diess die letzte Botschaft, die im Jahre 1873 an ihn kam. -

 

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[1] "Jung Niklas" op. 75 Nr. 1, "Diebstahl" op. 75 Nr. 2.
[2] Vier Stücke für Pianoforte zu vier Händen, op. 72.
[3] Vgl. Schreiben von der K. Hofcultus-Stiftungs-Administration an Rheinberger.
[4] Vgl. Brief von Rheinberger an seinen Bruder David vom 06.12.1873.
[3] Missa brevis, op. 83.
[4] Op. 69 Nr. 2.
[5] "Toggenburg" Ein Romanzenzyklus von F.v. Hoffnaass, für Soli, Chor und Pianofortebegleitung, op. 76.
[6] Op. 50.
[7] Georg Gottfried Gervinus (1805-1871), Literaturhistoriker, Mitbegründer der "Deutschen Händel-Gesellschaft".
[8] Recte: "Künstlergruss an die Frauen" op. 85 Nr. 2.