Rezension der Uraufführung der Oper "Thürmers Töchterlein" in der Augsburger "Allgemeine Zeitung" vom 4.5.1873:
Die neue comische Oper 'Des Thürmers Töchterlein' ist eine Schöpfung des einheimischen Componisten Rheinberger, der durch seine Oper 'Die sieben Raben' und noch mehr durch seine Wallenstein-Symphonie sich längst eine ausgezeichnete Stellung in der musikalischen Welt errungen hat, und ein neuer Beweis für seine künstlerische Begabung sowohl als ein reines, durchweg edles Bestreben dieselbe in würdigen Leistungen zum Ausdruck zu bringen. Mit vollendeter Technik geht ein nicht gross- artiges, aber liebenswürdiges Erfindungstalent Hand in Hand, und offenbart ein mehr zu sinnigem Ernst geneigtes als von Humor überströmendes Gemüth. Seine Melodien sind empfunden und gut gebaut, seine Instrumentation ist charakteristisch und gewählt, und namentlich einzelne mehrstimmige Gesangsnummern sind warm und schön. Die Behandlung im ganzen hält zwischen der alten Opernform und dem Wagner'schen Musikdrama eine klug gewählte Mittelbahn ein: sie schreitet dramatisch fort, ohne an geeigneter Stelle auf breiteren lyrischen Erguss zu verzichten; dabei ist aber wohl unverkennbar und unläugbar dass die 'Meistersinger' zu der Conception des ganzen Werkes die Anregung gegeben haben dürften.
Der Text ist Franz Trautmanns gleichnamiger Erzählung entlehnt, einer der besten Erzählungen des gemüthvollen Dichters, die, ebenso heiter in der Erfindung als in der naiven Komik der Figuren, welche gelungenen alten Holzschnitten gleichen, keineswegs eine glückliche Bearbeitung gefunden hat. Der Stoff, der für die Bühne höchstens zu drei kurzen niedlichen Acten ausgereicht hätte, ist unverhä1tnissmäIig ins Breite gezogen und dadurch etwas stark durchsichtig geworden. Derselbe stellt an die Geschichte die stärksten Zumuthungen, wie z.B. in der ganzen Schilderung der Bürgermeister und Ratsherren von München, in der Art und Weise der Übergabe der Stadt an die Schweden, in der Befreiung der Geiseln durch die Bitten und Geschenke ihrer Frauen. Den Thatsachen gegenüber sind solche Erfindungen, zumal an Ort und Stelle, nicht wohl zu rechtfertigen, da namentlich die dreijährige Leidensgeschichte der Münchener Geiseln ziemlich allgemein bekannt ist, und wäre es nur durch das Votivbild in der Ramersdorfer Wallfahrtskirche. Der Jammer der damals über München hereingebrochen, ist ein so dunkler Hintergrund, dass sich solche Spässchen wie die eines Narren von Actuarius schlimm darauf ausnehmen.
Der epische Vortrag kann hierin viel mehr wagen als der Dramatiker, weil hier die unmittelbare Anschaulichkeit ihre nicht abzuweisende Wirkung geltend macht. Aber auch von der Geschichte abgesehen, ist die Angst eines Schreibers, die sich durch das Ganze immer wiederholt hindurchzieht und sogar zu zwei ganz gleichartigen Abschlüssen benutzt ist, ein etwas gar zu kleinlicher Gegenstand um sich einen halben Abend damit unterhalten zu können. Eine starke Zumuthung ist es auch dass derselbe Geck auf offenem Schrannenplatze dem Mädchen, um das er sich bewirbt, ein Liebeslied vorsingt, und dass diese dann, nachdem sie ihre Liebesscene ebenfalls auf offenem Markte durchgespielt, zu dem dort angemalten 'grossen Christoph am Eiermarkt', recte zu Sanct Onuphrius betet, während doch ziemlich bekannt ist was dieser Onuphrius (ein jedem Einheimischen wie jedem Besucher Münchens bekanntes Stadtwahrzeichen) nach einem im Volksmunde lebenden Sprichwort für ein sonderbarer Heiliger war. Man kann es mit solchen localen Dingen halten wie man will, man kann sie beobachten und ignoriren; aber das eine oder das andere wird man ganz thun müssen, ein entweder Gleichgültigkeit oder Unkunde anzeigender Mittelweg ist hier gewiss von Übel. Auch gegen Diction und Vers bestehen erhebliche Bedenken; unsere deutsche Sprache ist von Wagners Genialität schon so vielfach gemassregelt worden, dass man Protest erheben muss wenn etwa von seinen Nachfolgern versucht werden wollte Fügungen wie z.B. 'Errathet ihr von wem die zierlich Verslein hier', oder 'Solch' edler Sinn, solch' Muth bewährt' bleibend in sie einzuschwärzen.
Die Aufnahme von Seiten des Publicums war bei der ersten Aufführung eine entschieden günstige, wenn dieselbe auch von Schwankungen nicht frei war. Trotz langen Wartens schien die Inscenirung hie und da doch etwas übereilt; zwar war der Rathhausthurm mit Umgebung neu gemalt, aber die Anzüge der Schweden, und besonders des Münchener Volkes, verriethen dass es in dem langen Kriege schon sichtbar herabgekommen war.
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