Ambros bedankt sich bei J. G. Rheinberger für sein Quintett


Brief von A. W. Ambros an Josef Rheinberger:

Theurer Freund !

Hart vor dem Einsteigen in den Reisewagen, oder richtiger in den Eisenbahnwaggon, erhielt ich Ihr Quintett; und, nachdem ich gestern wieder aus dem Eisenbahnwaggon ausgestiegen bin, benütze ich den ersten ruhigen Moment, um Ihnen von ganzem Herzen für die grosse Freude und Überraschung zu danken, welche Sie mir bereitet haben. Die Composition selbst habe ich trotz allem Reisezwanges sofort durchgesehen - geistreiche, interessante Züge funkelten mir gleich in Menge entgegen. Sie haben der Welt und der Kunst wieder ein edles Werk geschenkt, wie wir es von Ihnen eben gewöhnt sind. In's Detail werde ich jetzt erst eingehen können; ich schreibe Ihnen dann ausführlicher. Nicht als ob ich mir einbildete, dass rneine Beurtheilung des Werks einen besonderen Werth für Sie haben könnte - ein echter Künstler muss (wie der Tugendhafte) den besten Lohn in sich selbst finden - aber ich weiss, wie gerne man einem solchen Echo aus Freundes Mund lauscht, sei es auch nur, um zu sehen, ob man verstanden worden.

"Thürmer's Töchterlein" find ich allerliebst, ein romantisch gefärbtes Opern-Lustspiel mit bedeutendem historischen Hintergrund. Über die Kraft der Komik, welche in der Figur des Stadtschreibers und seiner alten Amalia Sie zu entwickeln verstanden haben, bin ich erstaunt; ungeachtet ich nach der "Kapuziner-Predigt" [1] Ihrer Wallenstein-Symphonie das Beste erwarten konnte. Die edel-sentimentalen Sachen sind zum Theil von grösster Schönheit - das Ganze ist ein so farbenfrisches und farbenreiches Lied, dass ich höchst begierig bin, dessen Wirkung von der Bühne aus zu erfahren. Da unsere unselige entschlafende komische Oper kürzlich wieder ihre fröhliche Urstände gefeiert hat, so werden wir ja wohl "Thürmer's Töchterlein" zu hören bekommen. Ich habe kürzlich mit dem musikalischen Director des Institutes, Sucher, eindringlich über die Sache gesprochen.

Der "Wunderthätige Magus" hat bloss deswegen auf sich warten lassen, weil ich wusste, dass Sie nicht in München sind. In wenigen Tagen wird er, begleitet von einer Missa und einigen (gedruckten) Liederheften seine Aufwartung machen. Ich werde der Sendung einen dicken Band (sämmtliche Messen Josquins in Partitur) beilegen, mit der Bitte, letzteren an Herren Bibliothekar Julius Mayer [2] zu übergeben, der davon (glaube ich) eine Abschrift für die kön. Bibliothek nehmen lassen will. Dass Sie ein gutes Stück Italien gesehen, freut mich sehr. Sie haben wohl gethan, sich auf Florenz zu beschränken - ich bewundere jene Eilreisenden, welche von Mailand bis Palermo fliegen und zu Hause dann mitreden wollen. Den Gedanken an Rom und Neapel dürfen Sie aber ja nicht zu den abgethanen Dingen legen. Ich selbst habe etwa vor 2 Monaten meine italienischen Eindrücke wenigstens durch Venedig und das ihm nahe Padua aufgefrischt. Und jetzt eben komme ich von Cöln, Frankfurt, Nürnberg heim. Wäre ich nicht gar so sehr durch tausend Rücksichten und Pflichten gebunden, würde ich den Rückweg von letzterer Stadt über München genommen haben, um Sie zu sehen. Aber Cöln insbesondere hielt mich mit seinen architektonischen Denkmalen und seinen Schätzen bildender Kunst länger auf, als im Reiseprogramm gestanden hatte, und ebenso das mir besonders werthe Nürnberg, und schliesslich musste ich sehen, wieder nach Wien zu kommen. Sehr reich an Eindrücken war die ganze Reise, den Rhein sah ich bei herrlichstem Wetter. Hiller [3] in Cöln hat eben ein neues Pianoforte-Concert fertig gemacht. In Nürnberg wollte Pauline Fichtner-Erdmannsdörfer Beethoven's Es-dur- Concert spielen - es war eine grosse Noth um einen zweiten Fagottisten, der, glaube ich, aus Bamberg verschrieben werden musste. Idyllische Musikzustände!

Mit der Bitte, Ihre liebe verehrte Frau von mir auf's herzlichste zu grüssen, schliesse ich und bleibe

Ihr treuer

A.W. Ambros

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[1] Im 3. Satz ("Wallensteins Lager") der Wallenstein-Sinfonie, op. 10, von Rheinberger vertritt die "Kapuziner-Predigt" das Trio des Scherzo.
[2] Julius Josef Maier (1821-1889), Lehrer an der Kgl. Musikschule in München und Konservator der Musikabteilung der Kgl. Bibliothek.
[3] Ferdinand von Hiller (1811-1885), Pianist und Komponist, leitete als Dirigent die Gürzenich-Konzerte in Köln.