Hedwig von Holstein berichtet Franziska Rheinberger von ihrem neuen Ferienhaus in Oberstdorf.


Brief von Hedwig von Holstein an Franziska Rheinberger:

Burgstall, d. 23.8.72.

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Du wirst mich fragen, wenn Du auf mein Datum & das Ortszeichen zufällig geblickt haben solltest, wo & was denn das sei, Burgstall? Ja, Fannerl, dieses Wörtchen ist für mich der Inbegriff aller irdischen Wonnen. So heisst die Stelle auf unserm Taborberge, wo wir uns Hütten gebaut haben, den Du Franciscusberg nanntest. Es stand früher eine Ritterburg hier, die Burg wurde zum Stall, die Trümmer wurden abgetragen & unser Loretto davon gebaut. Morgen sind es 8 Tage, dass unser Hüttchen 'gerichtet' & eingeweiht wurde. Am Morgen banden wir beim leuchtendsten Sommerwetter Guirlanden & Kränze & bucken Kuchen. Um Mittag liefen wir wieder hinunter, um uns weisse Kleider anzuziehen & geschwind das prosaische Mittagsmahl einzunehmen, denn um 2 Uhr sollten die Zimmerleute fertig sein & das Fest beginnen. Zwei deutsche & eine bairische Fahne wehten uns von oben entgegen, unsre Freunde, die Bauern, die einzeln im Gebirge wohnen, waren alle eingeladen & waren besonders durch das weibliche Geschlecht, mit Kindern beladen, in herrlicher Vielzahl vertreten. Sie standen in buntesten Feierkleidern oben auf dem Hügel & warteten schon auf uns. Ein schmaler Pfad, wo nur ein Mensch gehen kann, führt zur Hütte, Franz ging zuerst, dann ich, dann Hauptmanns, dann die Bauern in langem, langem Zug gereiht. Bei der Hütte erwarteten uns die Zimmerleute baarhaupt, & wir sangen den bei uns allgemein üblichen Choral 'Nun danket alle Gott'. Dann wurden die beiden Fässer Bier angezapft, die auf dem Rasenhügel lagen, Franz liess die Bauleute leben, sie ihn, Frauen & Kinder gruppirten sich, am Herrschaftstisch sass nur Förster & Försterin, der mir in der Begeisterung des Tages mit Handschlag versprach, auf unserm Grund & Boden nie ein Rehlein zu schiessen (es ist nämlich der beste Jäger-Anstand). Nun zündete ich das erste Feuer in der Küche an, es brannte gleich sehr hell, & der herrlichste Mocca entquoll den tönernen Gefässen. Ich weiss nicht, ob Du die bäuerlichen Tonwaaren kennst, die man hier hat; es giebt ganz köstliche darunter, mit den stilvollsten uralten Mustern, mit bunten Zierrathen auf schwarzem, glänzenden Grunde. Nur aus solchem Geräth besteht meine Wirthschaft da oben, simmetrisch aufgestellt auf ein sogenanntes Schlüsselbort, das unten mit einem Lederriemen & blanken Nägelchen eingefasst ist, worin Blechlöffel & naturwüchsige Hirtenmesser stecken. Diese Ausstattung ist bis jetzt der Hauptschmuck der Hütte. Sie besteht natürlich nur aus Einem Gemach mit 2 Eckfenstern aus alten, runden Scheiben, wie die Kirchenfenster sind. Durch das eine Fenster sieht man in's nahe Hochgebirge, durch's andre in's offene Thal mit seinen Kirchthürmchen, & bis in die blaue Ebene. Die Küche ist ausserhalb der Hütte, weil ein Eisenbau die Sache um das Doppelte vertheuert hätte, & dann ist es auch ein rechter Spass, in einer Freiküche zu kochen. Als ich den Bäuerinnen das zweite Schälchen Cafe brachte, sagten sie alle nach der Reihe: 'Aber dös war doch zu grob', während die Burschen sich schon weniger zum Bier nöthigen liessen. Die Stimmung wurde immer heiterer, die Scenerie bei der sinkenden Sonne immer schöner, endlich kam Alpenglühen, & bei einbrechender Dunkelheit wurde flott getanzt, ich mit dem Ochsenreiter, dessen Photographie Du auf Franzen's Schreibtisch gesehen haben wirst. Bei Mondschein wurde mit den Fahnen hinabgezogen, die Burschen stiessen manchen Juchzer aus, der im Gebirge widerhallte. -

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Auf den andern Morgen freute ich mich nun aber erst recht, als Gegensatz zu dem lustig-lärmenden Abend. Ich ging allein hinauf, nahm Deinen letzten Brief mit, damit von Dir etwas an der geliebten Stelle sei; & rückte mir den Tisch an's kleine Fensterl, um Dir zu schreiben. Ein Gepolter entsetzte mich. Das eben importirte Tintenfass war vom Tische gefallen, & siehe da, die ganze Hütte, von der Thür bis zum Fenster, mein Bettkasten, alles, alles schwarz, & der Reiz der Sauberkeit der Hütte auf immer hin! In stummer Verzweiflung stand ich vor dem Tintenpfuhl & schöpfte endlich mit Cafélöffeln das teuflische Schwarz vom Boden auf. Dann wurde der Chocolade-Vorrath ausgewikkelt & mit den nach Vanille duftenden Papieren mit unzulänglichen Kräften eine Stunde lang bin & her gefitschelt. Wehe! ganz umsonst! Ich selbst stieg ernüchtert, schwarz & weiss getigert, zur Wirklichkeit hernieder, & so komm' ich erst heute dazu, Dir zu schreiben, denn hier oben m u s s t e das sein! Mein Freund Ochsenreiter kam mit dem Hobel herauf, ehe Franzi mich schelten konnte, & hat das ganze Elend hinweggenommen.-

Franzi würde viel öfter herauf kommen, wenn er nicht gar so vertieft in seine Arbeit wäre. Er ist bis zum Finale des 2. Actes gekommen, & hat mich mit einer Arie beschenkt im Clavierauszug, die ich mit grösster Leidenschaft singe. -

Wie hübsch, dass von Deinem Kurt wieder etwas erscheint. Das Requiem haben wir mit.-

Du dauerst mich, dass Eure Hälfte Ferienzeit schon vorbei ist.

Nun wird es dunkel, ein Hirsch und drei Gemsen treten oben an unserm Berg heraus auf ein kleines, smaragdgrünes Bergwieschen. Ist das nicht reizend? Als ich kam, stak ein Strauss Edelweiss an der Hüttenthür, ein Jäger oder Bauer hatte uns eine Freude machen wollen. Davon eine Blüthe.

Franz grüsst herzlichst & freut sich mit mir Eures wiedergeschenkten Lebens.
Deine Hedwig.

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