Brief von Isidor Seiss an Jos. Rheinberger:
Köln, 7. November 1872.
Hochverehrter Herr!
Sie beehrten mich vor einiger Zeit mit einigen so überaus freundlichen Zeilen und übersandten mir Ihr neues Klavierwerk; ich danke Ihnen des Herzlichsten für Beides.
Ihre Toccata [1] wird gegenwärtig von 6 meiner besten Zöglinge studirt und fesselt dieselben in ungewöhnlich hohem Grade; im 1. Conservatoriums-Konzert am 21. November soll sie öffentlich vorgetragen werden.
Köln ist im Ganzen ein recht unempfänglicher Boden für Novitäten musikalischer Natur, und ich kann es aussprechen, dass ich vielleicht der Einzige der hiesigen Musiker bin, der, bei selbstredender Achtung des guten Alten, sich lebhaft für alles Neue interessirt und, wenn es gut und gleichzeitig zweckdienlich ist, sich angelegentlichst der Verbreitung desselben unterzieht; aber leider geht mein département über das Klavier nicht hinaus.
Empfangen und gestatten Sie meine herzlichsten Grüsse mit der Versicherung warmer Hochachtung!
Ihr ganz ergebener
Isidor Seiss.
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[1] Toccata in G-dur für Pianoforte, op. 12 (Herrn Dr. Hans von Bülow gewidmet).