Hedwig von Holstein erzählt Franziska Rheinberger über den Besuch von Ströll und über die Wallenstein-Sinfonie


Brief von Hedwig von Holstein an Franziska Rheinberger:


[Leipzig, 23.02.1873]

Gestern und vorgestern war Dr. Ströll bei uns & hat so wundervoll gespielt, dass es uns war, als wäre es Dein Gatte selbst. Die Charakterstücke, die sinfonische Sonate & die Fuge [1] - Alles so meisterhaft, so darüberstehend, so männlich, wie mir wirklich noch nichts vorgekommen ist, & die Compositionen, die mein armes Herzblatt so mühsam buchstabirt hat, sind uns jetzt erst verständlich geworden. Aber auch seit dem 10. Lebensjahr der Schüler Eines Lehrers, & s o l c h e n Lehrers! Das ist harmonische Erziehung, da wird nicht wieder von einem Lehrer eingerissen, was der vorhergehende mühsam aufgebaut hat. -

Der ganze Ströll ist für uns der Inbegriff eines Bayern, & doch wieder eine so andre Art, als z.B. der Zenger Maxel, der so grausam fiasco gemacht hat, der uns auch als Urtypus eines Bayern erscheint. Ich fragte natürlich den Dr. Ströll 'kurz & klein' nach Euch, drückte ihn aus wie eine Citrone. Von Deinem Gatten sprach er mit höchster Verehrung; nun dürstete ich auch nach etwas von Dir oder über Dich zu hören & fragte ihn endlich ganz direct 'Schwärmen Sie denn nicht sehr für sie?' 'Ja', sagte er mit einer Trockenheit & Bestimmtheit, dass wir alle drei in lautes Gelächter ausplatzten. Dann hat er Scarlatti voller Eifersucht 'Bestie' genannt, 'der Rheinberger ist ganz vernarrt in die Bestie' - - der Mensch hat also kein Herz, oder ein ganz schwarzes! -

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Die Wallenstein-Sinfonie war uns nicht neu, Liebste; zuerst hörten wir sie in Probe & Aufführung unter Direction Deines Kurt, dann nochmals das Scherzo, das köstliche, sprudelnde, ureigenthümliche, erfindungsstrotzende, einmal im Gewandhaus & einmal in Carlsbad.

Im letzten Satz hat mein Franz alles errathen, was Du andeutest, er sagte sogar halb im Scherz: Jetzt steigt der Astrolog die Treppe hinauf & sieht nach den Sternen. Uns ist nichts zu lang darin gewesen, Einigen erschien die Thecla zu lang oder waren sie zu kurz dafür, wie Schwind so schön sagte, als jemand die 9te zu lang f and.

Volkland [2] hatte die Sinfonie mit grösster Sorgfalt ein- studirt, & soviel uns schien, waren alle Tempi richtig. Das Publikum nahm sie sehr beifällig auf, die Recensionen waren nicht schlecht, aber so gleichgültig & von oben herab, dass Franz sie blos deshalb nicht schicken wollte; er ärgerte sich über diesen Ton, in dem sie geschrieben waren. -

Wir besitzen die Sinfonie im Clavierauszug & haben sie oft zusammen gespielt. Sie war ja das Erste, was unsre Gäste zusammenführte! -

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[1] Drei Charakterstücke für das Pianoforte, op. 7, Klaviersonate Nr. 1 in C-dur ("Sinfonische Sonate"), op. 47 und Praeludium und Fuge zum Konzertvortrag op. 33.
[2] Alfred Volkland (1841-1905), Dirigent; gründete mit Holstein und Spitta den Bachverein in Leipzig.